Mindelheimer Zeitung

Wer wird was? Und wer nicht?

Anfang Mai tritt der neu gewählte Marktgemei­nderat erstmals zusammen. Bis dahin werden die wichtigste­n Personalen­tscheidung­en hinter verschloss­enen Türen ausgemacht

- VON ALF GEIGER redaktion@mindelheim­er-zeitung.de

Personalen­tscheidung­en sind das Salz in der Suppe der Kommunalpo­litik, nicht zuletzt weil es bei jeder Kommunalwa­hl vor allem um Personen und weniger um Wahlprogra­mme und Parteibüch­er geht. Wer wird was? Und wer bleibt auf der Strecke?

Diese Fragen beschäftig­en derzeit alle Kommunalpo­litiker und entspreche­nd spannend geht es in diesen Tagen auch in der Türkheimer Kommunalpo­litik zu. Am Donnerstag, 7. Mai, tritt der neue Türkheimer Marktgemei­nderat zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammen. Und natürlich sind bis dahin alle Personalen­tscheidung­en, Posten und Pöstchen längst unter den Gemeindeve­rtretern ausgekarte­lt worden. Die entspreche­nden Gespräche laufen, das gaben zwar alle zu, die von der MZ zu den kommunalpo­litischen Weichenste­llungen gefragt wurden. Aber so richtig ins Zeug legen wollte sich angesichts der Corona-Krise kaum einer – zumindest nicht offiziell.

Einzige Ausnahme: Die Grünen. Mit breiter Brust und einem Mandat mehr prescht die Öko-Partei auf ihrer Homepage vor und rammt erstaunlic­h selbstbewu­sst schon mal Pflöcke ein: Nach der Wahl ist schon wieder vor der Wahl, heißt es da. Woher das Selbstbewu­sstsein kommt, wundern sich manche? Die Grünen haben ja

„nur“ein Mandat dazugewonn­en.

Die neue Fraktion habe „trotz

Corona schon fleißig für die konstituie­rende Sitzung vorgearbei­tet“. Es gebe „klare Wünsche und Ziele, die bei der Besetzung der Referate und Gremien (Bauausschu­ss, Rechnungsp­rüfung, VG) verwirklic­ht werden sollen. Mit den anderen Fraktionen gab es auf unterschie­dlichen Ebenen schon erste Gespräche über die Wahl zum zweiten und dritten Bürgermeis­ter“, lassen die Grünen wissen.

Und legen dann gleich noch eins drauf: „Es wäre nach Überzeugun­g der grünen Fraktion an der Zeit, wieder eine Frau ins Amt zu wählen und damit an eine Türkheimer Sonderstel­lung anzuknüpfe­n“, heißt es dort. Ihre Forderung untermauer­n die Grünen mit der Geschichte und der 2. Bürgermeis­terin Grete Axmann von der CSU (1978 bis 1990), 2. Bürgermeis­terin Roswitha Siegert von der CSU (1996 bis 2002) und Irmgard Schäffler von der SPD (3. Bürgermeis­terin von 2002 bis 2008 und 2. Bürgermeis­terin von 2008 bis 2012).

Damit haben die Grünen also aus eigenem Antrieb lautstark zum Halali auf die Posten der beiden Stellvertr­eter von Bürgermeis­ter Christian Kähler geblasen, der 2016 von der SPD und CSU gemeinsam nominiert worden war und daher diesmal nicht zur Wahl stand.

Dass die Grünen damit aber schon zum jetzigen Zeitpunkt auch den noch amtierende­n 2. Bürgermeis­ter Walter Fritsch von der SPD zur Dispositio­n stellen, schmeckt einigen Kommunalpo­litikern in Türkheim aber ganz und gar nicht: „Damit jetzt schon an die Öffentlich­keit zu gehen, ist unnötig“, ärgert sich einer, der schon seit langem in der Kommunalpo­litik Erfahrunge­n gesammelt hat.

Er glaubt aber auch, den Grund für das Vorpresche­n der Grünen zu kennen: „Das ist schon sehr durchsicht­ig: Eine Frau als Stellvertr­eterin zu fordern ist ja immer populär. Und mit Gudrun Kissinger-Schneider haben die Grünen eine ambitionie­rte Gemeinderä­tin in den eigenen Reihen“, so die Einschätzu­ng des Insiders.

Bei der Besetzung des Stellvertr­eterposten­s geht es vor allem um das Ansehen und die öffentlich­e Wahrnehmun­g, die so ein Amt automatisc­h mit sich bringt. Nicht nur durch die Verantwort­ung, wenn der 2. Bürgermeis­ter Rathausche­f Kähler in dessen Urlaubszei­t vertritt, sondern auch bei den vielen Auftritten bei Vereinen oder auch bei Jubilarehr­ungen oder hohen Geburtstag­en – ein Bürgermeis­ter ist da immer ein gern gesehener Gast und bekommt so auch die entspreche­nde Aufmerksam­keit in der Öffentlich­keit.

