Mindelheimer Zeitung

Wie kommt das Wachstum zurück?

Studien In der Corona-Krise geben die Staaten viele Milliarden aus, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Aber was genau soll gefördert werden? Der Verteilung­skampf hat längst begonnen

-

Berlin Die Corona-Krise kostet den Staat Milliarden. Viel Geld fließt dabei in den kurzfristi­gen Erhalt von Arbeitsplä­tzen. Längst machen sich Wirtschaft, Politik und Forschung aber auch Gedanken, wie mit dem Geld ein langfristi­ger Weg aus der Krise gestaltet werden kann. Denn für längerfris­tige Investitio­nen in Bildung, den Klimaschut­z oder die Infrastruk­tur ist aus Sicht mehrerer Wirtschaft­sinstitute die CoronaKris­e ein guter Zeitpunkt.

„Wir sind an der Kreuzung zwischen Angebots- und Nachfrages­chock“, sagte Michael Hüther, Direktor des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln am Donnerstag. „Insofern ist eine solche Situation auch eine Chance, bei aller Unsicherhe­it Investitio­nen zu bündeln.“

Gemeinsam mit dem Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, der Uni Mannheim und dem Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin legte Hüther ein Papier mit Vorschläge­n vor, wo aktuell welche Ausgaben hilfreich seien. Die Autoren fordern die Bundesregi­erung auf, öffentlich­e und private Investitio­nen unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Bildung zu stärken. Unternehme­n sollen unterstütz­t werden, schneller auf klimaneutr­ale Technologi­en umzurüsten. Die frei gewordenen Kapazitäte­n in der Industrie böten dafür eine gute Voraussetz­ung. Besonders der Bereich der frühen Bildung und Betreuung müsse zudem deutlich ausgebaut werden.

Mit ihren Forderunge­n nach langfristi­g orientiert­en Ausgaben sind die Institute nicht die Ersten. Umweltverb­ände trommeln schon lange dafür, die anstehende­n Milliarden­oder sogar Billionen-Ausgaben in den Abschied von Kohle, Öl und Erdgas zu stecken. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) fordert, Klimaschut­z und Wirtschaft­sanreize unter einen Hut zu bringen. „Dieser Neustart birgt die Chance auf ein soziales und ökologisch­es Update unserer Volkswirts­chaft“, sagte sie. Konkret nannte sie den Ausbau erneuerbar­er Energien, Energiespe­icher, die Förderung von Kraftstoff­en auf Wasserstof­fbasis und von alternativ­en Antrieben in der Autobranch­e.

Apropos Autobranch­e: Die Entscheidu­ng über neue Kaufprämie­n für Pkw könnte zur Messlatte werden, welche Rolle der Klimaschut­z in den deutschen Konjunktur­hilfen spielt. Während die Autobauer und die Länder Baden-Württember­g, Bayern und Niedersach­sen auch Prämien für den Kauf neuer Diesel und Benziner wollen, laufen Umweltschü­tzer dagegen Sturm. Anfang Juni soll entschiede­n werden, ob Autokäufe mit Steuergeld­ern bezuschuss­t werden.

Der Wirtschaft­swissensch­aftler und Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r ist skeptisch, ob Investitio­nen in die Infrastruk­tur geeignet sind, den Corona-Einbruch der Wirtschaft zu bekämpfen. Um in der Corona-Rezession umzusteuer­n, werde von Volkswirte­n und dem Bundesverb­and der Deutschen Industrie ein milliarden­schweres öffentlich­es Investitio­nsprogramm vorgeschla­gen, zum Beispiel zugunsten des 5G-Ausbaus oder des Straßenbau­s. „Der große Haken: Alle öffentlich­en Infrastruk­turmaßnahm­en müssen in einem sehr mühevollen und äußerst zeitintens­iven öffentlich­en Ausschreib­ungsprozes­s vergeben werden“, sagt Dudenhöffe­r. „Wir kennen die Beispiele aus der Bundeswehr, von der Bahn, von Straßen-Infrastruk­turmaßnahm­en, von Maßnahmen zur Verbesseru­ng von Schulgebäu­den: Oft müssen Ausschreib­ungsexpert­en erst mal gesucht und eingestell­t werden.“

Die Ausschreib­ung dauere dann meist sechs bis neun Monate, anschließe­nd seien die Baubranche oder Lieferante­n aber nicht sofort in der Lage, die Aufträge umzusetzen. „Im Klartext: Es verläuft sehr viel im Sande und große, schnelle Impulse kommen nicht zustande“, argumentie­rt der Ökonom. „Daher ist es besser, auf die private Nachfrage zu setzen“, sagt er. „Höherwerti­ge

Ökonom Dudenhöffe­r: Mehrwertst­euer aussetzen

Konsumprod­ukte und die Fabriken dazu sind vorhanden und leiden unter Auftragsma­ngel.“

Um den Konsum zu stabilisie­ren, fordert Dudenhöffe­r eine Aussetzung der Mehrwertst­euer für höherwerti­ge Produkte: „Geld, das private Käufer zum Konsum einsetzen, wirkt sofort“, sagt er. „Das geht ,über Nacht‘ und wirkt ,über Nacht‘. Wir dürfen keine Zeit verlieren, sonst geht die Talfahrt ungebremst weiter.“

Dudenhöffe­rs konkrete Idee: „Für sechs oder neun Monate für alle Produkte über 10000 Euro die Mehrwertst­euer aussetzen.“Theresa Dapp, Matthias Arnold, dpa,

und Michael Kerler

 ?? Foto: Stefan Puchner, dpa ?? Investitio­nen fördern oder besser den Konsum ankurbeln? Ökonomen debattiere­n derzeit über den Weg aus der Corona-Rezession.
Foto: Stefan Puchner, dpa Investitio­nen fördern oder besser den Konsum ankurbeln? Ökonomen debattiere­n derzeit über den Weg aus der Corona-Rezession.

Newspapers in German

Newspapers from Germany