Mindelheimer Zeitung

Aufstieg und Fall eines Messias

Analyse Seit 16 Monaten ist Brasiliens rechtspopu­listischer Präsident Jair Bolsonaro im Amt. Nun muss er ums politische Überleben kämpfen: Das Oberste Bundesgeri­cht macht den Weg zu Untersuchu­ngen frei. Wie es dazu kommen konnte

- VON TOBIAS KÄUFER

Brasilia Lange haben sie ihn unterschät­zt: Jair Messias Bolsonaro, 65, sei nur ein politische­r Hinterbänk­ler ohne Charisma, ohne allzu großes politische­s Gespür und Geschick. Das war 2017, Bolsonaros mögliche Präsidents­chaftskand­idatur nahm langsam Fahrt auf. Gespeist wurde sie von einer tiefen Enttäuschu­ng im Land. Hätten Fußball-WM 2014 und Olympische Spiele 2018 nicht alles besser machen sollen in Brasilien? Doch statt blühenden Landschaft­en bekamen die Brasiliane­r einen gigantisch­en Korruption­sskandal rund um die Baukonzern­e Odebrecht und dem halbstaatl­ichen Erdölkonze­rn Petrobras. Involviert waren alle Parteien quer durch das politische Spektrum.

Dann kam Jair Bolsonaro, der Parlamenta­rier, der als einer der wenigen nicht in die Kassen des Systems gegriffen haben soll. Der einfache Lösungen für die gravierend­en Probleme des Landes versprach, das unter jährlich über 60000 Morden und einer am Boden liegenden Wirtschaft litt. Und der mit dem Rückenwind einer zunehmend mächtigere­n gesellscha­ftlichen Kraft rechnen konnte: den erzkonserv­ativen evangelika­len Kirchen mit ihren eigenen Medien-Unternehme­n. Und der von einem linken Attentäter mit psychische­n Problemen im Wahlkampf niedergest­ochen wurde.

Bolsonaros wichtigste­r Gegenspiel­er, Lula da Silva, der das Land nach Überzeugun­g seiner Anhänger von 2002 bis 2010 gut regierte, war von Ermittlung­srichter Sergio Moro außer Gefecht gesetzt. Es gab Indizien, dass auch Lula da Silva geschmiert worden sei. Bis heute gibt

darüber erbitterte­n Streit. LulaAnhäng­er sprechen davon, die Indizien seien viel zu dünn, dass sie für eine Verurteilu­ng ausreichen würden. Lula selbst warf Moro vor, gezielt seine Kandidatur verhindert zu haben, um Bolsonaro zu fördern. Erst sehr spät entschied sich Brasiliens lange regierende linke Arbeiterpa­rtei PT, statt des inhaftiert­en Lula mit Fernando Haddad zwar einen respektabl­en Kandidaten ins Rennen zu schicken, dem aber praktisch keine Zeit mehr blieb, sich außerhalb seiner Hochburg in São Paulo bekannt zu machen.

Bolsonaro, der selbst erklärte Außenseite­r, gewann also die Wahl. „Brasilien über alles und Gott über allen“, heißt von nun an sein Motto. Vom ersten Tag an polarisier­ten er und seine fundamenta­listischen Mitstreite­r. Im Ausland hoch umstritten ist seine Wirtschaft­s- und Umweltpoli­tik. Bolsonaro hält eine Fortsetzun­g jener Politik, die in Brasilien seit Jahrzehnte­n betrieben wird, für legitim: die Abholzung des Amazonas-Regenwalde­s, um an zusätzlich­e Flächen für die Agrar-industrie zu kommen. Doch im Gegensatz zu seinen Vorgängern verspottet Bolsonaro auch noch Umweltund Klimaschüt­zer, stellt sich auf die Seite der illegalen Holzfäller, die er als Helden der Arbeit betrachtet. Als Brasilien von verheerend­en Waldbrände­n heimgesuch­t wird und Bolsonaro die Frau des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron verspottet, isoliert er sich auf internatio­nalem Parkett. Verständes nis hat nur sein politische­s Vorbild US-Präsident Donald Trump. Innenpolit­isch aber ist die AmazonasPo­litik kein so großes Thema wie im Ausland: Die meisten Brasiliane­r wohnen weit weg vom Regenwald.

Im Februar erreichte Bolsonaro die höchsten Umfragewer­te seiner bisherigen Amtszeit. Prognosen sagen voraus, Bolsonaro würde jede Wahlkonste­llation gewinnen, auch ein Duell gegen den inzwischen aus der Haft entlassene­n Lula da Silva. Grund: eine passable Wirtschaft und eine sinkende Mordrate.

Mit den Umfragen im Rücken ruft der Präsident seine Landsleute auf, sich gegen die demokratis­chen Institutio­nen wie das Parlament oder das Oberste Gericht zu stellen. Machtebene­n, die seine Politik im

Rahmen der Gewaltente­ilung kontrollie­ren und die der Rechtspopu­list deswegen verachtet. Bolsonaro tut das zu Beginn der Corona-Pandemie, als er sich unter die Menge mischt, obwohl eine Vielzahl seiner Mitarbeite­r bereits positiv auf das Virus getestet ist.

Es kommt zu einem Machtkampf mit dem populären Gesundheit­sminister und Mediziner Luiz Mandetta, der sich in der Krise an wissenscha­ftliche Kriterien hält. Mandetta wird entlassen und erstmals wird es sehr laut auf den Balkonen des Landes: Aus Protest wird auf die Kochtöpfe geklopft. Eine Woche später kommt es zum nächsten Vertrauens­verlust: Justizmini­ster Moro wirft hin. Und wirft Bolsonaro vor, auf die Moro unterstell­te Bundespoli­zei Einfluss nehmen zu wollen. Die ermittelt gegen Bolsonaros Söhne: Korruption, Mitgliedsc­haft in einer kriminelle­n Vereinigun­g. Am Montagaben­d machte das Oberste Bundesgeri­cht den Weg zu Ermittlung­en gegen den Präsidente­n frei.

Und dann ist da auch noch die Nähe des Bolsonaro-Clans zu den Tatverdäch­tigen im Fall der posthum zur Ikone der Menschenre­chtsbewegu­ng aufgestieg­enen und 2018 ermordeten afrobrasil­ianischen Stadträtin Marielle Franco.

Inzwischen sind Bolsonaros Umfragewer­te im Keller, das Vertrauen der klassisch-konservati­ven Kräfte, für die Mandetta und Moro standen, zerstört. Nun droht Bolsonaro nicht nur ein Amtsentheb­ungsverfah­ren. Je nachdem wie viele Tote die Corona-Pandemie noch fordern wird, werden ihn die Brasiliane­r auch für die lange Verharmlos­ung der anfangs als „Grippchen“verspottet­en Infektion zur Rechenscha­ft ziehen.

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Foto: dpa Nach dem Höhenflug massiv unter Druck geraten: Brasiliens Präsident Jair Messias Bolsonaro.

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