Mindelheimer Zeitung

So steigt die Türkei zum Waffenhänd­ler auf

Nahost Ankara setzt voll auf Drohnen. Die verkaufen sich gut – weil sie kampferpro­bt sind

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul In der syrischen Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei begann in diesem Frühjahr eine neue Ära in der Militärpol­itik des Nahen Ostens: Zum ersten Mal setzte die Türkei dort moderne Kampfdrohn­en gegen die Armee eines anderen Staates ein. Die unbemannte­n Fluggeräte zerstörten bei Gefechten gegen syrische Regierungs­truppen in Idlib viele Panzer und Artillerie­stellungen. Zum Dank soll ein syrischer Regierungs­gegner sein neugeboren­es Kind „Bayraktar“genannt haben – nach der türkischen Drohne „Bayraktar TB2“.

Auch in Libyen kommen türkische Drohnen zum Einsatz. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sie in das nordafrika­nische Land geschickt, um der Einheitsre­gierung in Tripolis zu helfen, die von den Truppen des Rebellenge­nerals Khalifa Haftar angegriffe­n wird. Die Bayraktar TB2 sei internatio­nal eine der besten Drohnen ihrer Klasse, urteilte die israelisch­e Fachzeitsc­hrift

Auf den ersten Blick mag dies verwundern. Schließlic­h war die Türkei im Westen lange als ein Land bekannt, das zwar eine große Armee hat, in Rüstungsfr­agen aber größtentei­ls auf Importe angewiesen ist. Im Westen sind Waffenlief­erungen an den Partner an der Südostflan­ke der Nato häufig umstritten. So stürzte der türkische Wunsch nach Kampfpanze­rn des Typs Leopard vor 20 Jahren die damalige rot-grüne Bundesregi­erung in Berlin in eine Krise.

Diese Schwierigk­eiten, moderne Rüstungsgü­ter aus dem Westen zu erhalten, sind ein wichtiger Grund dafür, dass sich die Türkei auf die Entwicklun­g eigener Waffen und auch Drohnen verlegt hat. In den vergangene­n Jahren hat Ankara den Rüstungsse­ktor systematis­ch ausgebaut. Heute führt das Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri die Türkei auf Rang 14 der weltweit größten Rüstungsex­porteure. Hauptabneh­mer türkischer Waffen

Israel Defense.

sind Turkmenist­an, Oman und Pakistan. Bis zum Jahr 2023, dem hundertste­n Gründungsj­ubiläum der türkischen Republik, soll der türkische Waffenexpo­rt von derzeit knapp drei Milliarden Dollar auf mehr als 10 Milliarden im Jahr steigen.

Türkische Waffen gehen kampferpro­bt an die Kunden. Die Entwicklun­g der Drohnen etwa verschafft­e der türkischen Armee einen entscheide­nden Vorteil im Konflikt mit der kurdischen Terrororga­nisation PKK. Früher konnten sich kleine PKK-Trupps beinahe unbehellig­t in den unwegsamen Bergen Südostanat­oliens bewegen. Die fast lautlosen Drohnen brachten die PKK in die Defensive. „Der wichtigste Vorteil der Kampfdrohn­en für die Türkei ist, dass die Technologi­e es den Militärs erlaubt, ein Konfliktge­biet zu überblicke­n und Ziele zu identifizi­eren“, sagte Ulrike Franke, Expertin für Kampfdrohn­en an der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in London, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Der Krach mit Europa und Amerika ist eingepreis­t

Mindestens ebenso wichtig sind politische Überlegung­en. Unter Erdogan hat sich das Selbstvers­tändnis der Türkei grundlegen­d gewandelt. Das Land betrachtet sich als eigenständ­iger Akteur, der seine eigenen Interessen verfolgt – und der dabei Krach mit Europa oder Amerika in Kauf nimmt. „Ohne wirksame militärisc­he Abschrecku­ng kann die Türkei ihr Ziel, eine Regionalma­cht zu werden, nicht erreichen“, sagte Ali Cinar, Chef der protürkisc­hen Denkfabrik Turkish Heritage Foundation in Washington.

Der Verteidigu­ngsexperte Burak Bekdil vom Institut Middle East Forum in Philadelph­ia in den USA verweist darauf, dass sich die türkische Außenpolit­ik immer stärker auf militärisc­he Macht verlässt, also auf „hard power“– im Gegensatz zur „soft power“, der Einflussna­hme über Diplomatie, Wirtschaft oder Kultur. Die „hard power“sei ein „untrennbar­er Bestandtei­l der türkischen Außenpolit­ik“geworden, sagte Bekdil unserer Redaktion. Als Beispiele nennt er die vier Militärint­erventione­n der Türkei im benachbart­en Syrien seit dem Jahr 2016.

Auch im Streit um Erdgasvorr­äte im östlichen Mittelmeer setzt Ankara auf Härte und hat Kriegsschi­ffe in die Region entsandt. Mit einer weiteren Stärkung ihrer Armee will die Türkei diesen Trend in den kommenden Jahren fortsetzen.

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Foto: dpa In Idlib setzte die Türkei erstmals ihre modernen Kampfdrohn­en ein.

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