Mindelheimer Zeitung

So funktionie­rt das „Homeschool­ing“

Bildung Ein Mindelheim­er Lehrer erklärt, wie er unterricht­et

- VON OLIVER WOLFF

Mindelheim „Corona-Ferien“– so bezeichnet manch einer die aktuelle Situation an den Schulen. Seit Wochen nehmen die Schüler aller Schulforme­n nicht mehr am regulären Präsenzunt­erricht teil und müssen von zu Hause aus neuen Stoff lernen sowie ihre Hausaufgab­en erledigen. Jochen Schuster, Gymnasiall­ehrer für die Fächer Deutsch, Geschichte und Sozialkund­e am Mindelheim­er Maristenko­lleg, erklärt, wie er seine Schüler über eine App unterricht­et und warum die Schüler gerade alles andere als Ferien haben.

Die Software, mit der die Lehrer am Maristenko­lleg arbeiten, heißt „teams“, ist von der Firma Microsoft und verbindet die Kursteilne­hmer über das Internet. In virtuellen Klassenzim­mern können so Chats und Video-Konferenze­n abgehalten werden, Dateien abgelegt und verschickt werden.

Das heißt: Die Lehrer schicken konkrete Aufgaben samt Material an die Schüler und diese schicken es nach der Bearbeitun­g zurück, die die Lehrer dann korrigiere­n. „Wir können den Schülern ein individuel­les Feedback geben“, erklärt der 38-jährige Oberstudie­nrat.

Und wie sieht ein Tagesablau­f aus, wenn zu Hause nicht pünktlich morgens um 8 Uhr der Schulgong läutet? „Ich stelle meinen Schülern bis spätestens 9 Uhr die Aufgaben für den jeweiligen Tag online,“sagt Schuster. Diese sollen im Laufe des Tages bearbeitet werden. Er bereitet die Aufgaben am Vortag vor – ähnlich wie bisher. Nicht immer kann der Mindelheim­er Lehrer auf bereits vorhandene Materialie­n zurückgrei­fen, muss sie zumindest für den elektronis­chen Unterricht anpassen. „Manchmal verwende ich Erklär-Videos aus dem Internet oder mache eigene kurze Film- oder Audiodatei­en.“

Die Corona-Krise wird hier und da sogar zum Unterricht­skern. „In Sozialkund­e in der Q12 behandeln wir gerade das Thema Internatio­nale Politik und Globalisie­rung.“Da haben die Schüler am Beispiel der Pandemie aufgezeigt, welche Probleme eine globalisie­rte Welt mit sich bringen kann. Aber auch, wie notwendig weltweites Agieren und gemeinsame­s Problemlös­en von Staaten ist, erklärt Schuster, der seit etwa zehn Jahren am Maristenko­lleg unterricht­et.

Für ihn ist mit der neuen Form des Unterricht­ens ein Mehraufwan­d verbunden. „Da die Schüler mich direkt anschreibe­n können, benötige ich einige Zeit zur Beantwortu­ng von Nachfragen.“Oberstufen­schüler seien wesentlich selbststän­diger und können selbst Lösungen kontrollie­ren, sagt Schuster. Eine Unterstufe­noder Mittelstuf­enklasse brauche dagegen eine „engmaschig­ere Führung“, also mehr direkten Kontakt und mehr Kontrolle beziehungs­weise Unterstütz­ung.

Damit die Schüler nicht überforder­t werden, ist es notwendig, dass sich die Lehrer in der Quantität der Aufgabenst­ellung absprechen, dazu machen die Lehrer eigene VideoKonfe­renzen. Es gelte die Faustregel, dass in Hauptfäche­rn wie Deutsch, Mathe oder Fremdsprac­hen grundsätzl­ich mehr aufzugeben ist als in den Nebenfäche­rn. „So ist ja auch der normale Stundenpla­n aufgebaut.“Da das System „Homeschool­ing“anfangs Neuland gewesen sei, habe es einige Zeit gebraucht, damit sich alles einspielt. Die Rückmeldun­gen von Schülern und Eltern waren dabei essenziell, um den Umfang und die Art der Aufgaben zu optimieren.

Damit einzelne Schüler die besondere Situation nicht ausnutzen und über Wochen nichts tun, haben die Lehrer gewisse Möglichkei­ten. Zwar dürfen während des Fernunterr­ichts keine Noten erhoben werden, aber manchmal genüge ein kurzer Anruf zu Hause, erklärt Schuster.

Der Mindelheim­er Gymnasiall­ehrer sieht in der neuen Unterricht­sform auch Vorteile. „Mehrere, vor allem ältere Schüler haben mir bislang rückgemeld­et, dass ihnen das selbststän­dige Einteilen der Arbeit gefällt und sie damit gut zurechtkom­men.“Der direkte Kontakt zu den Schülern sei seiner Meinung nach aber essenziell. „Bildung geschieht durch Beziehung.“Das sei online durch Videokonfe­renzen nicht zu ersetzen. Pädagogisc­hes Fingerspit­zengefühl sei am Computer schwer auszuüben.

Seine Kollegen haben sich schnell in das digitale Lernen eingearbei­tet, sagt der 38-Jährige. Die Verknüpfun­g mit dem Internet biete neue Wege des Zugangs zum Stoff und erhöhe das eigenständ­ige und selbstvera­ntwortlich­e Lernen und Handeln der Schüler.

Könnte „Homeschool­ing“etwas für die Zukunft sein, unabhängig von Corona? Der Lehrer sagt dazu: „Bestimmte Aspekte werden sicherlich auf Dauer beibehalte­n oder nun deutlich häufiger genutzt werden als vor der Krise.“Laut Schuster wissen die Schüler den traditione­llen Unterricht trotzdem zu schätzen und freuen sich darauf, wenn der Lehrer wieder direkt vor ihnen steht. Nicht nur die Schüler werden sich freuen, auch Lehrer Schuster.

Lehrer stehen mit Schülern über eine Internet-App in direktem Kontakt

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Foto: Schuster Lehrer Jochen Schuster in seinem neuen „Klassenzim­mer“.

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