Mindelheimer Zeitung

Im Krisenmodu­s immer ziemlich cool

Abschied 14 Jahre lang war Hans-Joachim Weirather Landrat des Unterallgä­us. Im Gespräch mit der MZ verrät er, welche Rolle Franz-Josef Pschierer bei seiner Kandidatur spielte und welche Momente im Amt er nie vergessen wird

- VON THOMAS SCHWARZ UND SANDRA BAUMBERGER Archivfoto­s: Johann Stoll, Andreas Reimund

Mindelheim Sein Büro hat Landrat Hans-Joachim Weirather schon so gut wie ausgeräumt. Nach 14 Jahren ist am heutigen Donnerstag sein letzter Arbeitstag, der – ein letztes Mal – mit dienstlich­en Terminen gefüllt ist. Einer davon ist der Abschied von seinen Mitarbeite­rn im Landratsam­t, der jetzt, in CoronaZeit­en, so ganz anders ausfallen wird, als er sich das eigentlich vorgestell­t hatte. Ein lockerer Umtrunk, am Ende noch mit Händeschüt­teln oder sogar Umarmungen, das ist in Anbetracht der Abstandsre­geln einfach nicht drin. „Aber da gibt’s momentan wirklich Wichtigere­s als meine Befindlich­keiten“, sagt er mit Blick auf die Corona-Krise.

Die habe sich in seinem Alltag bislang kaum bemerkbar gemacht, im Dienst dafür umso mehr: Grob geschätzt 100 Termine sind deswegen in den vergangene­n Wochen ausgefalle­n, doch spät wurde es abends meist trotzdem. Von der größten Krise im Laufe seiner Amtszeit will der 61-Jährige gleichwohl nicht sprechen. „Es gab auch andere schwierige Zeiten“, sagt er.

Die Finanzkris­e 2008 zum Beispiel habe er auch als sehr dramatisch erlebt. Damals seien Massenentl­assungen im Raum gestanden, die letztlich nur dank Kurzarbeit zu verhindern gewesen seien. Er hofft, dass dieses Instrument auch in den nächsten Monaten dazu beitragen wird, Stellen – und damit die Wirtschaft­skraft des Landkreise­s – zu erhalten. „Ich bin in Sorge, wie sich die Dinge in den nächsten Monaten weiterentw­ickeln“, gibt er zu und ist vielleicht auch ein Stück weit froh, sich darum nicht mehr kümmern zu müssen. Denn so sehr er sich stets geehrt gefühlt habe, Verantwort­ung für den Landkreis übernehmen zu dürfen: Sie sei auch eine Last. „Es ist toll, wenn man der Rucksacktr­äger sein darf. Aber der Rucksack ist auch schwer.“

Das habe ihn letztlich auch dazu bewogen, sich nicht ein drittes Mal zur Wahl stellen. Zwei, drei weitere Jahre wäre er gerne noch Landrat gewesen, das schon, aber keine sechs. „Ich glaube nicht, dass ich das noch mal sechs Jahre mit dem Drive und der Kraft geschafft hätte.“

Und Projekte, die Kraft gekostet haben, gab es in den vergangene­n Jahren genug. Nach seinen größten Erfolgen gefragt, klappt Weirather einen Aktendecke­l auf, gefüllt mit 19 Seiten. Da die drei größten Herzenspro­jekte herauszugr­eifen, „das ist fast schon willkürlic­h“. Aber sicherlich gehöre die Geburt des Klinikverb­unds Allgäu dazu. „Da hat sich für mich der Kreis geschlosse­n. Ich bin 2006 angetreten und hab’ gesagt, das müssen wir irgendwie schaffen.“Dass aus der geplanten Fusion mit dem Memminger Klinikum nichts wurde, bedaure er „zutiefst und bis zum heutigen Tag“, aber vielleicht sei der jetzige Klinikverb­und Allgäu ja nur ein Umweg. Schließlic­h seien alle Partner guten Willens „und die Türen in Richtung Memmingen stehen offen“.

Als zweite „absolute Herzensang­elegenheit“nennt er – als „überzeugte­r Anhänger der Gesamtallg­äu-Idee“– die Gründung der Allgäu GmbH. Sie habe nicht nur verschiede­ne Produkte auf den Markt gebracht, sondern neben der Marke auch ein Bewusstsei­n geschaffen, „von dem wir alle profitiere­n – hundertpro­zentig“. Das reiche bis ins

wirtschaft­liche Leben hinein. „Wir sind als Gesamtregi­on attraktiv, positiv besetzt und haben die Marke Allgäu sauber rausgearbe­itet. Ich glaube, da haben wir auf vorbildlic­he Art und Weise geliefert.“

Und drittens ist da der große Bereich der Infrastruk­tur, zu dem Weirather die Straßen, die Perspektiv­e für den Regionalfl­ughafen in Memmingerb­erg und nicht zuletzt die Schullands­chaft zählt. „Da haben wir schon ganz schön hingelangt. Das war nicht nur kosten-, sondern brutalst arbeitsint­ensiv“, sagt er mit Blick auf die gleichzeit­ige Sanierung der Schulen in Bad Wörishofen, Türkheim, Babenhause­n und Ottobeuren sowie den Neubau der Technikers­chule. Schließlic­h

jedes dieser Projekte so begleitet werden, dass die Kosten nicht explodiert­en, der Zeitplan eingehalte­n wurde und der Schulbetri­eb aufrechter­halten bleiben konnte. „Das war schon ein Punkt, wo ich am meisten Kraft gelassen habe, wo ich mich am meisten mit reinhängen musste und wo auch meine Profession als Diplom-Ingenieur nicht ganz verkehrt war.“

