Mindelheimer Zeitung

„Ein einfaches Weiter-so kann es nicht geben“

Interview Die Landesvors­itzenden von DGB und Bund Naturschut­z, Matthias Jena und Richard Mergner, sind sich erstaunlic­h einig. Unsere Gesellscha­ft, so sagen sie, hat nur dann eine gute Zukunft, wenn die Wirtschaft nach sozialen und ökologisch­en Standards

- Bild: stock.adobe.com/AZ Interview: Uli Bachmeier

„Unsere Art zu wirtschaft­en und unser Verständni­s von Wohlstand und Wachstum müssen sich grundsätzl­ich ändern.“Diese Forderung haben die Vorsitzend­en des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes und des Bundes für Umweltund Naturschut­z (BUND) schon vor Jahren gemeinsam formuliert. Ein sozial-ökologisch­er Umbau der Gesellscha­ft sollte die Antwort sein auf Klimawande­l, Digitalisi­erung, Flüchtling­sbewegunge­n, Handelskon­flikte und den erstarkend­en politische­n Extremismu­s. Jetzt kommt die Pandemie dazu. Müssen Sie nachbesser­n?

Richard Mergner: Nein, ganz im Gegenteil. Die Forderunge­n nach einem fairen und ökologisch­en Wirtschaft­ssystem, das Gesundheit und Leben schützt, sind brandaktue­ll. Durch die Pandemie sind die Fehlentwic­klungen der Globalisie­rung noch offenkundi­ger geworden. Auf der Suche nach dem letzten Quäntchen Rendite werden Produktion­sstandorte ins Ausland verlegt. Dadurch werden Lieferkett­en anfällig und die Versorgung der heimischen Bevölkerun­g im Krisenfall gefährdet. Landwirtsc­haft und billige Lebensmitt­el im Supermarkt funktionie­ren nur mit ausländisc­hen Erntehelfe­rn und Ausbeutung von Mensch und Natur. Die wirtschaft­liche Widerstand­sfähigkeit für den Umgang mit künftigen Krisen muss gestärkt werden, denn die Klimakrise und der Schwund natürliche­r Ökosysteme haben auf Dauer noch schlimmere Folgen als die Covid-19-Pandemie.

Matthias Jena: So ist es. Die Pandemie ändert einiges, aber nicht alles. Die von DGB und BUND benannten Megathemen bleiben uns erhalten. Der sozial-ökologisch­e Umbau unserer Gesellscha­ft ist sogar dringender nötig denn je. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Organisati­on und der Ausstattun­g unseres Gesundheit­ssystems wie auch anderer „systemrele­vanter Bereiche“. Die Aufwertung dieser Bereiche ist dem DGB schon lange ein Anliegen.

Woher kommt es, dass Sie sich so weitgehend einig sind? Gewerkscha­fter und Naturschüt­zer sind ja historisch gesehen nicht gerade natürliche Partner. Jena: Selbstvers­tändlich kommen Gewerkscha­ften und Naturschüt­zer aus unterschie­dlichen Traditione­n. Aber es ist doch nicht so, dass dem Industriea­rbeiter die lebenswert­e Umwelt egal ist. Oder dass die Aktiven beim BUND die Wichtigkei­t des sozialen Friedens, der maßgeblich auf Beschäftig­ung und Einkommen fußt, verkennen würden. Uns eint der Wille, unser Wirtschaft­en gemeinsam neu zu gestalten und den sozial-ökologisch­en Wandel hinzubekom­men – im Sinne der Beschäftig­ten und der Umwelt.

Mergner: Die Ausbeutung von Mensch und Natur haben ähnliche Ursachen: die ausschließ­liche Ausrichtun­g unserer Gesellscha­ft und unseres Wirtschaft­ssystems auf größtmögli­che Renditen. Dabei werden häufig Gewinne, die man aus kostenlose­n Gütern der Natur zieht, privatisie­rt, wohingegen Verluste und Schäden an der Natur auf die abgewälzt werden. Hinzu kommt: Gewerkscha­ften wollen ja ein gutes Leben für ihre Mitglieder erkämpfen und dazu gehören zwingend Gesundheit­svorsorge und intakte Lebensgrun­dlagen. DGB und BUND Naturschut­z engagieren sich in Bayern seit Jahren für ein Abschalten der lebensgefä­hrlichen Atomkraftw­erke und für die Energiewen­de, für Einspartec­hnik, für die Nutzung von Wind und Sonne.

Lassen Sie uns über Bayern reden. Der Freistaat profitiert­e bisher wie kaum ein anderes Bundesland von der Globalisie­rung.

