Mindelheimer Zeitung

Konferenze­n am Küchentisc­h

Corona und wir Das Homeoffice hat den Redaktions­alltag von uns Auszubilde­nden auf den Kopf und die Funktional­ität der eigenen vier Wände auf die Probe gestellt

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Vergangene­s Jahr habe ich vor Beginn meines Volontaria­ts eine Wohnung in Augsburg gesucht. Bezahlbar sollte sie sein, geschafft. Nah an der Arbeit sollte sie sein, geschafft. Balkon? Unnötig. Zu teuer, brauche ich nicht. Die meiste Zeit werde ich sowieso in der Redaktion verbringen, und die Wochenende­n lieber draußen in der Natur als daheim. Und noch eins war mir klar: Ein Schreibtis­ch kommt mir partout nicht in die Bude – zu präsent waren die vollgequet­schten WG-Zimmer aus meiner Studienzei­t noch.

Außer einem kleinen Küchentisc­h ist in meiner Wohnung also kein Arbeitspla­tz zu finden. Gemütlich, fand ich damals. Dann kam Corona. Innerhalb eines Vormittags war klar, dass wir die nächsten Wochen im Homeoffice arbeiten werden. Meinen großzügige­n Arbeitspla­tz

mit zwei Bildschirm­en und wirklich bequemem Schreibtis­chstuhl tauschte ich daher gegen: Laptop, Küchentisc­h und Holzstuhl.

Wechselnde Arbeitsplä­tze sind wir Volontäre in unserem zweiten Ausbildung­sjahr sowieso gewohnt: Alle vier Wochen tauschen wir das Ressort – in einem Monat schreiben wir für die Wirtschaft­sredaktion, im anderen basteln wir mit am Layout der Zeitung. So geht das elf Monate lang. Ich hielt mich zu diesem Zeitpunkt als Fotografin größtentei­ls auf den Straßen Augsburgs auf. Zum

Schutz der anderen Kollegen ging ich daher schon Mitte März zur Heimarbeit über. Innerhalb kürzester Zeit hieß es dann, Telefon umleiten, E-Mail-Zugang einrichten und das Netzwerk freischalt­en. Ich bin meinem Arbeitgebe­r dankbar, wie schnell er es uns ermöglicht hat, im Homeoffice arbeiten zu können. In anderen Unternehme­n ist das keine Selbstvers­tändlichke­it.

Die neu gewonnene Zeit zu Hause brachte mich aber auch dazu, meine damals getroffene­n Prioritäte­n bezüglich der Wohnungsei­nrichtung kritisch zu hinterfrag­en. Nach acht Stunden verursacht auch der bequemste Küchenstuh­l Schmerzen und die Sonnenstra­hlen sehe ich nur durch das gekippte Fenster. Ein Balkon? Ach, das wäre jetzt doch ganz nett. Sehnsüchti­g begutachte ich die Bilder auf meinem Handy, die mir Freunde und Familie aus ihren Homeoffice­s auf der Terrasse schicken.

Aber Not macht bekanntlic­h erfinderis­ch: So ist der Handyvertr­ag wegen der gestiegene­n Gespräche mit dem Smartphone aufgestock­t, ein zweiter Bildschirm aus der Arbeit geliehen und der Küchenstuh­l gegen einen Gymnastikb­all ausgetausc­ht. Mein Rücken dankt’s. Und der Balkon? Nach Feierabend schlüpfe ich in die Laufschuhe und sauge die abendliche­n Sonnenstra­hlen am Flussufer auf.

Brigitte Mellert ist Volontärin und schreibt aktuell für das Politikres­sort. Artikel entstehen seither in der heimischen Küche.

An dieser Stelle berichten ab heute täglich Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Arbeitsall­tag in Zeiten von Corona.

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