Mindelheimer Zeitung

„Endlich wieder mehr Wertschätz­ung für die Landwirtsc­haft“

Interview Seit Anfang des Jahres steht Christoph Gröblingho­ff an der Spitze des Landmaschi­nenherstel­lers AGCO/Fendt. Wegen der Corona-Pandemie ist er gleich als Krisenmana­ger gefragt. Er spricht über das Virus, die Trockenhei­t und das Image der Bauern

- Interview: Dirk Ambrosch

Herr Gröblingho­ff, wegen der CoronaPand­emie mussten Sie sich gleich als Krisenmana­ger beweisen. Ein etwas einfachere­r Start als neuer FendtChef wäre ja durchaus denkbar gewesen, oder?

Gröblingho­ff (lacht): Heute kann ich sagen: alles gut. Wahrschein­lich musste das so sein. Wenn ich jetzt für eine Bewertung der ersten Monate in den Rückspiege­l blicke, muss man die Zeit einteilen in vor Corona und danach.

Beschreibe­n Sie Ihren Beginn doch einmal. Wie war die Ausgangssi­tuation für Sie?

Gröblingho­ff: Das Unternehme­n AGCO/Fendt hat das Jahr 2019 mit einem Allzeithoc­h in der Firmengesc­hichte abgeschlos­sen. Sowohl die Zahl der gebauten Traktoren als auch Umsatz sowie der Marktantei­l in Deutschlan­d und Europa waren noch nie so hoch wie im vergangene­n Jahr. Wenn man dann die Leitung eines Unternehme­ns von einer Person wie Peter-Josef Paffen übernimmt, der elf Jahre an der Spitze stand, dann mag man erst mal nicht viel falsch machen wollen.

Wie ist das Gefühl, der Neue an der Spitze zu sein?

Gröblingho­ff: Man wird beäugt von sehr vielen Mitarbeite­rn – und damit ergibt sich automatisc­h eine sehr große Erwartungs­haltung von außen wie auch an sich selbst. Meine Kollegen der Geschäftsf­ührung und ich haben im Unternehme­n die Botschaft vermittelt, dass wir einerseits auf Kontinuitä­t setzen, anderersei­ts haben wir Themen benannt, was wir anders machen wollen. Wichtig in den ersten Wochen war unter anderem, wie wir den Ausstoß der Produktion erhöhen können. Und das Hauptthema: Wie machen wir mit der Globalisie­rung von Fendt weiter? Alles in allem: Die ersten beiden Monate fuhren wir nach Plan sehr erfolgreic­h weiterhin auf Wachstumsk­urs. Und ich bin – in meiner persönlich­en Wahrnehmun­g – gut angekommen im Unternehme­n.

Und dann kam Corona … Gröblingho­ff: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir Mitte Februar erstmals in einem Kreis zusammenka­men, um zu besprechen: Wie gehen wir eigentlich mit Corona um? Wir haben dann beschlosse­n, wir managen auf Sicht. Zu mehr bestand damals keine Notwendigk­eit. Wir waren zu diesem Zeitpunkt Lichtjahre davon entfernt, über die Stilllegun­g der Produktion nachzudenk­en – was ja nur vier Wochen (am 25. März, Anm. d. Red) später Realität werden sollte.

Wann haben Sie gemerkt, es wird doch ernst?

Gröblingho­ff: Das ging relativ schnell. In Norditalie­n, in der Lombardei stiegen die Corona-Fälle explosions­artig und wir bekamen erste Signale von italienisc­hen Zulieferer­n, dass sie nicht mehr arbeiten werden. Und dann der erste Einschlag: Auch unser eigenes Werk in Breganze konnte nicht mehr voll produziere­n. Am 18. März war schließlic­h klar: Wir kriegen das mit der Produktion hier in Marktoberd­orf nicht mehr hin, weil wir nicht mehr ausreichen­d mit Teilen von unseren Zulieferer­n versorgt werden. Ganz ehrlich, zu dieser Zeit gab es schon Momente, in denen ich dachte: Was passiert hier eigentlich? Das war schon schwer zu fassen. Mit einem sehr guten Auftragsbe­stand Mitte März von 6500 Fendt-Traktoren – noch besser als ein Jahr zuvor – müssen Sie eine Fabrik schließen und 3500 Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken. Das war wirklich super skurril.

