Wasserstoffstrategie gerät ins Stocken
Hintergrund Bei einem Eckpfeiler der Energiewende sind viele Fragen umstritten. Grund genug für die Unionsfraktion, die Bundesregierung zur Eile zu mahnen
Berlin Im Grundsatz ist sich die Bundesregierung einig, dass beim angestrebten klimafreundlichen Umbau des Energiesektors an Wasserstoff kein Weg vorbeiführt. Doch zwischen mehreren Ministerien tobt seit Monaten ein Streit darüber, wie eine nationale Wasserstoffstrategie im Detail aussehen soll. Unterschiedliche Ansichten gibt es etwa darüber, wo der Wasserstoff erzeugt, wie viel davon hergestellt und für welche Anwendungen er eingesetzt werden soll. In einem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, mahnt die Unionsfraktion im Bundestag das Kabinett nun eindringlich, den Zwist rasch beizulegen. Darin heißt es: „Die Bundesregierung muss ihre Wasserstoffstrategie endlich auf den Weg bringen, um ein klares Signal in die Welt auszusenden. Wir wollen eine führende Rolle bei der Entwicklung einer grünen Wasserstoffwirtschaft einnehmen.“
Wasserstoff ist neben Sauerstoff Bestandteil des Wassers und praktisch unbegrenzt verfügbar. Er eignet sich bestens als Treibstoff, bei seiner Umwandlung in Energie bleibt nur Wasser zurück. Allerdings muss Wasserstoff unter Energieeinsatz aus Wasser gewonnen werden. Geschieht dies im Elektrolyseverfahren mit erneuerbarer Energie, etwa Sonnen- oder Windstrom, spricht man vom „grünen“Wasserstoff. Anja Weisgerber, die klimapolitische Sprecherin der Unionsfraktion, bringt dessen Bedeutung auf den Punkt: „Mit grünem Wasserstoff als dritter Säule neben Windkraft und Photovoltaik wird die Energiewende weltweit gelingen. Erneuerbare Energien werden mit Wasserstoff speicherbar und können transportiert werden.“
Für einige Probleme der Energiewende scheint Wasserstoff die ideale Lösung. Bisher fehlen teilweise die Leitungen, um Ökostrom, etwa aus den Windkraftanlagen an der Küste, nach Süden zu transportieren. Dieser Strom könnte in Wasserstoff umgewandelt, an den Bestimmungsort transportiert und dann wieder in Energie umgewandelt werden. In der Industrie könnte er so fossile Energiequellen wie Kohle, Erdgas oder Öl ersetzen. Grenzen hat auch die Elektromobilität: Fahren mit Batteriestrom funktioniert nur bei leichteren Vehikeln und für wenige hundert Kilometer. Für den Langstrecken und Schwerlastverkehr aber eignet sich die Akkutechnik bisher nicht. Busse, Lastwagen oder große Schiffe könnten also künftig mittels Brennstoffzellen mit dem gut speicherbaren Wasserstoff statt mit Diesel betrieben werden. Sogar ein klimaneutraler Flugverkehr scheint auf Basis des hochreaktiven Energieträgers möglich, vielversprechende Forschungen laufen bereits.
Obwohl in der Bundesregierung in keinem Ressort Zweifel an der
Notwendigkeit einer Wasserstoffstrategie bestehen, lässt diese weiter auf sich warten. Denn wichtige Punkte sind heftig umstritten. Das Verkehrsministerium etwa sieht auch im Autoverkehr große Chancen für Wasserstofffahrzeuge. Doch das Umweltministerium und andere Ressorts wollen die Technik vor allem für Schwertransporte, Luftfahrt und Industrie einsetzen. Auseinander gehen die Ansichten auch in der Frage, wie viel Wasserstoff Deutschland künftig brauchen wird – und wie viel es davon selbst herstellen soll.
Fachleute sind sich einig, dass Deutschland auch künftig auf Energieeinfuhren angewiesen sein wird. Es gibt fortgeschrittene Pläne, wonach Wasserstoff in südlichen Ländern und über Tanker oder Pipelines nach Europa transportiert wird. „Beim Aufbau einer grünen Wasserstoffproduktion sollten wir unseren Blick vor allem auf afrikanische Staaten richten. Einige Länder unseres Nachbarkontinents sind aufgrund ihres Wind- und Sonnenreichtums sowie ihrer relativen Nähe zu Europa besonders interessante Investitionsstandorte“, heißt es im Brief der Unionsabgeordneten an die Regierung. Doch dort geht das Ringen um eine gemeinsame Position trotz monatelanger Diskussion weiter. Auch die Kabinettssitzung in dieser Woche verstrich, ohne dass eine Wasserstoffstrategie verabschiedet wurde. Dabei hatte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) ihre Kabinettskollegen eindringlich zur Eile gemahnt.
Klimapolitikerin Anja Weisgerber hofft trotz der aktuellen CoronaAusnahmesituation auf eine Entscheidung in der kommenden Woche. Denn Deutschland müsse weltweit „Wasserstoffland Nummer Eins“werden.
Das Potenzial der Technik ist vielversprechend