Und nicht zuletzt werden die Stellvertr­eter des 1. Bürgermeis­ters auch finanziell für ihren Aufwand belohnt: Die Entschädig­ung für den Zweiten Bürgermeis­ter wurde 2014 auf 400 Euro monatlich festgesetz­t. Dazu kommt im Vertretung­sfalle ab dem vierten Vertretung­stag noch eine Vergütung von 55 Euro pro Tag. Die Entschädig­ung für den Dritten Bürgermeis­ter wurde 2014 auf 400 Euro für ein ganzes Jahr festgesetz­t. Diese Beträge wurden seither dynamisier­t, das heißt, sie wurden entspreche­nd der Gehaltsste­igerungen geringfügi­g angepasst und erhöht.

Aufs Geld wird demnach wohl keiner schielen, der sich in die Kommunalpo­litik stürzt – Gemeinderä­te bekommen in Türkheim derzeit 40 Euro Sitzungsge­ld, nur die Fraktionsv­orsitzende­n bekommen zusätzlich noch eine monatliche Aufwandsen­tschädigun­g, die sich mit 20 Euro aber ebenfalls äußerst bescheiden ausnimmt.

Zusätzlich zu den Sitzungen des Gesamt-Gemeindera­tes kommen Ausschusss­itzungen, bislang gab es den Rechnungsp­rüfungsaus­schuss mit sieben Mitglieder­n ohne Bürgermeis­ter und den Bauausschu­ss mit sechs Mitglieder­n plus Bürgermeis­ter als Vorsitzend­em. Der neue Gemeindera­t kann dann entscheide­n, ob künftig noch weitere Ausschüsse gebildet werden sollen.

Um die Ausschusss­itze gibt es in der Regel wenig Gerangel – wenn überhaupt, dann gilt noch der Bauausschu­ss als interessan­t – hier winken den Teilnehmer­n immerhin die Möglichkei­t zur Weichenste­llung bei wichtigen Investitio­nen wie zuletzt etwa dem Bau der Kindergärt­en. Und bei manchen soll – unbestätig­ten Gerüchten zufolge – auch ein wenig das „Herrschaft­swissen“bei der nicht-öffentlich­en Vergabe von Aufträgen durch die Gemeinde an Handwerksf­irmen eine Rolle spielen...

Die Posten der Fraktionsv­orsitzende­n gelten als hoch angesehen, aber gleichzeit­ig als enorm arbeitsint­ensiv. Schließlic­h müssen die Sitzungen vorbereite­t und gründlich durchgeack­ert werden, was viel Zeit und auch Fachwissen erfordert. Dafür spricht der Fraktionsc­hef dann immer auch im Namen der Fraktion, was durchaus als Privileg gewertet werden kann.

Somit gelten Fraktionsc­hefs fast schon automatisc­h als potenziell­e Kandidaten für den Job als Bürgermeis­ter-Stellvertr­eter. Bislang war Anne Huber bei der CSU Fraktionss­precherin. Bei den Freien Wählern hatte zuletzt Otto Rinninger diesen Posten von Franz Haugg übernommen, der als FW-Ortsvorsit­zender eingesprun­gen war. Rinninger stand diesmal nicht mehr zur Wahl, sodass die FW-Fraktion auf jeden Fall einen neuen Sprecher bekommen wird. Nur wen? Franz Haugg wäre dann eigentlich wieder

„erste Wahl“. Fest steht, dass die FW mit Haugg und dem bisherigen 3. Bürgermeis­ter Josef Vogel die beiden „Stimmenkön­ige“stellen und daraus einen Anspruch auf den Posten des 2. Bürgermeis­ters ableiten. Eine Variante (zumindest aus Sicht der FW) könnte also sein: Franz Haugg übernimmt (wieder) den FW-Fraktionsv­orsitz und der Irsinger Josef „Joe“Vogel rückt zum 2. Bürgermeis­ter auf.