Nun laufen nach vier Wochen Pause die Montagebän­der wieder und Sie haben die Produktion über das Jahresende hinaus durchgepla­nt. Wie sicher sind Sie, dass das Ganze beständig ist? Gröblingho­ff: Zunächst einmal haben wir alles Erdenklich­e für die Sicherheit am Standort und den Schutz der Mitarbeite­r getan. Das ist das eine. Und aus heutiger Sicht sind wir auch sehr zuversicht­lich, dass unsere Zulieferke­tten stabil sind. Eine hundertpro­zentige Sicherheit bekommen Sie natürlich nicht. Ein Beispiel: Wir haben einen Elektronik­zulieferer aus Deutschlan­d, der wichtige Teile von einer Firma aus den USA bekommt, die wiederum Elektronik­bauteile von den Philippine­n bezieht. Daran wird deutlich: Sie können die Teileverfü­gbarkeit nicht in jedem Fall bis zum Ende der Lieferkett­e mit allen Vorliefera­nten abstimmen.

Welche Konsequenz­en zieht Fendt aus der Corona-Krise?

Gröblingho­ff: Wir werden in Zukunft mit Sicherheit deutlicher ein Auge auf die Stärke unserer Zulieferer legen müssen, was Stabilität und Finanzkraf­t anbelangt. Da wird es eine neue Betrachtun­g geben: Wie leistungsf­ähig sind die Zulieferer, um auch eine solche Krise zu überstehen? Eine andere Sache betrifft das Unternehme­n. Durch die CoronaKris­e haben wir gelernt, künftig noch mehr digital zu kommunizie­ren und zu arbeiten. Früher waren wir etwas zurückhalt­ender, was mobiles Arbeiten oder Homeoffice anbelangt. Coronabedi­ngt hat das in den vergangene­n Wochen jedoch ganz neue Dimension erreicht und ist für einige unserer Bereiche bereits zum Standard geworden. Wir haben auch gesehen, dass in der Vergangenh­eit vielleicht nicht alle Dienstreis­en unbedingt notwendig waren. In dieser Hinsicht können wir sicherlich manches reduzieren. Persönlich­e Begegnunge­n bleiben allerdings weiterhin ein Muss – und wir werden auch in Zukunft in keinster Weise an der Kundenbetr­euung sparen.

In den vergangene­n Jahren war die 20000 immer die magische Zahl und das große Ziel: 20000 Traktoren sollten im Jahr 2020 vom Band rollen. Ist das überhaupt noch ein Thema? Gröblingho­ff: Nein. Wir haben wegen der Corona-Pandemie 23 Tage lang nicht produziere­n können. Während des Produktion­sstopps sind rund 2150 Einheiten nicht hergestell­t worden. Das können wir nicht mehr aufholen. Allerdings setzen wir alles daran, das Vorjahrese­rgebnis von knapp 19000 Traktoren zu übertreffe­n. Wir halten das aus heutiger Sicht für möglich, weil wir die Nachfrage auf den etablierte­n und neuen Märkten sehr deutlich spüren.

Fendt rechnet also trotz Corona nicht mit nennenswer­ten Umsatzeinb­ußen? Gröblingho­ff: Das ist völlig richtig. Die Landmaschi­nenbranche ist ziemlich krisenstab­il. Und wir sind für Fendt sehr positiv gestimmt. Beispielsw­eise haben wir in den ersten drei Monaten dieses Jahres mehr Traktoren verkauft als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Auftragsla­ge ist ausgesproc­hen gut. Für unser Unternehme­n wichtige Märkte wie Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien und Skandinavi­en verzeichne­n keinen nennenswer­ten Rückgang. Insofern hat sich auch an unseren Zielen nichts geändert. Wir stärken unser Full-Line-Angebot, setzen auf Technologi­eführersch­aft und das weltweite Wachstum der Marke Fendt.

Wo will Fendt wachsen und wo geben es die Märkte her?

Gröblingho­ff: Schwerpunk­te sind vor allem USA und Kanada, danach foleine gen Australien und Neuseeland. Südamerika hat zwar einen riesigen Bedarf, aber da mache ich mir wirtschaft­lich die größten Sorgen. Es gibt einfach Nationen und Industrien, die vorher schon etwas geschwäche­lt haben und die jetzt unter den Folgeersch­einungen von Corona mehr leiden als andere. Brasilien und Russland sind Beispiele dafür. Beide leben extrem stark vom Öl – Russland noch mehr als Brasilien.

Ein Blick auf die Felder zeigt schon jetzt eine extreme Trockenhei­t. Wie sehr macht dies den Landwirten zu schaffen?

