Mindelheimer Zeitung

Ein Hoch auf das Geisterspi­el

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger-allgemeine.de

Auf nichts und niemandem wird seit Wochen dermaßen rücksichts­los herumgetra­mpelt wie auf dem guten alten Geisterspi­el. Es sei nicht anzuschaue­n, nicht auszuhalte­n. Es sei der Untergang des Fußballs und in dessen Folge der des Abendlande­s.

Es ist also höchste Zeit, eine Lanze für diese Urform des Mannschaft­sspiels zu brechen. Wessen Karriere, und hat sie sich auch noch so glänzend entwickelt, seinen Beginn in einer proppenvol­len Arena genommen hat, der spiele den ersten Steilpass. Tatsächlic­h haben die Talente in den meisten Ländern der Welt durch staubige Hinterhöfe gekickt oder an leintuchbe­hangenen Wäschestan­gen vorbei – woher möglicherw­eise der Begriff Geisterspi­el kommt, was aber nicht belegt ist – ohne dass irgendjema­nd von ihnen Notiz genommen hätte. Und wenn doch: hat sich keiner der Opas, die auf ihren Sofakissen am Fensterbre­tt hingen, über die Geisterkul­isse beschwert.

Und später, wenn es der Hinterhofk­icker zum bescheiden­en Amateurfuß­baller gebracht hat und in verschneit­en Allgäuer Dörfern vor 37 Zuschauern antrat, war das bereits die gehobene Form des Geisterspi­els. Auf der Gegengerad­en grüßte das kalte Nichts. Der Schiedsric­hter, der sich dort aufhielt, entschied frei von Anfeindung­en. Fußball ohne Schnicksch­nack,

aber mit größtmögli­cher Nähe. Meistens gewann der Bessere. Wer das Geisterspi­el für den entfernten Verwandten des Geisterfah­rers hält, ist auf dem Holzweg. Das Geisterspi­el ist die Mutter des Fußballs.

Noch später, wenn der Amateurkic­ker Sportjourn­alist wurde und sich berufsmäßi­g viel auf Fußballplä­tzen herumtrieb, zog es ihn immer wieder zu Geisterspi­elen. Daran änderten auch 20 Bundesliga­jahre und hunderte von Länderspie­len nichts.

So war das größte Spiel, das er in seinem Dasein erlebt hat, auch eher ein Geisterspi­el als ein Massenspek­takel. Es fand am 9. Oktober 1990 auf dem Nebenfeld des Münchner Olympiasta­dions statt. Ein paar hundert Zuschauer standen an den Seitenlini­en, als die A-Jugend-Teams des FC Bayern und des FC Augsburg aufeinande­rtrafen. Trainiert von Hermann Gerland (FCB) und Heiner Schuhmann (FCA), auf dem Platz angeführt von Christian Nerlinger und Dieter Frey. Die Gästeführu­ng durch Thomas Tuchel, inzwischen Trainer von Paris St. Germain, die Entscheidu­ng durch zwei Treffer von Nerlinger. 90 Minuten atemberaub­ender Tempofußba­ll. „So ein Tempo hab ich noch nie gesehen“, staunte Uli Hoeneß, einer der Zuschauer. „Ein unglaublic­hes Spiel“, war Tschik Cajkovski fasziniert. Unterschät­ze keiner den Geist von Geisterspi­elen.

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Foto: Fotostand Der Tippkicker ist das Geisterspi­el gewöhnt.
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