Deutschland darf nicht nur den Großen helfen
Die Autoindustrie muss massive Einbußen hinnehmen und braucht sicher staatliche Hilfe. Doch Hotel- und Gaststättenbesitzer verdienen ebenfalls Unterstützung
Wenn der Krise etwas Gutes eigen ist, dann die Erkenntnis, dass nicht nur Branchen wie das Finanzgewerbe systemrelevant sind. Den Eindruck konnte man noch während des letzten großen ökonomischen Bebens in den Jahren 2008 und 2009 gewinnen, als Geldhäuser reihenweise kollabierten. Nun wissen wir: Mindestens so systemrelevant für das Wohlergehen eines Gemeinwesens ist die Gesundheitswirtschaft, also Arztpraxen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Pharma-Unternehmen, Maskenhersteller und Produzenten von Beatmungsgeräten. Daher klatschen wir Ärzten, Pflegern und Krankenschwestern zu. Endlich erhalten sie nun zumindest die ihnen gebührende ideelle Wertschätzung. Mehr Lohn muss bald folgen.
Dabei gibt es mit der Autoindustrie
einen Wirtschaftszweig, der sich über mangelnde Empathie gerade seitens der Politik, wie auch immer Bundesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten zusammengesetzt waren, nicht beklagen kann. Die Branche hält sich selbst für mega-systemrelevant, arbeiten für sie doch mehr als 800 000 Menschen. Wenn die Autoindustrie hustet, kann Deutschland eine Lungenentzündung bekommen.
Deshalb verdient der SchlüsselWirtschaftszweig wie schon während der Finanzmarktkrise die Unterstützung der Bundesregierung. Doch es darf nicht bei einer Kopie der einstigen Umwelt- oder Abwrackprämie im Fall des Kaufs eines Neuwagens bleiben. Dieses Mal muss die Gewährung eines solchen Bonus noch viel stärker an ökologische Auflagen gekoppelt werden.
Käufer sollten nur dann einen staatlichen Zuschuss – also ein Geschenk der Steuerzahler-Gemeinschaft – erhalten, wenn sie sich für ein Fahrzeug entscheiden, das besonders wenig CO2 und Stickoxide ausstößt, ja dessen Reifenabnutzung so minimal wie möglich Feinstaub erzeugt. Somit spricht vieles dafür, vor allem kompakte Elektro- und Hybridautos noch einmal zusätzlich zu fördern. Die Autoindustrie braucht Hilfe, denn die Hersteller können nur dann ihre Fabriken wieder rentabel auf Dauer hochfahren, wenn die Bürger trotz Corona-Unsicherheit bereit sind, viel Geld in ein neues Auto zu investieren. Dass nun der Wehklage- und
Forderungs-Chor der mächtigsten deutschen Lobbygruppe nach Subventionen Gehör findet, darf indes als gesichert betrachtet werden.
Die Bundesregierung sollte jedoch einen anderen Wirtschaftszweig nicht vergessen, dessen gute Dienste derzeit so viele Menschen sehnsüchtig vermissen. In Zeiten sozialen Abstands wird immer mehr Bürgern klar, wie relevant Kneipen, Restaurants, Cafés, Biergärten, Pensionen und Hotels sind. Gaststätten
bilden Wärme- und existenzielle Kontaktpole unseres Lebens. Wenn dann die Wirte und Hoteliers auch endlich wieder mit wahrscheinlich hohen Auflagen öffnen dürfen, sollten wir auch ihnen zuklatschen, etwa dafür, dass sie so lange durchgehalten haben und erneut für uns da sind. Das massenhafte isolierte Dauerkochen in deutschen Quarantäne-Haushalten ist jedenfalls keine Dauerlösung.
Doch wenn sich die Politik nicht sputet, kommt für manche Gaststättenund Hoteleigner jede Hilfe zu spät. Dann gehen viele der Betriebe pleite. Die Branche findet in Berlin zwar schwerer Gehör als die Autoindustrie, ist aber ebenso gesellschaftlich relevant mit 223000 gastgewerblichen Betrieben und rund 2,4 Millionen Beschäftigten.
Die Gastronomen haben eine spürbare Starthilfe verdient, wenn sie wieder loslegen dürfen. Viele von ihnen halten sicher durch, falls Berlin ihren heißesten Wunsch erfüllt und den Mehrwertsteuersatz von 19 auf sieben Prozent senkt.
Die Reform ist überfällig und wirkt systemerhaltend.
Kneipen sind ein Wärme- und Kontaktpol