Mindelheimer Zeitung

Was lehrt uns Harry Potter in der Krise?

Interview Rufus Beck schlüpft zum Trost zurück in seine Rolle als Vorleser der Nation – und kritisiert die Politik

- Interview: Rüdiger Sturm

Am 1. Mai ermöglicht Rufus Beck einen Trip in eine heilere Vergangenh­eit. Auf dem Facebookka­nal von Audible liest er um 11 Uhr eine Stunde live aus seinem Hörbuchkla­ssiker „Harry Potter und der Stein der Weisen“– der von J. K. Rowling als Corona-Trost in voller Länge freigegebe­n wurde (unter stories.audible.com). Doch auch der 62-jährige Beck kann den Ernst der Lage nicht ganz wegdrücken …

Was für Botschafte­n für die aktuelle Krise können wir aus den „Harry Potter“-Büchern beziehen?

Rufus Beck: Harry ist nicht allein, sondern hat auch Freunde, um die er sich sorgt. Gerade jetzt in CoronaZeit­en müssen wir uns auch um die anderen kümmern. Vielleicht machen wir eine Liste: Mit wem habe ich schon lange nicht mehr gesprochen, wem habe ich schon lange nicht mehr geschriebe­n? Es reicht auch schon eine Mail oder WhatsApp.

Was tun Sie in dieser Hinsicht?

Beck: Ich habe einigen Freunden ein paar Hörbücher geschickt. Jeden Tag rufe ich einen anderen Freund an. Sich anzuhören, dass man nicht allein ist, sondern dass wir alle im gleichen Boot sitzen, das ist das Wichtigste, was wir daraus lernen können. Und wie wir in den Büchern sehen, zeigt sich in jeder Krise ein Ausgang. Jetzt sind wir auf einmal auf uns zurückgewo­rfen, und das setzt auch neue Energien frei.

Zuletzt lasen Sie die Texte der Bibel ein. Haben Sie daraus Erkenntnis­se gewonnen?

Beck: Mir wurde das von der deutschen Bibelgesel­lschaft angeboten, wobei ich nicht so bibelkundi­g war. Jetzt habe ich Altes und Neues Testament plus die Apokryphen gelesen, jeden Satz und jedes Wort. Obwohl ich kein gläubiger Christ bin, finde ich die Bergpredig­t am wichtigste­n: die Sicht von Jesu auf das Leben, wie sollen wir es ethisch führen, und was sind die Werkzeuge dafür.

Zeitlos gültig. Inwiefern haben die „Harry Potter“-Bücher das Zeug zu

Klassikern, die auch für künftige Generation­en noch funktionie­ren?

Beck: Sie sind etwas Besonderes, weil Joanne K. Rowling gegen mehrere Regeln verstoßen hat. Normalerwe­ise altern die Helden in einer mehrteilig­en Serie nicht, aber das hat sie nicht interessie­rt. Deshalb wechselt auch das Genre vom Kinderbuch zu Geschichte­n über das Erwachsene­nwerden. Die Hauptfigur ist rührend. Harry’s ganzes Streben ist es, zu verstehen: Warum wächst er ohne Eltern auf ? Woher komme ich? Warum habe ich überlebt? Wie geht mein Leben weiter? Was für Lehren ziehe ich daraus? Unter anderem deshalb sind das wichtige und tolle Bücher.

Wie kamen Sie eigentlich dazu, Vorleser der Nation zu werden? Vor den „Potter“-Hörbüchern waren Sie eher als gefeierter Bühnen

und Filmdarste­ller bekannt. Beck: Ich bin ein Zehnkämpfe­r der darstellen­den Künste. Deshalb bin ich sehr breit aufgestell­t, und damit unter den Schauspiel­ern eher eine Ausnahme. Für die meisten gilt entweder Theater und Film oder Theater oder Film. Aber auch noch Hörbücher und Moderieren und Schreiben und Inszeniere­n und Produziere­n, das machen wenige. Das ist mir nicht in die Wiege gefallen. Das ist mein Temperamen­t, meine Lust, und das wollte ich so.

Sie sprachen vorhin davon, dass es in den „Potter“-Romanen immer einen Ausweg aus der Krise gibt. Können Sie aktuell einen erkennen? Beck: Es schaut nicht gut aus für uns Künstler. Wir sind von der Politik vollkommen vergessen worden. Das zeigt sich schon daran, dass viele Freischaff­ende keine Gelder bekommen haben, obwohl sie einen Antrag gestellt haben. Aber wahrschein­lich werden erst die großen, systemrele­vanten Firmen gefördert. Die bekommen Millionen, aber die Schauspiel­er, die von einer FilmGage oder einem Gastengage­ment an einem Theater leben, sitzen auf dem Trockenen.

Wie ist es bei Ihnen selbst? Immerhin haben Sie ja noch die Hörbücher. Beck: Ja, ich bin privilegie­rt, denn ich kann zwischendu­rch ab und zu Hörbücher machen. Aber es ist sehr schwer, auch für mich. Denn es findet gar nichts statt – kein Theater, kein Film, nicht mal Auftritte mit Band. Es ist ganz dunkel. Und die Situation ist vollkommen surreal, weil man das Gefühl hat, ganz Deutschlan­d ist in einen Dauerurlau­b geschickt worden. Aber es gibt gleichzeit­ig viel Solidaritä­t auch in meinem Bekanntenk­reis. Man versucht nach vorne zu schauen, um sich zu helfen, das ist das Positive.

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Foto: dpa

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