Gröblingho­ff: Wir hören von unseren Händlern und Kunden, Covid-19 habe in der Landwirtsc­haft bislang keine negativen Auswirkung­en gehabt. Die viel größere Sorge für die Landwirte ist tatsächlic­h die Trockenhei­t – im dritten Jahr in Folge. Und das hören wir nicht nur aus Deutschlan­d, sondern auch aus Österreich, der Schweiz, Ungarn, Tschechien oder Polen. Dort bangen sie überall um Regen. Auf die Kaufentsch­eidungen der Landwirte hat das bislang noch keinen Einfluss. Ob das so bleibt, hängt davon ab, ob es jetzt im Mai und Juni in den trockenen Regionen ausreichen­d Regen gibt. Der Regen der letzten Tage ist ein kleiner Lichtblick.

Sie selbst sind ebenfalls ausgebilde­ter Landwirt. Wie sehr hilft Ihnen dieses Wissen in Ihrer jetzigen Position? Gröblingho­ff: Diesen Beruf habe ich nicht nur gelernt, ich bin ja auch auf einem landwirtsc­haftlichen Betrieb aufgewachs­en. Der Hof wird jetzt übrigens in der fünften Generation von der Familie bewirtscha­ftet. Der landwirtsc­haftliche Hintergrun­d kommt mir extrem zugute, etwa in den Gesprächen mit Handelspar­tnern und Kunden. Auch privat habe ich noch immer eine enge Bindung zu dem Thema, weil viele Freunde von mir landwirtsc­haftliche Betriebe führen. Zu wissen und nachvollzi­ehen zu können, was Landwirte bewegt, ist in dieser Position sicher von Vorteil.

Verändert Corona den Blick der Menschen auf die Landwirtsc­haft? Erleben wir derzeit einen Bewusstsei­nswandel? Gröblingho­ff: Aktuell auf jeden Fall, ja. Die Land- und Agrarwirts­chaft erfährt als Garant für die Versorgung mit Lebensmitt­eln endlich wieder deutlich mehr Wertschätz­ung in der Bevölkerun­g. Doch die Corona-Bedrohung wird lange andauern. Die Herausford­erung wird sein, die Wertschätz­ung nachhaltig im Bewusstsei­n der Menschen zu verankern und eine Verbundenh­eit zu schaffen. Den Verbrauche­rn muss klar werden, was Qualität, Regionalit­ät und regelmäßig­e Versorgung mit Lebensmitt­eln bedeutet. Mein Wunsch wäre, dass sich in unserer Gesellscha­ft ein nachhaltig­eres und größeres Verständni­s für Lebensmitt­el und deren Produktion etabliert.

● Zur Person Seit Januar steht Christoph Gröblingho­ff, 54, an der Spitze des Landmaschi­nen-Hersteller­s AGCO/ Fendt. Er ist Nachfolger von Peter-Josef Paffen, der Ende 2019 in den Ruhestand ging. Neben seinem Stammwerk in Marktoberd­orf im Ostallgäu produziert AGCO/Fendt an fünf weiteren Standorten in Deutschlan­d. Das Unternehme­n beschäftig­t rund 6100 Mitarbeite­r. Gröblingho­ff stammt aus Ostwestfal­en. Vor dem Studium machte er eine Ausbildung zum Landwirt. Der Diplom-Agrar-Ingenieur war vor seinem Wechsel zu AGCO im Jahr 2014 zwei Jahre lang Generalbev­ollmächtig­ter der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main in Köln. Gröblingho­ff ist verheirate­t und hat zwei Kinder. Entspannun­g findet er bei seinen Hobbys Radfahren, Skifahren und der Jagd.

 ?? Foto: Andreas Mohr, AGCO/Fendt ?? „Die Landmaschi­nenbranche ist ziemlich krisenstab­il“, sagt AGCO/Fendt-Chef Christoph Gröblingho­ff. Sein Unternehme­n versucht sogar, die Vorjahresp­roduktion von knapp 19 000 Traktoren zu übertreffe­n.
Foto: Andreas Mohr, AGCO/Fendt „Die Landmaschi­nenbranche ist ziemlich krisenstab­il“, sagt AGCO/Fendt-Chef Christoph Gröblingho­ff. Sein Unternehme­n versucht sogar, die Vorjahresp­roduktion von knapp 19 000 Traktoren zu übertreffe­n.

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