„Ich bin fassungslos“
Staatshilfe Thomas Eigenthaler, Chef der deutschen Steuergewerkschaft, über die Mitnahmeeffekte bei den Corona-Hilfsprogrammen und Amoral in der Wirtschaft in Zeiten der Krise
Herr Eigenthaler, normalerweise jagen Sie Schwarzgeld hinterher. Werden Sie in den kommenden Jahren Firmen nachspüren, die zu Unrecht CoronaHilfen kassiert haben?
Thomas Eigenthaler: In ganz Deutschland wird derzeit hunderttausendfach Staatsgeld in Form von Soforthilfen an Unternehmen ausbezahlt. Dieses Geld ist steuerpflichtig und muss deswegen in der Buchführung der Firmen auftauchen. Die Finanzämter werden also irgendwann mit diesen Zuschüssen zu tun haben und dann merken, wenn jemand das Geld gar nicht verdient hat.
Wie hoch schätzen Sie das Missbrauchspotenzial ein?
Eigenthaler: Es gibt aktuell zwei Quellen von Missbrauch. Die eine ist, dass Fake-Anträge von Internetkriminellen gestellt werden. Das ist der klassische Betrugsfall, wie er jüngst etwa in Nordrhein-Westfalen für Aufsehen gesorgt hat. Ich gehe aber davon aus, dass man das zeitig abstellen wird. Die zweite Quelle ist, dass eine Reihe von Firmen falsche Angaben macht und sich somit mehrere tausend Euro je Fall erschleicht, obwohl eigentlich die Voraussetzung für den Erhalt der Zahlung nicht gegeben ist. Da werden dann Umsätze nicht korrekt dargestellt oder der Liquiditätsengpass zu düster beschrieben. Wenn es sich um eine wissentliche Falschangabe handelt, wäre es Subventionsbetrug oder Steuerhinterziehung.
Gibt es eine Art Herdeneffekt, weil sich Firmenchefs derzeit geradezu genötigt sehen, Staatshilfe in Anspruch zu nehmen. Der direkte Konkurrent eine Straße weiter macht es ja auch … Eigenthaler: Als Bürger und kundiger Finanzfachmann hat mich eines sehr gewundert: Bislang hat der Staat immer sehr genau hingeschaut. Bei der Diskussion um die Grundrente beispielsweise ist die Bedürftigkeitsprüfung immer noch eines der Hauptstreitthemen. Jetzt allerdings scheint das nicht mehr so wichtig. Es wird sehr schnell ausbezahlt und dazu werden die Maßnahmen vom Staat noch sehr offensiv beworben – und zwar vom Bund wie auch von den Ländern. Da entsteht ein Nichts-wie-hin-Effekt mit dem Resultat, dass sich ein Unternehmer der staatlichen Geld-Offerte kaum entziehen kann.
Wenn Firmen Steuern hinterziehen, wird der Wettbewerb zulasten der Ehrlichen verzerrt. Bei Subventionen oder Staatshilfen ist es ähnlich. Geht gerade alles gerecht zu?
Eigenthaler: Eine Subvention ist immer ein Problem, weil sie einen staatlichen Eingriff in die freie Wirtschaft darstellt. In Fällen echter Liquiditätsengpässe kann man solch einen Eingriff vertreten. Man muss dann aber umso mehr schauen, dass diejenigen, die die Hilfen nicht benötigen, weil bei ihnen der Rubel noch rollt, dieses Geld nicht bekommen. Sonst kommt es zu Mitnahmeeffekten, die den Wettbewerb verzerren. Man darf bei all dem aber nicht ganz vergessen, dass die jetzt ausbezahlten Direkthilfen steuerpflichtig sind. Ein Teil des Geldes fließt wieder an den Fiskus zurück.
Haben Sie Verständnis für Unternehmen, die dieser Tage fette Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten und gleichzeitig Staatsgeld kassieren oder die Belegschaft kurzarbeiten lassen? Eigenthaler: Wer Subventionen in Anspruch nimmt, dazu gehört auch das Instrument der Kurzarbeit, muss fair bleiben. Alles andere wäre unmoralisch. Einerseits staatliche Hilfen abzugreifen und andererseits hohe Boni ans Management oder hohe Dividenden an die Aktionäre auszuzahlen, würde bedeuten, gegen grundlegende Prinzipien unseres Zusammenlebens zu verstoßen. Wir befinden uns durch die CoronaKrise in einer Art Schicksalsgemeinschaft. Da müssen alle ihren Beitrag leisten, nicht nur einige wenige und die anderen halten die Hände auf. Rechtlich kann man eine Boni-Zahlung wahrscheinlich meistens nicht verhindern. Oft sind solche Zahlungen vertraglich derart wasserdicht formuliert, dass man bei einem Streit vor Gericht eine Niederlage erleiden würde. Es ist also tatsächlich eine Frage des Anstands.
