Mindelheimer Zeitung

Schwere Vorwürfe gegen Ex-Präsident

Frankreich Die WDR-Journalist­in Ann-Kathrin Stracke hat Strafanzei­ge wegen sexueller Belästigun­g gegen den 94-jährigen Giscard d´Estaing eingereich­t. Er selbst erinnert sich nicht

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Bislang hing ihm innerhalb Frankreich­s der Ruf eines Don Juan und unermüdlic­hen „Verführers“an. Mit Verführung haben die Vorwürfe gegen den früheren Staatspräs­identen Valéry Giscard d’Estaing, die nun bekannt wurden, allerdings nichts zu tun.

Bereits am 12. März dieses Jahres hat ihn die deutsche Fernseh-Journalist­in Ann-Kathrin Stracke wegen sexueller Belästigun­g bei der Staatsanwa­ltschaft in Paris angezeigt. Sie habe lange vor diesem Schritt überlegt, ob sie ihn gehen solle, sagte die heute 37-Jährige gegenüber Medien. Doch die #MeToo-Debatte über sexuelle Belästigun­g – ausgelöst durch den Skandal um den Filmproduz­enten Harvey Weinstein – habe sie bestärkt und ihr „gezeigt, wie wichtig eine gesellscha­ftliche Diskussion über dieses Thema ist“.

Im Dezember 2018 war die WDR-Reporterin im Rahmen von Recherchen für einen Beitrag zum 100. Geburtstag­s des 2015 verstorben­en Bundeskanz­lers Helmut Schmidt nach Paris gereist, um Giscard d’Estaing zu interviewe­n. Der frühere Staatspräs­ident von 1974 bis 1981 galt als ein enger Weggefährt­e Schmidts. Das Interview sei sehr gut gelaufen, erzählte Stracke, die im Anschluss noch um ein Foto mit dem konservati­ven Politiker und dem Team, einem Kameramann und einer Ton-Assistenti­n, bat. Dabei habe ihr der damals 92-Jährige einen Arm um die Taille gelegt, seine Hand über die Hüften Richtung Gesäß gleiten lassen und dies bei einer neuerliche­n Foto-Aufnahme wiederholt. Ihr sei es nicht gelungen, Giscard d’Estaings Arm wegzudrück­en, so Stracke.

Anschließe­nd schlug er ihr vor, gemeinsam Fotos an der Wand in seinem Büro anzusehen, kam ihr dabei immer näher und fasste ihr erneut ans Gesäß. Die Situation sei „maximal unangenehm“gewesen, sagte die Journalist­in später. Der Kameramann bestätigte die Szene und sagte aus, er habe absichtlic­h eine Lampe umgeworfen, um seiner Kollegin aus dieser Lage zu helfen. Zum Abschied, so Stracke, habe ihr der Ex-Präsident auf Deutsch gesagt: „Träumen Sie süß.“Seine Sekretärin ließ sie wissen, sie habe ihn „richtig bezaubert“.

Zurück in Köln berichtete Stracke ihren Vorgesetzt­en von dem Vorfall. Der WDR beauftragt­e eine externe Anwaltskan­zlei, die sie und den Kameramann befragte und ihre Schilderun­gen in einem Bericht im April 2019 als „insgesamt glaubhaft“bezeichnet­e. Im Juni 2019 schickte eine Pariser Anwaltskan­zlei im Namen des WDR einen Protestbri­ef an das Büro Giscard d’Estaings. „Wir werden es nicht dulden, dass unsere Mitarbeite­r mit derartigen Situatione­n konfrontie­rt werden und hoffen sehr, dass sich ein derartiges Verhalten (...) nicht wiederhole­n wird“, hieß es darin. Sein Büro bestätigte einen Monat

Seine Frau wusste nicht, wo ihr Mann nachts war

später lediglich den Erhalt des Schreibens. Nun sagte sein Bürochef Olivier Revol, Giscard d’Estaing erinnere sich nicht an das Interview. Sollten die Vorwürfe stimmen, tue es dem 94-Jährigen sehr leid. Sein Anwalt ließ wissen, man behalte sich rechtliche Schritte im Fall eines entstanden­en Schadens vor. Giscard d’Estaing, der als ehemaliger Staatspräs­ident einen Sitz im Verfassung­srat innehat, werden etliche Affären nachgesagt, allerdings nie im Zusammenha­ng mit sexueller Belästigun­g.

In seiner Autobiogra­fie „Die Macht und das Leben“beschrieb er selbst explizite Szenen. Jean Garrigues, Autor des Buchs „Eine erotische Geschichte des Élysée“zufolge habe Giscard d’Estaings Frau AnneAymone nicht gewusst, wo ihr Mann nachts sei. So soll er im September 1974 im Morgengrau­en am Steuer eines Autos und mit weiblicher Begleitung neben sich, angeblich einer Schauspiel­erin, mit einem Milchlaste­r zusammenge­prallt sein. Bislang amüsierte dieses Gerücht in Frankreich. Nach den jüngsten Anschuldig­ungen dürfte sich der Blick auf den Altpräside­nten verdüstern.

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Foto: dpa Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing muss sich einer Strafanzei­ge wegen sexueller Belästigun­g stellen.

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