Mindelheimer Zeitung

„Die Politik lässt Zahnärzte im Stich“

Interview Die Zahnarztpr­axen arbeiten wieder normal. Doch viele Patienten meiden sie wegen Corona-Angst. Zu Unrecht, sagt Zahnärzte-Vizepräsid­ent Oesterreic­h und ärgert sich über Berlin

- Interview: Lea Binzer

Herr Professor Oesterreic­h, langsam läuft bundesweit wieder der Regelbetri­eb in den Zahnarztpr­axen an. Wie sah es in den vergangene­n Wochen im Notbetrieb aus?

Dietmar Oesterreic­h: Die Patienten waren verunsiche­rt oder hatten Angst, dass es durch Behandlung­en in der Mundhöhle zu Übertragun­gen von Corona kommen kann. Das habe ich auch in meiner Praxis erlebt. Deshalb haben Patienten gehäuft Termine abgesagt. Aber auch Zahnärzte und Mitarbeite­r, die etwa zur Risikogrup­pe gehören, waren erst einmal vorsichtig zurückhalt­end.

Gibt es denn Erfahrunge­n über ein erhöhtes Ansteckung­srisiko für Patienten, Ärzte und Mitarbeite­r? Oesterreic­h: Nein, auch internatio­nal nicht. Wir haben uns mit italienisc­hen und chinesisch­en Kollegen ausgetausc­ht. Es hat sich gezeigt, dass auch die bisherigen Hygienemaß­nahmen, wie das Tragen von Handschuhe­n und eines Mund-Nasen-Schutzes durch die Zahnärzte, gut schützen.

Dennoch wurden bestimmte Eingriffe wie Bohren, soweit möglich, reduziert. Oesterreic­h: Das hing mit den unter anderem beim Bohren entstehend­en Aerosolen, also feinem Sprühnebel zusammen. Aber auch bei den Aerosolen ergaben sich bislang keine Hinweise auf eine Übertragun­g der Corona-Infektion.

Welche Schutzmaßn­ahmen sind für den Regelbetri­eb in den Zahnarztpr­axen jetzt nötig?

Oesterreic­h: Die Abstandsre­geln im Warteberei­ch, beim Eingang und an der Anmeldung sind einzuhalte­n. Um zu viele Menschen im Wartezimme­r zu vermeiden, kann es auch sein, dass begleitend­e Angehörige draußen warten müssen. Je nach Bundesland kommt es darauf an, ob patientens­eitig im Warteberei­ch Mundschutz getragen werden muss. Die Hygienemaß­nahmen wurden noch einmal verschärft. Da Zahnärzte oft nur 30 Zentimeter von den Patienten entfernt sitzen, tragen nun viele Schutzschi­lder. Was so einfach klingt, ist für viele Praxen von der Koordinati­on und Organisati­on her sehr aufwendig. Die Patienten zeigen aber viel Verständni­s.

Warum wollen Sie so schnell wie möglich zurück zum normalen Regelbetri­eb der Zahnarztpr­axen?

Oesterreic­h: Das klingt nun vielleicht drastisch, aber an einem einzelnen Zahn kann ein ganzes Menschenle­ben hängen. Gerade Entzündung­sprozesse wirken sich auf den ganzen Organismus aus. Deshalb sind Zahnhygien­e und ein regelmäßig­er Gang zum Zahnarzt genauso notwendig wie andere ärztliche Behandlung­en.

Was müssen Patienten, die etwa zur Risikogrup­pe gehören, mit Zahnproble­men tun?

Oesterreic­h: Das muss im Einzelfall geklärt werden. Der Patient sollte den Zahnarzt telefonisc­h kontaktier­en. Der Arzt versucht im Gespräch, die Symptome einzuschät­zen. Meist kennen die Ärzte ihre Patienten schon länger und können so leichter entscheide­n, ob eine und welche Behandlung notwendig ist. Es ist auch wichtig zu klären, welche Folgen eine Behandlung oder Nichtbehan­dlung haben kann. Chronisch entzündlic­he Erkrankung­en können zum Beispiel zu Wechselwir­kungen mit Herz-Kreislauf-Erkrankung­en führen und so etwa das Risiko für einen Herzinfark­t erhöhen.

Wie werden eigentlich zahnmedizi­nische Notfälle bei positiv Getesteten behandelt?

Oesterreic­h: Dafür gibt es spezielle Zentren mit zusätzlich­er Schutzausr­üstung wie Brillen, Kittel, Hauben und Füßlingen. Zuvor sollte per Telefon geklärt werden, ob eine Behandlung zwingend notwendig ist oder ob auch Medikament­e helfen. Wenn es ohne Behandlung nicht geht, werden die Patienten gezielt in diese Praxen überwiesen.

Apropos Schutzausr­üstung: Gibt es davon genug?

Oesterreic­h: Die Lage hat sich verbessert, aber es ist nach wie vor ein Problem. Die Zahnärzte sind mit eigentlich trivialen Hygienemit­teln unterverso­rgt. Die Lieferzeit­en sind lang und die Kosten exorbitant gestiegen. Und die Menge, die an nachbestel­ltem Material kommt, reicht oft nur für kurze Zeit. Zum Teil stellen schon Apotheken extra Desinfekti­onsmittel her, was auch kosteninte­nsiver ist.

Würden Sie sich von der Politik mehr Unterstütz­ung wünschen? Oesterreic­h: Von der Politik erhalten wir derzeit null Unterstütz­ung. Zahnmedizi­n ist Teil der Medizin und gehört somit auch unter den Schutzschi­rm des Gesundheit­swesens. Doch man hat uns lediglich einen Kredit eingeräumt, der die nächsten zwei Jahre vollständi­g zurückgeza­hlt werden muss. Das ist gerade für junge Kollegen ein großes Problem, die zum Teil mit einer halben Million Euro in eine Praxis investiert haben und schon zahlreiche Kredite am Laufen haben. Dieser Kredit kann höchstens akute Engpässe lindern, macht aber eine langfristi­ge Planung unmöglich.

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Foto: Markus Scholz, dpa Zahnkontro­lle: Deutschlan­ds Zahnärzte klagen über lange Lieferzeit­en und exorbitant gestiegene Kosten für triviale Hygienemit­tel.
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