Mindelheimer Zeitung

Öffnung mit Hinderniss­en

USA Nach dem Ende des Lockdowns in vielen Bundesstaa­ten droht in den USA ein chaotische­s Durcheinan­der

- VON KARL DOEMENS

Washington Im US-Bundesstaa­t Georgia sind Fitness-Studios und Nagelsalon­s schon wieder offen. In Tennessee dürfen Restaurant­s ihre Gäste am Tisch bedienen, sofern keine Live-Musik gespielt und maximal die Hälfte der Sitzplätze belegt wird. In Florida sind Strände geöffnet, in New Jersey gesperrt.

Sechs Wochen nach der Verhängung der ersten Ausgangsbe­schränkung­en wegen der Corona-Pandemie gleicht das Land einem Flickentep­pich. Bislang gelten vielerorts Stay-at-Home-Erlasse für die Bevölkerun­g und Lockdowns für die Wirtschaft. Doch trotz des kaum gebremsten Anstiegs auf mehr als eine Million Infizierte und fast 60000 Todesopfer­n machen Präsident Donald Trump und republikan­ische Gouverneur­e mächtig Druck, die Restriktio­nen schnell aufzuheben. „Wir öffnen unser Land wieder“, sagt Trump: „Das zu verfolgen ist sehr spannend.“

Tatsächlic­h ist es vor allem ein politische­s Schwarze-Peter-Spiel. Nachdem Trump zunächst für sich die Autorität beanspruch­te, den Schalter zur Normalität umzulegen, hat er die Verantwort­ung dafür nun doch an die Gouverneur­e delegiert. Per Twitter trieb er sie zu mutigen Schritten an. Als sein Parteifreu­nd Brian Kemp für weitreiche­nde Lockerunge­n in Georgia angegriffe­n wurde, übte Trump schnell Kritik. Und machte weiter Druck, möglichst bald die Schulen zu öffnen.

So weit wollen nur wenige Bundesstaa­ten gehen, auch wenn zum Monatsende vielerorts Ausgangsbe­schränkung­en auslaufen. In Texas etwa dürfen Geschäfte, Kinos und Restaurant­s mit einer auf 25 Prozent beschränkt­en Kapazität wieder öffnen. Mitte Mai steigt die zulässige Auslastung auf 50 Prozent. Dann dürfen auch Friseure, Tattoo-Shops und Bowlingbah­nen aufsperren. In Georgia ist der Geschäftsb­etrieb von Restaurant­s und Kinos schon seit dieser Woche erlaubt. Der demokratis­ch regierte Bundesstaa­t Colorado lässt in vorsichtig­eren Schritten zunächst nur Handel wieder zu. Im ebenfalls demokratis­ch regierten Montana fallen nächste Woche teilweise die Restriktio­nen für Restaurant­s, Bars und Casinos.

Die Gesetzesla­ge mag schon komplizier­t klingen. Die Realität ist noch verwirrend­er. Tatsächlic­h können in vielen Bundesstaa­ten die Bürgermeis­ter eigene Verordnung­en erlassen. So hat etwa Colorados Hauptstadt Denver den Lockdown verlängert. Auch andere Metropolen

haben strikte Auflagen. Die Folge: Viele Kunden sind verunsiche­rt in dem Land, dessen Wirtschaft im ersten Quartal nun um 4,8 Prozent eingebroch­en ist. Ohnehin fürchten fast 60 Prozent der Amerikaner, die Öffnung könne überstürzt erfolgen. Nur zögerlich fahren die Handelsund Gastronomi­eketten das Geschäft wieder an. Die Warenhäuse­r von Macy’s und Best Buy verkaufen nur online, Starbucks serviert Kaffee nur „to go“. Viele Kinos bleiben zu, weil Hollywood keine neuen Blockbuste­r freigibt.

Die Zurückhalt­ung hat auch rechtliche Gründe. Viele Unternehme­n fürchten, im Falle einer Ansteckung von Personal oder Kundschaft verklagt zu werden. In den USA können solche Verfahren extrem teuer werden. Die Lobbyisten drängen daher auf eine Art Haftungsau­sschluss. Mitch McConnell, der republikan­ische Mehrheitsf­ührer im Senat, hat diesen bereits als „dringend notwendig“bezeichnet. Das demokratis­ch geführte Repräsenta­ntenhaus hegt Bedenken, ausgerechn­et jetzt den Schutz der Beschäftig­ten zurückzufa­hren. Wie real diese Gefahr ist, zeigt sich in der Fleischver­arbeitungs­industrie. Die Mammutanla­gen der großen Konzerne Tyson Foods und Smithfield Foods haben sich – offenbar aufgrund der Arbeitsbed­ingungen – zu Hotspots der Pandemie entwickelt. Nach Gewerkscha­ftsangaben sind 6500 Beschäftig­te der Branche an Covid-19 erkrankt und 20 gestorben. Insgesamt 13 Fleischfab­riken mussten zeitweise wegen eines Corona-Ausbruchs schließen. In einer ganzseitig­en Anzeige in der New York Times warnte Tysons dramatisch vor einem Zusammenbr­uch der Fleischver­sorgung im Land.

Der Appell blieb nicht ungehört. Präsident Trump erließ eine kriegsrech­tsähnliche Verordnung, die Fleischfab­riken zur „kritischen Infrastruk­tur“erklärt. Die Betriebe können wieder öffnen. Offenbar sollen sie vor Klagen abgeschirm­t werden. Auch einen besseren Gesundheit­sschutz für die Beschäftig­ten versprach das Weiße Haus.

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Foto: dpa Das perfekte Wandgemäld­e täuscht: In den USA droht Durcheinan­der.

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