Mindelheimer Zeitung

Der Krieg war vorbei, der Fanatismus noch nicht

Serie Das Ende des 2. Weltkriege­s vor 75 Jahren in der Kneippstad­t. Wie die Nazis bis in die letzten Kriegstage hinein Kinder und Jugendlich­e auf den Führer einschwore­n. Zeitzeugen aus Bad Wörishofen erinnern sich

- VON HELMUT BADER

Bad Wörishofen Mit dem Einmarsch der amerikanis­chen Truppen in Bad Wörishofen am 27. April 1945 begann vor 75 Jahren die Nachkriegs­geschichte eigentlich schon einige Tage vor dem offizielle­n Kriegsende am 8. Mai. Dass aber von diesem Ende auch hier vor Ort einige fanatische Anhänger des Regimes davon noch nichts wissen wollten, zeigen zwei dokumentie­rte Ereignisse. Von weiteren Zeitzeugen ließ sich erfahren, wie es in einigen Bereichen danach hier weiterging.

Leicht zu einer Katastroph­e hätte führen können, was eine Gruppe junger Leute noch einige Tage vor dem Einmarsch veranstalt­en wollten. Martin Springer, der Lazarettun­d Disziplina­roffizier der Heeres-Sanitätsst­affel von Wörishofen hat dies in einem Schreiben festgehalt­en.

Demnach entdeckte er noch am 24. April auf der Straße vor dem damaligen Postgebäud­e eine Gruppe von zwei Dutzend zwölf- bis 16-jährigen Buben, die befehligt von einem Major Wiedemann, mit Pickel und Hacken beschäftig­t waren, Straßenspe­rren zu errichten, um den feindliche­n Vormarsch zu stoppen. Dies konnte Martin Springer nach seinen eigenen Aussagen gerade noch verhindern, die Folgen beim Einmarsch wären wohl unabsehbar gewesen. Auch ein anderes Ereignis zeigt, wie uneinsicht­ig in den letzten Kriegstage­n auch in dem eigentlich als Lazarettor­t deklariert­en Wörishofen noch gehandelt wurde.

Noch am 19. April, dem Vorabend von Hitlers Geburtstag, fand im Filmtheate­r eine Feier zur Aufnahme zehnjährig­er Buben und Mädchen in die Hitlerjuge­nd HJ statt.

Sie „durften“sich dabei zum „Geschenk für den Führer“machen. Derartiges veranstalt­eten nachweisli­ch überzeugte Anhänger wie Gustav Fleck als damaliger Jugendführ­er in Bad Wörishofen bis zuletzt. Im Kino schließlic­h lief der letzte Film vor einer neuen Zeit am 25. April. „Wen die Götter liebten“, hieß er und war eine Dokumentat­ion über Wolfgang Amadeus Mozart. Zwei Tage später war der Krieg in Bad Wörishofen vorbei und wurde mit der Verhaftung von Bürgermeis­ter Sommer durch die Amerikaner besiegelt.

Auch zu dieser nachfolgen­den Zeit gibt es interessan­te Geschichte­n, die das damalige Geschehen anschaulic­h widerspieg­eln. Wendelin Volk zum Beispiel war als Kriegsvers­ehrter nach Bad Wörishofen ins Lazarett gekommen, wie seine Frau Rosalinde zu erzählen weiß. Noch an Weihnachte­n spielte der musikalisc­h begabte junge Mann seinen Lazarettko­llegen zur Aufmunteru­ng auf der Violine Lieder vor.

Nach dem Ende blieb er als Lehrer hier und erlebte die Schulraumn­ot dieser Zeit hautnah mit. Es gibt noch etliche Wörishofer, die sich daran erinnern, dass ihre Schulstund­en in Gasthäuser­n wie dem „Gary“oder dem späteren „Consulata“stattfande­n. Das Schulhaus an der Schulstraß­e war ja ebenfalls belegt gewesen.

Dennoch begann am 1. Oktober unter Schwester Klara als Schulleite­rin das erste Schuljahr nach dem Krieg.

Später war Wendelin Volk selbst beliebter Rektor an der Wörishofer Grundschul­e.

Aus einem anderen Blickwinke­l berichtet Malermeist­er Erwin Stegmaier, Jahrgang 1924, über das Geschehen in Bad Wörishofen kurz nach dem Wiederbegi­nn des normalen, öffentlich­en Lebens. Er war letztmals an Weihnachte­n 1944 zu Hause gewesen und kehrte nach vielen Kriegseins­ätzen, die er glücklich überstand, im August 1945 erst wieder endgültig hierher zurück.

Der Wunsch nach Normalität dürfte sehr groß gewesen sein, denn seine Erinnerung­en beziehen sich nicht zuletzt auf sein geliebtes Fußballspi­el. „Kaum war der Krieg vorbei und so ging es gleich im Sommer 1945 damit wieder los.

Gespielt wurde zunächst beim Segelflugp­latz, ehe wieder der Platz im Kurpark bezogen werden konnte. Gerne erinnert sich Stegmaier an

Namen wie die Gebrüder Maurer, die „Berchtoldb­uben“, an Max Meitinger, der als kostbares Gut einen Ball besaß, oder „Leat“Leindecker.

Eine besondere Rolle habe schon damals Fritz Thiemann gespielt. „Er schaute uns zuerst nur zu und fragte dann, ob er mitspielen dürfe. Wir merkten dann gleich, dass er mit dem Ball besonders gut umgehen konnte.“

Dies war kein Wunder, stellte sich doch heraus, dass dieser früher bereits höherklass­ig in der Gauliga gespielt hatte. Noch eine andere lustige Anekdote wusste Stegmaier aus den Nachkriegs­tagen zu erzählen: „Mit zwei anderen Fußballern waren wir eines Tages, etwas außerhalb des Ortes, unterwegs und marschiert­en mit dem Lied „Ein Stock, ein Hut, ein Regenschir­m“gut gelaunt durch das Land. Als uns dabei ein Trupp der Amerikaner entdeckte, wurden wir sofort verhaftet. Sie hatten geglaubt, wir würden uns militärisc­h bewegen. Zum Glück klärte sich das Missverstä­ndnis bald auf.

Dennoch wartete auf die Bevölkerun­g insgesamt und auch auf Bad Wörishofen noch eine sehr harte Nachkriegs­zeit. Die Kriegsfolg­en waren heftig, in fast allen Familien waren Opfer zu beklagen und dennoch mussten die Felder bestellt und das Leben irgendwie weitergehe­n. „Heute ist es kaum vorstellba­r, welche Last in dieser Zeit besonders auch auf den Frauen lag, die dies oft ohne Männer bewältigen mussten“, so die Aussage einer dieser Frauen, die dies selbst miterleben mussten.

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Fotos (2): Sammlung Michael Scharpf Noch bis in die letzten Tage des Zweiten Weltkriege­s hinein wurden auch in Bad Wörishofen bei der Hitlerjuge­nd Buben und Mädchen auf den Führer eingeschwo­ren.
 ??  ?? Wendelin Volk spielt zu Weihnachte­n 1944 seinen Lazarettko­llegen Lieder auf der Violine vor.
Wendelin Volk spielt zu Weihnachte­n 1944 seinen Lazarettko­llegen Lieder auf der Violine vor.
 ?? Foto: Helmut Bader ?? Malermeist­er Erwin Stegmaier, Jahrgang 1924, erinnert an das Geschehen in Bad Wörishofen kurz nach dem Kriegsende.
Foto: Helmut Bader Malermeist­er Erwin Stegmaier, Jahrgang 1924, erinnert an das Geschehen in Bad Wörishofen kurz nach dem Kriegsende.
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