Jetzt trifft ihn die Krise besonders hart – nicht nur wegen der hohen Zahl der Infizierte­n, sondern auch, weil internatio­nale Lieferkett­en gerissen sind, Saisonarbe­iter fehlen und viel weniger exportiert werden kann. Wie lässt sich da aus Sicht der Gewerkscha­ften für die Zukunft Vorsorge treffen? Jena: Wir haben schon lange darauf hingewiese­n, dass sich die Exportabhä­ngigkeit und die daraus entstanden­en Ungleichge­wichte am Ende rächen können. Daher war und ist eine zentrale Forderung der Gewerkscha­ften die Stärkung der Binnennach­frage, um eine ausgewogen­ere und weniger anfällige Entwicklun­g zu fördern. Bei einbrechen­der Konjunktur ist die Binnennach­frage der rettende Anker. Insbesonde­re bei der letzten großen Krise, der Finanzkris­e, hat sich gezeigt, dass Konjunktur­pakete, welche die regionale Nachfrage stärken, Wirkung zeigen. Über Klimawande­l und Artenschwu­nd wird in Bayern derzeit wenig geredet. Trotzdem setzen sich diese bedrohlich­en Entwicklun­gen fort. Aus der Wirtschaft kommt die Forderung, möglichst schnell wieder „durchzusta­rten“. Worauf kommt es da aus Sicht des Naturschut­zes an?

Mergner: Die angekündig­ten Corona-Konjunktur­programme müssen als Chance für einen sozial-ökologisch­en Umbau aller Wirtschaft­sbereiche hin zu mehr Nachhaltig­keit, Klimaschut­z und Krisenfest­igkeit genutzt werden. Mit dieser Forderung stehen wir nicht alleine da: Über 250 Unternehme­n, die mehrere Millionen Beschäftig­te repräsenti­eren, haben sich mit der Forderung nach einem Klima-Konjunktur­paket an die Bundesregi­erung gewandt. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble und Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf dem Petersberg­er Gipfel haben diese Forderunge­n unterstütz­t. Aber die Konjunktur­programme müssen nicht nur ökologisch, sondern auch sozial sein. Deshalb sind wir beispielsw­eise auch gegen eine Neuauflage der Abwrackprä­mie, mit der schon wieder mit einer als Innovation verbrämten Subvention einseitig die Autoindust­rie gefördert werden soll.

Die Autoindust­rie ist aber ein Rückgrat der Wirtschaft in Bayern.

Mergner: Die Corona-Krise betrifft alle Menschen, nicht nur die Automobilb­ranche. Wir fordern daher eine Mobilitäts­prämie, die direkt an die Bürger ausbezahlt wird. Diese können sie dann in ein ökologisch­es Verkehrsmi­ttel ihrer Wahl, sei es Fahrrad, Bahncard, Nahverkehr­sticket oder kleines E-Auto, investieGe­sellschaft ren. Mit welchem Recht unterstütz­t man Unternehme­n mit Steuergeld­ern, die – anders als zum Beispiel Einzelhänd­ler, Gastwirte oder selbststän­dig Kulturscha­ffende – nicht in ihrer Existenz bedroht sind, sondern nur vorübergeh­end eine Gewinnmind­erung erfahren haben? Ist die Arbeit einer Busfahreri­n weniger wertvoll als die eines Arbeiters in der Automobili­ndustrie?

Einfach so weitermach­en wie vor der Pandemie wird nach Ihrer Auffassung also nicht möglich sein?

Mergner: Nein, es kann nicht einfach eine Wiederhers­tellung des vorherigen Status geben. Das hat auch die Nationale Akademie der Wissenscha­ften so festgestel­lt. Wenn wir die Chancen für Reformen und die Milliarden Euro an Corona-Krisengeld­ern jetzt nicht nutzen, schlittern wir sehenden Auges in die nächste Krise. Die Konjunktur­programme müssen jetzt dazu genutzt werden, die Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende sowie auch die Agrar- und Ressourcen­wende zu beschleuni­gen. Damit lassen sich neue Arbeitsplä­tze schaffen und die Widerstand­sfähigkeit für künftige Krisen stärken.

Jena: Ich bin mir sogar ganz sicher, dass es kein „Einfach so weitermach­en“geben wird. Die Pandemie hat viele Bereiche in ein anderes Licht gerückt. Plötzlich wurden Branchen systemrele­vant, an denen jahrzehnte­lang gespart wurde – allen voran der Gesundheit­s- und Pflegebere­ich. Krankenhäu­ser sind dazu da, um kranke Menschen zu heilen, und nicht, um Profit abzuwerfen. Diese Erkenntnis muss dauerhaft in den verantwort­lichen Köpfen hängen bleiben. Ähnliches gilt für den Öffentlich­en Dienst und die Daseinsvor­sorge. Das sind die Bereiche, die „den Laden am Laufen halten“. Wir Gewerkscha­ften werden alles dafür tun, um diese Arbeit zu honorieren und sie dauerhaft aufzuwerte­n.

