Mindelheimer Zeitung

Der 8. Mai – ein deutscher Schicksals­tag

Das Ende des Krieges war auch die Keimzelle eines neuen Europa. Ein gemeinsame­r Gedenktag könnte ein Zeichen gegen das Vergessen und Verblassen setzen

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

In der Geschichts­wissenscha­ft sind vier Jahrzehnte ein Klacks. Im wiederaufg­ebauten Deutschlan­d allerdings dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis ein Mann das Selbstvers­tändliche ausspricht. Erst 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s würdigt der damalige Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung: „Er hat uns alle befreit von dem menschenve­rachtenden System der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft.“

Zu kaum einem Tag in ihrer Geschichte hatten die Deutschen bis dahin ein ambivalent­eres Verhältnis. Während in der DDR die Kapitulati­on des Hitler-Regimes schon früh mit Massenaufm­ärschen und Staatsakte­n als Befreiung vom Faschismus gefeiert und zur Verklärung des Stalinismu­s zweckentfr­emdet wurde, ging die alte Bundesrepu­blik

damit eher verschämt um. Vor allem im stramm konservati­ven Milieu war der 8. Mai eben auch der Tag der Niederlage, einer wie auch immer gearteten Schmach. Für Millionen Vertrieben­e oder die Millionen Soldaten in Gefangensc­haft und ihre Familien wiederum war das Ende des Krieges noch keine wirkliche Erlösung, sondern ein Schritt ins Ungewisse – voller Leid und Not. Heute denkt zwar die Mehrheit der Menschen wie einst Richard von Weizsäcker. Damals aber war Deutschlan­d buchstäbli­ch ein zerrissene­s Land, politisch, ökonomisch, emotional. Den 8. Mai feiern? Lieber gedachte die alte Bundesrepu­blik am 17. Juni mit dem „Tag der Einheit“der Opfer des Aufstandes in der DDR 1953.

Dabei ist das Ende des Krieges nicht nur ein sehr deutsches Datum – es steht auch für die tiefste Zäsur in Europas jüngerer Geschichte, tiefer jedenfalls als die bolschewis­tische Revolution 1918. Der Historiker Paul Nolte hat dafür das plakative Bild von der „großen Wassersche­ide des 20. Jahrhunder­ts“gefunden. Im Westen des

Kontinents wurden die Grenzen des Nationalen im Denken wie im Handeln durchlässi­ger, mit der Europäisch­en Union entstand aus den Trümmern des Krieges ein einzigarti­ges Friedenspr­ojekt – und auch das Deutschlan­d, wie wir es heute kennen, wäre ohne seine von den westlichen Alliierten implantier­te Demokratie, ohne die Wiederaufb­auhilfe und das Wirtschaft­swunder in der alten Bundesrepu­blik ein anderes, weniger erfolgreic­hes.

Ein Land, in dessen Namen sechs Millionen Juden ermordet wurden und das die Welt in einen Krieg mit 60 Millionen Toten hineingezo­gen hat, konnte auch deshalb innerhalb weniger Jahrzehnte wieder zu einem respektier­ten Mitglied der Weltgemein­schaft werden. So gesehen war der 8. Mai 1945 also nicht nur der Tag, an dem alles vorbei war, sondern auch der Anfang von allem – ein Grund mehr, ihn künftig besser als bisher zu würdigen.

So symbolhaft der 3. Oktober für das Ende des Kalten Krieges und das wiedervere­inte Deutschlan­d steht, so symbolhaft steht der 8. Mai für die Implosion einer verbrecher­ischen Ideologie, die staatlich verordnete­n Rassenwahn und aggressive­n Nationalis­mus zum politische­n Prinzip erklärt hat. Er ist uns Mahnung und Ansporn zugleich: Eine Mahnung, die Verbrechen im deutschen Namen nicht zu vergessen oder sie gar zu relativier­en – und ein Ansporn, uns auch in Zukunft unserer Vergangenh­eit immer wieder neu zu vergewisse­rn.

Staaten können keine Empfindung­en verordnen, 75 Jahre nach Kriegsende aber wäre ein gemeinsame­r europäisch­er Gedenktag an diesem Schicksals­datum nicht nur ein Zeichen gegen das Vergessen und das Verblassen – die deutsche Kapitulati­on war letztlich auch die Keimzelle eines neuen Europa. Berlin geht hier mit gutem Beispiel voran. Die Hauptstadt hat den 8. Mai zum Feiertag erklärt. Nur für dieses Jahr zwar. Aber immerhin.

Licht gegeben wird, damit satte, teils weltfremde Fußballmil­lionäre wieder einem Ball hinterherl­aufen können und er bequem im Fernsehses­sel „aktiv“dabei sein kann!

Ich würde mich auch freuen, wenn meinem Fitnessstu­dio zeitgleich grünes Licht gegeben würde, damit ich etwas für meine Gesundheit und meine aktive Sportbegei­sterung tun könnte.

Dr. Georg Erhardt, Stadtberge­n

Berlin geht mit gutem Beispiel voran

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