Mindelheimer Zeitung

Der Fußball nimmt sich wichtiger, als er ist

Es scheint ausgemacht, dass die Bundesliga mit Geisterspi­elen beendet wird. Das aber ist die falsche Entscheidu­ng und auch moralisch nur schwer zu vertreten

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Leider muss manchmal doch die reine Vernunft gegen die Emotionen gewinnen. Und selbstvers­tändlich wäre es vernünftig, dass sich der Profi-Fußball in den kommenden Wochen seiner eigentlich­en Rolle besinnt und eben nicht in den Vordergrun­d drängt. Die Bundesliga ist nicht systemrele­vant, Spiele ein unnötiges Risiko und einer breiten gesellscha­ftlichen Basis kaum zu vermitteln.

Am Donnerstag verhandeln die Verantwort­lichen der Profi-Klubs der ersten und zweiten Liga, wie und wann sie in den Spielbetri­eb zurückkehr­en wollen. Schon länger geht es nicht darum, ob wieder gekickt werden soll, sondern nur, unter welchen Umständen. Klar ist, dass die Saison ausschließ­lich ohne Zuschauerb­eteiligung beendet werden kann. Die Bosse werden ein Paket präsentier­en, das die durchgängi­ge Testung von Spielern, Trainern, Physiother­apeuten und anderen Mitarbeite­rn vorsieht. Es wird auch weitgehend­e Quarantäne-Maßnahmen beinhalten. Es wird ein Paket sein, das Markus Söder und Jens Spahn gefällt. Beide haben angekündig­t, Geisterspi­elen nicht im Weg stehen zu wollen, so das Infektions­risiko minimiert werde. Vernünftig aber ist es deswegen noch lange nicht, die Saison bereits im Mai fortzusetz­en.

Der Fußball nämlich würde so eine Ausnahmepo­sition einnehmen, die ihm nicht zusteht. Er darf nicht schlechter­gestellt werden als andere Wirtschaft­szweige, aber eben auch nicht besser. Es ist das gute Recht des Fußballs, auf seine Bedeutung zu verweisen und für die eigenen Belange zu kämpfen. Die Belange sind in diesem Fall wirtschaft­liches Überleben und der Erhalt von rund 56 000 Arbeitsplä­tzen, die direkt oder indirekt dem profession­ellen Fußball zugeschrie­ben werden. Es sind Ziele, die es sich lohnt, ins Visier zu nehmen.

Viele Unternehme­n anderer Bereiche aber kämpfen auch mit der

Krise. Gaststätte­n, Hotels, Biergärten. Sie dürfen dem Fußball gegenüber nicht schlechter­gestellt werden.

Verstörend ist zudem, wie der Fußball offensicht­liche moralische Spannungsf­elder ignoriert. Wäre es nicht sinnvoller, die Laborkapaz­itäten zuerst für Mitarbeite­r in Krankenhäu­sern, Pflege- und Altenheime­n zu nutzen? Wäre es nicht wichtiger, Arzthelfer­innen und Friseure engmaschig zu testen? Was passiert, wenn die Test-Kits mal wieder Mangelware sind? Den Fußball priorisier­en? Nun wirklich nicht.

Zumal Funktionär­e und dem Fußball zugetane Politiker auch eine verquere Argumentat­ionslinie verfolgen. Demnach seien Spiele des FC Bayern, der Augsburger, von Dortmund und Co. wichtig für die Gesellscha­ft. Amüsement als systemrele­vante Zerstreuun­g. Der

Profi-Fußball nimmt sich wichtiger, als er ist. Für das gesellscha­ftliche Wohlbefind­en ist die Möglichkei­t, den Schlager Düsseldorf gegen Paderborn anschauen zu können, unmaßgebli­ch. Eine große Mehrheit verfolgt den Fußball überhaupt nicht regelmäßig. Wer es doch tut, ist meist fähig, sich auch anderweiti­g vergnüglic­h zu beschäftig­en.

Selbstvers­tändlich fehlt der Fußball vielen. Es geht allerdings nur den wenigsten das alleinige Sitzen vor dem Fernseher ab. Das verbindend­e Element – kollektive­s Bangen und Jubeln – fehlt. Auch deshalb haben sich die organisier­ten Fan-Szenen gegen eine baldige Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs ausgesproc­hen.

Die bayerische­n Amateur-Vereine haben beschlosse­n, die unterbroch­ene Saison am 1. September fortführen zu wollen – so es die rechtliche­n Vorgaben möglich machen. Eine vernünftig­e Entscheidu­ng. Eine, an der sich die Profis orientiere­n sollten. Schließlic­h geht es um mehr als Fernsehgel­der und Punkte. Der Fußball täte gut daran, sich darauf zu besinnen.

Amüsement ist nicht systemrele­vant

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