Lebensraum Friedhof
Naturschutz-Aktion Auch auf dem Friedhof kann man etwas für die heimische Natur tun. Die Mindelheimerin Christine Ruiu hat ein Grab angelegt, das pflegeleicht ist, rund ums Jahr blüht und Bienen und Schmetterlinge anzieht
Friedhöfe sind nicht nur Orte der Stille. Sie können auch Lebensraum für Pflanzen und Tiere sein. Wie man auf Friedhöfen etwas für die Umwelt tun kann, steht auf
„Sterben – aber nein, es ist alles nur ein Schlaf und ganz verborgen bereitet sich schon alles vor auf kommendes Erwachen und neues Blühen.“Viktoria Marianne Ruiu
Mindelheim Es war das Jahr 1947, als Viktoria Marianne Ruiu im Alter von 13 Jahren ihren Aufsatz „Wenn das Herbstlaub fällt“schrieb. Ihre Aufsatzhefte von damals blieben für sie zeitlebens ihre größten Schätze und die Poesie ihrer Worte begleitet sie bis in den Tod: Der oben zitierte Satz über das Sterben, den sie einst als 13-jähriges Mädchen schrieb, ziert heute ihr Grab auf dem Mindelheimer Friedhof, wo sie vor fünf Jahren im Alter von 80 Jahren beigesetzt worden ist.
Ein Jahr nach der Beerdigung war es für ihre Tochter Christine Ruiu an der Zeit, das Grab anzulegen. Der Satz aus dem Aufsatz ihrer Mutter und deren Charakter sollten sich auch auf dem Friedhof widerspiegeln. „Damals war es weniger der Umweltaspekt, der mich geleitet hat“, sagt die Mindelheimerin. „Es war eher, weil meine Mutter so war.“Weil das Grab aber dennoch ein gutes Beispiel dafür ist, wie man auch auf dem Friedhof etwas für die heimische Natur machen kann, brachte Christine Ruiu im vergangenen Jahr diesen Vorschlag außer Konkurrenz im Wettbewerb „Jeder Quadratmeter zählt“ein. Sie will damit zeigen, dass es möglich ist, ein naturnahes, pflegeleichtes Grab zu gestalten, auf dem dennoch immer etwas blüht.
Als erstes nach dem Winter beginnen rund um das Holzkreuz Christrose und Tulpen zu erstrahlen, die Christine Ruiu aber demnächst mit Krokus und Schneeglöckchen ersetzen will. Von da an blüht es bis in den späten Herbst hinein mit lauter Blumen, zu denen die Mutter einen Bezug hatte: Akelei, Maiglöckchen, Glockenblumen, Ringelblumen, Rosen und Frauenmantel. Viele Pflanzen hat Christine Ruiu direkt aus dem eigenen oder dem Garten der Mutter geholt. „So gibt es einen Bezug zum eigenen Leben“, sagt sie.
Weil das „Tränende Herz“, das ihre Mutter gern mochte, zu groß für ein Grab war, suchte sie nach Alternativen – und fand die Zwergherzblume. Auch eine Weide hat sie in einer Mini-Version entdeckt und dort gepflanzt. Das Taubenkropf-Leimkraut, dessen Name ihrer Mutter so gefiel, kommt jedes Jahr wieder und das Ende des Sommers läuten regelmäßig die Herbstastern ein. „Das sind lauter Schätze“, sagt Christine Ruiu mit liebevoller Stimme. Selbst die Brennnessel in der Ecke darf bleiben, „weil die Mutter die auch gern mochte“.
Viktoria Marianne Ruiu war es wichtig, dass ihre Tochter nicht so viel Arbeit mit ihrem Grab hat. Die Bepflanzung vor allem mit Stauden hat sich bewährt. „Ich muss da nicht regelmäßig hin, um zu gießen“, sagt Christine Ruiu. Sie besucht das Grab unregelmäßig, weil sie es kann, nicht, weil sie es muss, sagt sie – aber sie besuche es immer gern. Und häufig erlebt sie Überraschungen: Es kommt ja nicht alles im nächsten Jahr wieder, dafür siedeln sich wiederum neue Blumen an, etwa der kriechende Hahnenfuß oder auch mal ein Löwenzahn. Weil ihre Mutter Gelb so mochte, dürfen beide stehen bleiben. Der Löwenzahn allerdings nur eine kurze Zeit – Christine Ruiu will es sich wegen der Pusteblumen schließlich nicht mit den Grab-Nachbarn verderben. Und außerdem bereiten ihr das Zupfen und Kultivieren auch viel Freude.
Nichtsdestotrotz gibt es auf dem Grab immer etwas Durcheinander – was aber etwas Persönliches sei, sagt die Mindelheimerin. Man könne ein naturnahes Grab auch in „ordentlich“und „symmetrisch“anlegen. Gemeinsam mit ihrem Schwiegervater will sie das nun am Grab seiner Mutter und Tante umsetzen. Bislang wurde es zweimal im Jahr neu bepflanzt – was viel Arbeit bedeutet hatte. Nun soll eine pflegeleichtere Alternative her.
Dass sie sich in der vergangenen Zeit verstärkt mit der naturnahen und nachhaltigen Grabgestaltung auseinandergesetzt hat, kommt Christine Ruiu da zugute. So kann sie auf Listen mit Gehölzen und Stauden zurückgreifen, die sich gut für ein Grab und dessen Standort eignen. Was die Mindelheimerin in den Ratgebern auch erfahren hat: Viele der Blumen, die sie gepflanzt hatte, haben eine tiefe Symbolik in Bezug auf den Tod. So steht die Rose für die immerwährende Liebe und die Weide für Trauer. Die Ringelblume gilt als Totenblume.
Wobei: Tot ist es auf dem Grab von Viktoria Marianne Ruiu ganz und gar nicht. Bienen, Schmetterlinge und Weinbergschnecken sind dort regelmäßig zu Gast und erfreuen Tochter Christine: „Es hat auch etwas Schönes, wenn dort das Leben herrscht.“
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Tipps Hier findet man Ratgeber für naturnahe Gräber: https://www.ekd.de /agu/download/BremerFriedhoefe2016.pdf und auf umwelt-evangelisch.de. (Suche nach „Lebensraum Friedhof“).