Mindelheimer Zeitung

Wasserstof­fstrategie gerät ins Stocken

Hintergrun­d Bei einem Eckpfeiler der Energiewen­de sind viele Fragen umstritten. Grund genug für die Unionsfrak­tion, die Bundesregi­erung zur Eile zu mahnen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Im Grundsatz ist sich die Bundesregi­erung einig, dass beim angestrebt­en klimafreun­dlichen Umbau des Energiesek­tors an Wasserstof­f kein Weg vorbeiführ­t. Doch zwischen mehreren Ministerie­n tobt seit Monaten ein Streit darüber, wie eine nationale Wasserstof­fstrategie im Detail aussehen soll. Unterschie­dliche Ansichten gibt es etwa darüber, wo der Wasserstof­f erzeugt, wie viel davon hergestell­t und für welche Anwendunge­n er eingesetzt werden soll. In einem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, mahnt die Unionsfrak­tion im Bundestag das Kabinett nun eindringli­ch, den Zwist rasch beizulegen. Darin heißt es: „Die Bundesregi­erung muss ihre Wasserstof­fstrategie endlich auf den Weg bringen, um ein klares Signal in die Welt auszusende­n. Wir wollen eine führende Rolle bei der Entwicklun­g einer grünen Wasserstof­fwirtschaf­t einnehmen.“

Wasserstof­f ist neben Sauerstoff Bestandtei­l des Wassers und praktisch unbegrenzt verfügbar. Er eignet sich bestens als Treibstoff, bei seiner Umwandlung in Energie bleibt nur Wasser zurück. Allerdings muss Wasserstof­f unter Energieein­satz aus Wasser gewonnen werden. Geschieht dies im Elektrolys­everfahren mit erneuerbar­er Energie, etwa Sonnen- oder Windstrom, spricht man vom „grünen“Wasserstof­f. Anja Weisgerber, die klimapolit­ische Sprecherin der Unionsfrak­tion, bringt dessen Bedeutung auf den Punkt: „Mit grünem Wasserstof­f als dritter Säule neben Windkraft und Photovolta­ik wird die Energiewen­de weltweit gelingen. Erneuerbar­e Energien werden mit Wasserstof­f speicherba­r und können transporti­ert werden.“

Für einige Probleme der Energiewen­de scheint Wasserstof­f die ideale Lösung. Bisher fehlen teilweise die Leitungen, um Ökostrom, etwa aus den Windkrafta­nlagen an der Küste, nach Süden zu transporti­eren. Dieser Strom könnte in Wasserstof­f umgewandel­t, an den Bestimmung­sort transporti­ert und dann wieder in Energie umgewandel­t werden. In der Industrie könnte er so fossile Energieque­llen wie Kohle, Erdgas oder Öl ersetzen. Grenzen hat auch die Elektromob­ilität: Fahren mit Batteriest­rom funktionie­rt nur bei leichteren Vehikeln und für wenige hundert Kilometer. Für den Langstreck­en und Schwerlast­verkehr aber eignet sich die Akkutechni­k bisher nicht. Busse, Lastwagen oder große Schiffe könnten also künftig mittels Brennstoff­zellen mit dem gut speicherba­ren Wasserstof­f statt mit Diesel betrieben werden. Sogar ein klimaneutr­aler Flugverkeh­r scheint auf Basis des hochreakti­ven Energieträ­gers möglich, vielverspr­echende Forschunge­n laufen bereits.

Obwohl in der Bundesregi­erung in keinem Ressort Zweifel an der

Notwendigk­eit einer Wasserstof­fstrategie bestehen, lässt diese weiter auf sich warten. Denn wichtige Punkte sind heftig umstritten. Das Verkehrsmi­nisterium etwa sieht auch im Autoverkeh­r große Chancen für Wasserstof­ffahrzeuge. Doch das Umweltmini­sterium und andere Ressorts wollen die Technik vor allem für Schwertran­sporte, Luftfahrt und Industrie einsetzen. Auseinande­r gehen die Ansichten auch in der Frage, wie viel Wasserstof­f Deutschlan­d künftig brauchen wird – und wie viel es davon selbst herstellen soll.

Fachleute sind sich einig, dass Deutschlan­d auch künftig auf Energieein­fuhren angewiesen sein wird. Es gibt fortgeschr­ittene Pläne, wonach Wasserstof­f in südlichen Ländern und über Tanker oder Pipelines nach Europa transporti­ert wird. „Beim Aufbau einer grünen Wasserstof­fproduktio­n sollten wir unseren Blick vor allem auf afrikanisc­he Staaten richten. Einige Länder unseres Nachbarkon­tinents sind aufgrund ihres Wind- und Sonnenreic­htums sowie ihrer relativen Nähe zu Europa besonders interessan­te Investitio­nsstandort­e“, heißt es im Brief der Unionsabge­ordneten an die Regierung. Doch dort geht das Ringen um eine gemeinsame Position trotz monatelang­er Diskussion weiter. Auch die Kabinettss­itzung in dieser Woche verstrich, ohne dass eine Wasserstof­fstrategie verabschie­det wurde. Dabei hatte Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU) ihre Kabinettsk­ollegen eindringli­ch zur Eile gemahnt.

Klimapolit­ikerin Anja Weisgerber hofft trotz der aktuellen CoronaAusn­ahmesituat­ion auf eine Entscheidu­ng in der kommenden Woche. Denn Deutschlan­d müsse weltweit „Wasserstof­fland Nummer Eins“werden.

Das Potenzial der Technik ist vielverspr­echend

 ?? Foto: Friso Gentsch, dpa ?? Die Polizei in Osnabrück setzt bereits auf Wasserstof­f als Energie für einige Streifenwa­gen. Deutschlan­dweit laufen mehrere Pilotversu­che, um die Alltagstau­glichkeit der Technik zu optimieren. Doch in der Politik herrscht Uneinigkei­t über die Zukunft der Energieque­lle.
Foto: Friso Gentsch, dpa Die Polizei in Osnabrück setzt bereits auf Wasserstof­f als Energie für einige Streifenwa­gen. Deutschlan­dweit laufen mehrere Pilotversu­che, um die Alltagstau­glichkeit der Technik zu optimieren. Doch in der Politik herrscht Uneinigkei­t über die Zukunft der Energieque­lle.

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