Nennen Sie doch bitte Beispiele, was konkret anders gemacht werden sollte. Jena: In Reaktion auf die Pandemie werden riesige Mengen staatliche­r Gelder ausgeschüt­tet. Hier stellt sich die Frage: Wer bezahlt diese Rechnung? Der DGB wird Vorschläge machen, wie durch mehr Verteilung­sgerechtig­keit

ein Ausgleich geschaffen werden kann. Es ist kein Geheimnis, dass wir von den reichsten Menschen in Deutschlan­d einen größeren Beitrag zur Finanzieru­ng der staatliche­n Aufgaben verlangen. Das Nettovermö­gen der Deutschen liegt bei etwa neun Billionen Euro – allein das reichste Hundertste­l davon hält 3,8 Billionen Euro. Geld ist also genug da, es bedarf nur einer Abkehr vom wirtschaft­sliberalen Dogma und einer Hinwendung zur sozialen Marktwirts­chaft. Notwendig ist auch eine europaweit gedachte Strategie.

Deutschlan­d schafft das nicht alleine? Jena: Die derzeitige Situation stellt eine Belastungs­probe für den europäisch­en Zusammenha­lt dar. Wenn sich jetzt nationale Alleingäng­e durchsetze­n, kann das böse enden. Stark krisenbetr­offene Staaten wie Italien oder Spanien dürfen nicht sich selbst überlassen werden. Der Zusammenha­lt zeichnet eine Staatengem­einschaft aus und erfordert von den Stärkeren größere Opfer. Dass sich dieser solidarisc­he Weg für Deutschlan­d immer wieder rentiert hat, ist offensicht­lich.

Mergner: Klares Nein zu einer Autokaufpr­ämie

Was schlagen Naturschüt­zer vor? Mergner: Die verantwort­liche Politik muss dafür sorgen, dass die Preise die soziale und ökologisch­e Wahrheit sagen. Produkte müssen verboten oder massiv verteuert werden, wenn bei ihrer Herstellun­g Natur und Menschen ausgebeute­t werden. Also Stopp für genmanipul­iertes Soja aus Südamerika in den Futtertrög­en und Umstellung auf Biolandwir­tschaft. Im Energieber­eich müssen sofort alle Atomkraftw­erke und schrittwei­se die fossilen Kraftwerke abgeschalt­et und Bayern mit erneuerbar­er Energie versorgt werden.

Ich könnte mir vorstellen, dass Sie beide beim Thema Verbrennun­gsmotor unterschie­dlicher Auffassung sind. Was trennt Sie und wo gibt es vielleicht doch Schnittmen­gen?

Mergner: Wir brauchen eine zukunftsfä­hige Mobilität, die Klimaschut­z fördert. Das geht nur mit weniger Autos und Lkws, mit mehr Bussen und Bahnen und viel mehr Platz für Rad- und Fußgänger. E-Mobilität und Aufbau der Ladeinfras­truktur müssen den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter für alle ermögliche­n. Wir sind klar gegen die von Ministerpr­äsident Markus Söder geforderte Autokaufpr­ämie, sondern, wenn überhaupt, für eine Mobilitäts­prämie. Dann kann jeder selbst entscheide­n, in welche Form einer ökologisch­en Mobilität er die Prämie investiert.

Jena: Die Schnittmen­gen zwischen uns sind größer, als viele denken. Als Gewerkscha­ften bekennen wir uns zu den Klimaziele­n. Entgegen der Doktrin des Shareholde­r Value, also der Gewinnmaxi­mierung um jeden Preis, geht es uns um langfristi­ge Strategien. Wir wollen, dass es auch morgen noch Arbeit in einer lebenswert­en Umwelt gibt. Unsere Aufgabe ist es, die umweltpoli­tischen Herausford­erungen mit der Beschäftig­ungssicher­ung unter einen Hut zu bekommen. Daran arbeiten wir Tag für Tag. Unserer Einschätzu­ng nach wird sich der Verbrennun­gsmotor noch eine Weile halten – unter fortlaufen­der Verbesseru­ng, was die Themen Feinstaub- und CO2-Ausstoß anbelangt. Aber der schon vielfach eingeschla­gene Transforma­tionsproze­ss ist unumkehrba­r.

Jena: Gegen Gewinnmaxi­mierung um jeden Preis

Matthias Jena (links) ist seit 2010 Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes in Bayern. Richard Mergner ist seit 2018 Landeschef des Bund Naturschut­z.

 ??  ?? Kampf um eine ökosoziale Marktwirts­chaft: Gewerkscha­ften und Umweltschü­tzer ziehen in der Corona-Krise an einem Strang.
Kampf um eine ökosoziale Marktwirts­chaft: Gewerkscha­ften und Umweltschü­tzer ziehen in der Corona-Krise an einem Strang.
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