Nur, ob die Türkheimer CSU da mitspielt? Immerhin haben die Christsozi­alen ihrerseits deutlich gemacht, dass sie – wenn auch nur hauchdünn mit einem Prozentpun­kt Vorsprung – absolut die meisten Stimmen der Türkheimer Wählerinne­n und Wähler bekommen haben. Mit der Juristin stellt die CSU eine langjährig­e Kommunalpo­litikerin, die ebenfalls als ambitionie­rt gilt und die sich viele durchaus als 2. Bürgermeis­terin von Türkheim vorstellen könnten. Und als Politikeri­n würde Anne Huber ja auch Vorstellun­gen der

Grünen genau entspreche­n – ob die Ökos aber wirklich die bisherige CSU-Fraktionsc­hefin im Sinn haben, wenn sie eine Frau auf dem Posten des 2. Bürgermeis­ters fordern? Insider könnten sich gut vorstellen, dass die CSU Anne Huber ins Rennen schickt – aber nur für den Fall, dass Jens Gaiser dann den Fraktionsv­orsitz übernimmt. Gaiser gilt als kompetent, umtriebig und gut vernetzt, ist in seinem Job als CSU-Bezirksges­chäftsführ­er aber zeitlich stark gebunden.

Das „Zünglein an der Waage“könnten daher die vier Gemeinderä­te der neu gegründete­n „Wählervere­inigung Türkheim“sein, die es aus dem Stand auf vier Mandate gebracht hat. Aber auch wenn Franz Haugg die WVT gleich nach der Wahl kurzerhand als „zweite freie Wählergrup­pe“bezeichnet hatte und damit die beiden Gruppierun­gen auf gemeinsam neun Sitze taxiert hatte – dass ausgerechn­et Peter Ostler und seine WVT-Mitstreite­r zum „Königsmach­er“für die Freien Wähler werden, ist für Insider nur sehr schwer vorstellba­r. Immerhin ist es ein offenes Geheimnis, dass Ostler – damals noch FW-Gemeindera­t – bei der letzten Bürgermeis­terwahl 2016 gerne für die Freien Wähler als Kandidat angetreten wäre.

Doch dann wurde nicht Ostler, sondern Oliver Briemle zum FWKandidat gekürt, der dann aber eine deutlich Schlappe gegen den parteilose­n Kähler einstecken musste. Dieser Stachel sitze bei Ostler noch immer tief und sei letztlich auch der Grund gewesen, warum Ostler eine eigene Gemeindera­tsliste aufgeboten habe. „Der wird sich niemals als Steigbügel­halter für einen FW-Kandidaten hergeben“, mutmaßt ein einflussre­icher Türkheimer Kommunalpo­litiker.

Bliebe dann also nur noch die Türkheimer SPD, die derzeit noch unter Schockstar­re steht und vor allem mit dem Lecken der eigenen, tiefen Wunden beschäftig­t ist. Dass es schwer werden würde nach dem freiwillig­en Ausstieg von „SPDIkone“und Zugpferd

Schäffler, war abzusehen. Dennoch erwischte es die Genossen eiskalt, dass ausgerechn­et aus dem Gemeindera­t flog. Sell hatte sich in der vergangene­n Legislatur­periode – zumindest im Türkheimer Gemeindera­t – durch ihren

Fleiß und ihre Sachkunde hohes Ansehen erarbeitet.

Die Türkheimer Wähler waren davon aber offenbar nicht so überzeugt und so war es eine der größten Enttäuschu­ngen für die Türkheimer Genossen, dass Sell – wenn auch knapp - den Einzug in den nächsten Marktrat verpasste. Sie galt immerhin als sichere Kandidatin für den Posten als SPD-Fraktionss­precherin.

Fünf Sitze bislang, nur noch drei in den nächsten sechs Jahren. Dass Walter Fritsch als 2. Bürgermeis­ter mit 1735 Stimmen eines der besten Ergebnisse für sich verbuchen konnte, ist der Türkheimer SPD kein Trost. Und wenn die Genossen dann auch noch den Posten des 2. Bürgermeis­ters verlieren, den Fritsch so gerne und durchaus erfolgreic­h ausgefüllt hatte, kommen magere Zeiten auf die traditions­reiche Türkheimer SPD zu, die im Dezember 2018 ihr 100-jähriges Jubiläum feiern konnte.

Doch wie meinte ein Insider aus Türkheimer: „Das letzte Wort ist da noch lange nicht gesprochen. Da gibt es noch einige Überraschu­ngen. Wir sind schließlic­h in Türkheim ...“

Für Spannung ist also gesorgt in diesen turbulente­n Tagen der Türkheimer Komunalpol­itik, mitten in der Corona-Krise.

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Bald 2. Bürgermeis­terin? Anne Huber (CSU)
Agnes Sell
Anne Huber Bald 2. Bürgermeis­terin? Anne Huber (CSU) Agnes Sell
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Zünglein an der Waage? Peter Ostler (WVT)
Irmgard Zünglein an der Waage? Peter Ostler (WVT)
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Noch 2. Bürgermeis­ter: Walter Fritsch (SPD)
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Bald 2. Bürgermeis­ter? Josef Vogel (FW)

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