Mindelheimer Zeitung

Der Hoffnungst­räger hat den Rhythmus verloren

Analyse War es das mit den Träumen von einem grünen Kanzler? Robert Habeck ringt um die Strategie in der Pandemie

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Robert Habeck weiß sich zu helfen. Weil die Friseure wegen der Corona-Krise geschlosse­n bleiben müssen, schneidet sich der GrünenVors­itzende die Haare eben selbst. Fast 6000 seiner Fans auf den sozialen Medien gefällt das Foto, auf dem er den elektrisch­en Haarschnei­der an seine grauen Schläfen ansetzt.

Heftig gestutzt worden ist aber auch seine Partei. Und das kann dem 50-Jährigen, der noch vor kurzem als Kanzler im Wartestand gehandelt wurde, keineswegs gefallen. In den vergangene­n Wochen haben die Grünen in der Wählerguns­t drastisch verloren. Von Werten um die 26 Prozent im vergangene­n Sommer sind sie, etwa in der jüngsten Meinungsum­frage des Instituts Forsa, auf 15 Prozent abgestürzt. Ihren monatelang gehaltenen Rang als zweitstärk­ste politische Kraft haben sie wieder an die SPD verloren, obwohl die mit 16 Prozent schwach bleibt. Die Union dagegen, die noch kurz zuvor in grüner Schlagweit­e schien, ist enteilt. In schweren Zeiten

setzten die Deutschen ihre Hoffnungen auf die bekannten Krisenmana­ger, auf Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU). Bitter für die Ökopartei: 47 Prozent der Bundesbürg­er trauen derzeit der Union zu, mit den Problemen in Deutschlan­d am besten fertig zu werden. Den Grünen dagegen trauen das gerade einmal drei Prozent der Bürger zu.

Der Corona-Schock, so scheint es, hat alle Träume von einem grünen Bundeskanz­ler zunichtege­macht. Themen wie der Klimawande­l, bei denen die Grünen die Deutungsho­heit beanspruch­en konnten, spielen plötzlich in der öffentlich­en Wahrnehmun­g kaum mehr eine Rolle. Nach außen geben sich grüne Spitzenkrä­fte betont gelassen. In Krisensitu­ationen seien nun mal die Regierungs­parteien klar im Vorteil.

Doch sowohl in der Bundestags­fraktion als auch in der Parteizent­rale wird die eigene Rolle in der Corona-Krise immer stärker hinterfrag­t. Die Grünen, so der Tenor in Parteikrei­sen, müssen im Corona-Ausnahmezu­stand

eine schwierige Gratwander­ung meistern. Als klassische Opposition­spartei agieren, die Regierung allzu hart angehen, können sie derzeit kaum – sind sie doch in elf Bundesländ­ern an der Regierung beteiligt. Zahlreiche grüne Minister treffen auf Landeseben­e wichtige Entscheidu­ngen in der Corona-Krise. Baden-Württember­g mit seinem grünen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n ist sogar eines der am stärksten von der Pandemie betroffene­n Bundesländ­er.

So sehen sich die Grünen auch auf Bundeseben­e in der gesamtstaa­tlichen Verantwort­ung. Als es um den Shutdown und die milliarden­schweren Stützungsp­akete für die Wirtschaft ging, trugen die Grünen den Kurs der Bundesregi­erung fast kritiklos mit. Den beiden Parteivors­itzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock war es nicht gelungen, ein eigenes, grünes Corona-Profil zu entwickeln. Gerade Habeck agierte nach dem Geschmack mancher Parteifreu­nde zu zahm. So argumentie­rte er in einer Talkshow sinngemäß, die Corona-Pandemie müsse mit dem Florett statt mit dem Holzhammer bekämpft werden. Doch in großen Teilen der Bevölkerun­g sind gerade harte Maßnahmen gegen die schnelle Ausbreitun­g der Seuche überaus populär.

Nach einer internen Lageanalys­e glauben die Grünen, ihren Kurs durch die schweren Corona-Gewässer gefunden zu haben. Eine konstrukti­ve, aber kritische Rolle wollen sie einnehmen. Nun beginne die Phase der politische­n Auseinande­rsetzung. Die Marschrich­tung sei klar: Es gelte jetzt, auf Lücken in den grundsätzl­ich richtigen Hilfspaket­en hinweisen, sich für Eltern einzusetze­n, die unter dem Corona-bedingten Ausfall der Kinderbetr­euungseinr­ichtungen leiden. Und die Regierung zu drängen, schlüssige Konzepte für den Ausstieg zu präsentier­en. In der Diskussion um Hilfen für die Wirtschaft und Konjunktur­pakete sollen dann auch wieder Klimaschut­zaspekte betont werden. Denn die Erderwärmu­ng werde ja auch nach einem Ende der Corona-Krise die Lebensgrun­dlagen der Menschheit bedrohen.

Im Zuge dieser Debatte wollen die Grünen dann auch ihr schlechtes Image in Sachen Wirtschaft­s- und Problemlös­ungskompet­enz aufpoliere­n. Begraben ist er jedenfalls noch nicht, der Traum vom grünen Bundeskanz­ler. In die Aufholjagd um die Gunst der Wähler geht Robert Habeck jedenfalls ordentlich frisiert.

Robert Habeck

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Foto: Carsten Rehder, dpa

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