Der Fußball nimmt sich wichtiger, als er ist
Es scheint ausgemacht, dass die Bundesliga mit Geisterspielen beendet wird. Das aber ist die falsche Entscheidung und auch moralisch nur schwer zu vertreten
Leider muss manchmal doch die reine Vernunft gegen die Emotionen gewinnen. Und selbstverständlich wäre es vernünftig, dass sich der Profi-Fußball in den kommenden Wochen seiner eigentlichen Rolle besinnt und eben nicht in den Vordergrund drängt. Die Bundesliga ist nicht systemrelevant, Spiele ein unnötiges Risiko und einer breiten gesellschaftlichen Basis kaum zu vermitteln.
Am Donnerstag verhandeln die Verantwortlichen der Profi-Klubs der ersten und zweiten Liga, wie und wann sie in den Spielbetrieb zurückkehren wollen. Schon länger geht es nicht darum, ob wieder gekickt werden soll, sondern nur, unter welchen Umständen. Klar ist, dass die Saison ausschließlich ohne Zuschauerbeteiligung beendet werden kann. Die Bosse werden ein Paket präsentieren, das die durchgängige Testung von Spielern, Trainern, Physiotherapeuten und anderen Mitarbeitern vorsieht. Es wird auch weitgehende Quarantäne-Maßnahmen beinhalten. Es wird ein Paket sein, das Markus Söder und Jens Spahn gefällt. Beide haben angekündigt, Geisterspielen nicht im Weg stehen zu wollen, so das Infektionsrisiko minimiert werde. Vernünftig aber ist es deswegen noch lange nicht, die Saison bereits im Mai fortzusetzen.
Der Fußball nämlich würde so eine Ausnahmeposition einnehmen, die ihm nicht zusteht. Er darf nicht schlechtergestellt werden als andere Wirtschaftszweige, aber eben auch nicht besser. Es ist das gute Recht des Fußballs, auf seine Bedeutung zu verweisen und für die eigenen Belange zu kämpfen. Die Belange sind in diesem Fall wirtschaftliches Überleben und der Erhalt von rund 56 000 Arbeitsplätzen, die direkt oder indirekt dem professionellen Fußball zugeschrieben werden. Es sind Ziele, die es sich lohnt, ins Visier zu nehmen.
Viele Unternehmen anderer Bereiche aber kämpfen auch mit der
Krise. Gaststätten, Hotels, Biergärten. Sie dürfen dem Fußball gegenüber nicht schlechtergestellt werden.
Verstörend ist zudem, wie der Fußball offensichtliche moralische Spannungsfelder ignoriert. Wäre es nicht sinnvoller, die Laborkapazitäten zuerst für Mitarbeiter in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen zu nutzen? Wäre es nicht wichtiger, Arzthelferinnen und Friseure engmaschig zu testen? Was passiert, wenn die Test-Kits mal wieder Mangelware sind? Den Fußball priorisieren? Nun wirklich nicht.
Zumal Funktionäre und dem Fußball zugetane Politiker auch eine verquere Argumentationslinie verfolgen. Demnach seien Spiele des FC Bayern, der Augsburger, von Dortmund und Co. wichtig für die Gesellschaft. Amüsement als systemrelevante Zerstreuung. Der
Profi-Fußball nimmt sich wichtiger, als er ist. Für das gesellschaftliche Wohlbefinden ist die Möglichkeit, den Schlager Düsseldorf gegen Paderborn anschauen zu können, unmaßgeblich. Eine große Mehrheit verfolgt den Fußball überhaupt nicht regelmäßig. Wer es doch tut, ist meist fähig, sich auch anderweitig vergnüglich zu beschäftigen.
Selbstverständlich fehlt der Fußball vielen. Es geht allerdings nur den wenigsten das alleinige Sitzen vor dem Fernseher ab. Das verbindende Element – kollektives Bangen und Jubeln – fehlt. Auch deshalb haben sich die organisierten Fan-Szenen gegen eine baldige Wiederaufnahme des Spielbetriebs ausgesprochen.
Die bayerischen Amateur-Vereine haben beschlossen, die unterbrochene Saison am 1. September fortführen zu wollen – so es die rechtlichen Vorgaben möglich machen. Eine vernünftige Entscheidung. Eine, an der sich die Profis orientieren sollten. Schließlich geht es um mehr als Fernsehgelder und Punkte. Der Fußball täte gut daran, sich darauf zu besinnen.
Amüsement ist nicht systemrelevant