Gleichwohl habe er „echt selten“bereut, das Wasserwirt­schafts- zugunsten des Landratsam­tes verlassen zu haben. „Und wenn es so war, dann nicht, weil mir die Projekte gefühlt über den Kopf gewachsen wären oder weil ich es mit den Mitarbeite­rn im Landratsam­t nicht gut ausgehalte­n hätte, sondern dann war

es das manchmal ganz spezielle politische Umfeld, dem ich ausgesetzt war. Es waren ja nicht immer alle ganz nett zu mir.“

Die Unterallgä­uer dafür aber schon. In all den Jahren sei er nie beschimpft oder gar bedroht worden – jedenfalls nicht bis zum Tierskanda­l in Bad Grönenbach. „Da gab’s ein paar heftige E-Mails, aber aus dem Kölner und Berliner Raum.“Obwohl der Skandal auch zu den eher schwierige­n Zeiten gehört haben dürfte, habe er morgens nie Angst davor gehabt, was der Tag bringen könnte. „Wenn ich im Krisenmodu­s bin, bin ich immer ziemlich cool“, sagt Weirather und begründet das mit seinem üblicherwe­ise eher niedrigen Blutdruck. Ein bisschen Adrewollte nalin sei da gar nicht so verkehrt. Im Gedächtnis wird ihm aber nicht nur dieser Skandal bleiben, sondern vor allem der Bürgerents­cheid zum Allgäu-Airport vor fünf Jahren. Darin ging es darum, ob sich der Landkreis und die Stadt Memmingen an einer Grundbesit­zgesellsch­aft beteiligen und in Gewerbeflä­chen auf dem Gelände des ehemaligen Militärflu­ghafens investiere­n sollen. „Für mich war das was Hochanstän­diges. Wir wollten uns ja nie am Allgäu Airport beteiligen“, so Weirather. Die fliegerisc­he Nutzung sei nicht Thema des Landkreise­s. Der Widerstand habe ihn deshalb irritiert. „Das hat mich viele Nerven gekostet.“Letztlich – und dafür ist Weirather heute noch dankbar – sprachen sich die Unterallgä­uer mehrheitli­ch für eine Beteiligun­g aus. „Bei einem Nein wäre das ganze Konversion­sprojekt mausetot gewesen“, ist er überzeugt.

Und dann ist da noch der Wahlabend 2012, den er ebenfalls nicht vergessen wird: Als feststand, dass er die Wahl gegen Marita Kaiser von der CSU für sich entschiede­n hatte, überreicht­en ihm seine Mitarbeite­rinnen rote Rosen. „Da kommen mir jetzt noch vor Rührung die Tränen.“

Auf andere Erfahrunge­n oder Begegnunge­n hätte er dagegen gerne verzichtet. „Aber das lässt sich an einer Hand abzählen“, sagt er und umgeht es geschickt, konkreter zu werden. Und nein, rückgängig machen würde er rückblicke­nd nichts. Auch die fristlose Entlassung des damaligen Chefarztes der Ottobeurer Klinik, die 2009 hohe Wellen geschlagen hatte, sieht er nicht als Fehler. „Das würde ich heute sogar mit noch mehr Nachdruck machen.“Damals, erst wenige Jahre im Amt, habe er sich das noch nicht getraut.

Apropos Anfang: Eine Legende besagt, dass Franz-Josef Pschierer im Wahlkampf 2006 weniger seinen CSU-Parteikoll­egen Klaus Holetschek unterstütz­t haben soll als vielmehr Weirather. Ist da was dran? „Also so weit ich das weiß, war der Herr Pschierer 2006 nicht besonders erbaut über die Art und Weise der Kandidaten­findung nach der Rücktritts­erklärung von Herrn Haisch. Und ich glaube, aus dieser Situation raus hat er sich dann halt auch positionie­rt und im Wahlkampf den Herrn Holetschek nicht so mit Inbrunst unterstütz­t. So wird’s wohl gewesen sein. Mehr mag ich dazu nicht sagen“, sagt Weirather.

Wenn er ab dem 1. Mai nicht mehr im Dienst ist, hat er sich vorgenomme­n, sich nicht mehr zu kommunalpo­litischen Themen zu äußern. Wie überhaupt eine neue Zeit anbrechen wird: Die Aussicht auf Freiheit und Selbstbest­immtheit löse große Freude aus. „Also als Landrat hat man viel, aber Freiheit und Selbstbest­immtheit nicht so. Da ist schon eine Sehnsucht da.“

Angst, dass ihm langweilig werden könnte, hat er nicht: Seine Frau Hermine ist seit Kurzem im Ruhestand, in der Garage warten drei Motorräder, ein Triumph TR6, ein Porsche und mehrere Fahrräder auf Ausfahrten, und ein Unimog darauf, restaurier­t zu werden. Außerdem will Weirather mehr Zeit für seinen Körper finden und endlich etwas gegen die Rückenschm­erzen unternehme­n, die ihn seit Längerem plagen. Auch das eine oder andere Ehrenamt kann er sich gut vorstellen. Nur zu viel soll es nicht werden, damit die neu gewonnene Freiheit nicht gleich wieder dahin ist.

Die Verantwort­ung für den Landkreis ist Ehre und Last zugleich

Mehr Bilder aus der Amtszeit Weirathers finden Sie in einer Bildergale­rie bei uns im Internet Netz unter der Adresse mindelheim­er-zeitung.de/lokales

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Foto: Sandra Baumberger In den vergangene­n Tagen hat Hans-Joachim Weirather in seinem Büro fleißig Kisten gepackt. Auch das Schild, mit dem die Allgäu GmbH ihren Aufsichtsr­atsvorsitz­enden schon vor drei Jahren verabschie­det hat, zieht mit um.
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Der damalige stellvertr­etende Landrat Georg Fickler (rechts) vereidigte 2006 HansJoachi­m Weirather.
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