Sehen Sie die deutsche Wirtschaft da als moralisch gefestigt an? Eigenthaler: Die deutsche Wirtschaft ist vielfältig aufgestellt. Es gibt Kleinunternehmer und Soloselbstständige, von denen viele um ihre Existenz kämpfen. Wir haben den Mittelstand und die Konzerne. Im Mittelstand gibt es sicher sehr viele Unternehmer, die treu und solidarisch sowohl zur Gesellschaft als auch zu ihren Belegschaften stehen. Die unmoralische Loslösung von der gesellschaftlichen Verantwortung findet wohl eher dort statt, wo angestellte Manager in Aktiengesellschaften das Sagen haben.
Zurzeit bekommen auch Firmen Kredit, deren Gewinnsituation schon vor der Krise angespannt war. Wie sollen solche Firmen in Zukunft auch noch staatliche Darlehen zurückzahlen? Eigenthaler: Bei Krediten besteht meistens die Möglichkeit, dass sich das Unternehmen wieder fängt. Deswegen würde ich im Zweifel nicht kategorisch Nein sagen. Natürlich muss man sauber prüfen. Das erwarte ich von den damit betrauten Banken, auch wenn sie vom Bund weitgehend aus der Haftung entlassen worden sind. Bei den Direkthilfen ist die Gefahr größer, dass der Staat am Ende die Zeche zahlt.
Angesichts der begrenzten Ressourcen der Steuerverwaltung – wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass schwarze Schafe im Nachhinein belangt werden? Eigenthaler: Wir haben allenfalls Ressourcen für stichprobenhafte Überprüfungen. In den deutschen Finanzämtern gab es schon vor der Krise 6000 unbesetzte Stellen, weil wir keine passenden Bewerber finden. Da hat man dann zwei Möglichkeiten. Entweder man prüft oberflächlicher oder die Dinge bleiben länger liegen. Aus meiner Sicht muss der Staat aber sorgfältig prüfen, schlicht um glaubwürdig zu bleiben und Steuergerechtigkeit zu wahren. Man darf nicht vergessen, dass es sich um das Geld der Steuerzahler handelt. Es fällt nicht vom Himmel und es kommt auch nicht vom Goldesel.
Wird es durch die aktuelle Lage für Lieschen Müller zu Verzögerungen bei der Bearbeitung ihrer Steuererklärung 2019 kommen?
Eigenthaler: Einfache Steuererklärungen werden durch unsere elektronischen Risikomanagementsysteme recht zuverlässig erkannt und in vielen Fällen schon rein IT-gestützt verarbeitet. Bei 10 bis 12 Prozent der Steuererklärungen schaut gar kein Mensch mehr drüber. Ich denke, dass sich Verzögerungen, etwa bei Steuerrückerstattungen, in Grenzen halten werden.
Reiben Sie sich manchmal die Augen, wenn Sie das derzeitige Geschehen betrachten. Grade noch war die schwarze Null das Mantra schlechthin, jetzt wird ein milliardenschwerer Nachtragshaushalt in ein paar Tagen aufgelegt und Hilfsprogramme im BillionenBereich freigegeben…
Eigenthaler: Als Mann der Finanzen bin ich in der Tat fassungslos. Ich habe jahrzehntelang erlebt, wie gespart und die schwäbische Hausfrau als Ideal dargestellt wurde. Die schwarze Null im Haushalt wurde wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Im Öffentlichen Dienst wurde für das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts massiv eingespart. Und dann erlebe ich, wie innerhalb von Stunden über Milliarden entschieden wird. Und das Ganze hört ja nicht auf. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben in den Haushalten von Bund, Ländern und vor allem auch bei den Gemeinden wird noch viel größer werden. Die Ausgaben werden massiv steigen, die Steuereinnahmen stark zurückgehen. Die Lücke kann man nur mit Krediten füllen. Oder man erhöht die Steuern massiv, wofür sich derzeit aber keine Mehrheit finden wird. Fragen: Walther Rosenberger