Holländer rechnen noch lange mit Geisterspielen
Große Veranstaltungen mit viel Publikum wie Profifußballspiele sind nach Einschätzung der niederländischen Regierung wahrscheinlich frühestens Mitte nächsten Jahres wieder möglich. Erst wenn es einen Impfstoff gegen das Coronavirus gebe, könnten Massenveranstaltungen wieder erlaubt werden, heißt es in einem Brief des Gesundheitsministers Hugo de Jonge an das Parlament. „Wir hoffen natürlich, dass das schnell geht, aber ein Jahr oder länger ist realistisch“, heißt es darin. Damit dürften auch große Sportereignisse wie Fußballspiele, Marathon- oder Radrennen auf lange Zeit nur ohne Publikum stattfinden. Der niederländische Fußballverband (KNVB) reagierte enttäuscht und „unangenehm überrascht“
. . . und Goldsteaks essen ...
Reif: ... das ist ja alles richtig und auch zum Kotzen, wenn Sie das so von mir hören wollen. Aber das hat mit der Entscheidung, weiterzumachen, nichts zu tun. Es ist zu billig, das durcheinanderzuwerfen. Damit kann ich nichts anfangen.
Also „Brot und Spiele“. Aber wenn doch schon die Ultras, also diejenigen Fans, die immer zu jedem Spiel rennen, um ihren Verein zu unterstützen,
Reif: Sie unterstellen nun den Ultras eine Größe, die sie nicht haben. Die Ultras sind ein wichtiger, aber ein bedeutend geringerer Teil der Menschen, die im Stadion sind. Es gibt Umfragen, die sagen, dass 70 bis 75 Prozent aller Deutschen Fußball sehen wollen, also die anderen Fans. Es kann nicht sein, dass die Ultras die Deutungsherrschaft für sich alleine beanspruchen. Es kann nicht sein, dass eine Minderheit, und zwar eine klare Minderheit, dem Rest vorschreibt, wie Dinge zu sehen sind. Wenn die Ultras das nicht wollen, dann können sie gerne wegbleiben und müssen nicht hinschauen.
Fußball als Placebo fürs Volk ... Reif: Die Deutschen sind doch kein Volk von Schwachsinnigen. Sie haben bewiesen, wie faszinierend diszipliniert sie diese Corona-Krise bisher gemeistert haben. Die Menschen muss ich nun belohnen. Menschen, die seit Wochen zu Hause sitzen, denen muss ich irgendwann
mal was fürs Gemüt und für die Seele geben. Nicht nur Brot. Nicht nur Angst um ihren Job und um Familienangehörige. Jeder Mensch braucht Ablenkung, weil er sonst psychisch krank wird, und diese Folgeerkrankungen sind noch viel zu wenig besprochen worden. Für zwei, drei Stunden sich mal wieder mit was anderem zu beschäftigen, dem so furchtbar umstrittenen Videobeweis oder der Auslegung der Handregel, und erst dann wieder mit dem Ernst der Lage umzugehen – das halte ich für das Gebot der Stunde. Alles, was sich wissenschaftlich, medizinisch und ethisch verantworten lässt und als beherrschbares Risiko angesehen werden kann, muss an Lockerungen kommen. Wenn nicht, wird diese Gesellschaft auch psychisch krank. Ich sage nicht, dass sie am Fußball gesunden wird. Um Gottes willen! Aber Fußball als Ablenkung mal für ein paar Stunden – das halte ich für gesellschaftlich relevant.
Was wäre denn so schlimm daran, wenn diese hyperkommerzialisierte Blase Profifußball sich nun ein bisssagen, chen gesundschrumpfen würde, wenn plötzlich weniger Geld in Umlauf wäre?
Reif: Gar nichts. Aber das Geld ist doch da! Das ist doch niemandem geklaut worden. Das ist doch das Vertrackte an der ganzen Geschichte: Man kann sich noch nicht einmal moralisch entrüsten! In München haben sie über Jahrzehnte prima gewirtschaftet und sich mit zig Champions-League-Teilnahmen ein Polster geschaffen. Die Kataris in Paris, die Emirate in Manchester, amerikanische Milliardäre in Liverpool, Fiat in Turin – haben doch das Geld. Nur: Der Profifußball an sich ist obszön geworden. Ablösesummen, Beraterhonorare, Spielergehälter. Das ist in den Irrsinn abgedriftet. Die Großen werden das überleben. Meine These ist, und das werde ich mit meinen 70 noch erleben: Die großen Klubs werden in absehbarer Zeit in ihrer eigenen Superliga spielen, abgekoppelt von den nationalen Ligen.
Für Romantiker ein Gräuel ...
Reif: Klar, aber die Großen werden weiter am Rad drehen wie vor Coroauch
„In der Regel wissen wir doch, wie das Spiel ausgeht.“
Reif über die Macht des Geldes
Und das kann man auch als FußballLiebhaber wie Sie emotionslos zur Kenntnis nehmen, wenn der großartige Volkssport so verraten und verkauft wird?
Reif: Wird er ja nicht, gar nicht. Die einen spielen da oben Entertainment-Fußball. Und die anderen, von Würzburg über Ingolstadt bis zu Mönchengladbach und Frankfurt, spielen den Fußball, wie wir ihn bisher kannten. Und dann haben auch die Fans ihren Klub wieder. Auf Dauer macht es doch keinen Sinn, den FC Bayern und Paderborn in einer Liga gegeneinander antreten zu lassen. Manche Vereine, natürlich vor allem auch international, haben sich in den letzten Jahren – durch Champions-League-Gelder oder andere Einnahmen – so weit abgehoben vom nationalen Rest, und heute spielen sie in ihren Ligen in einer Art Schaulaufen. Dann haben die anderen die Bude voll und singen: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus.“Aber das gelingt immer weniger. Weil Geld Tore schießt. Und weil die anderen die Spieler nicht haben, um die Tore zu schießen, um den Bayern die Lederhosen auszuziehen. Klar, natürlich gewinnst du dann mal ein Spiel – aber in der Regel wissen wir doch, wie’s ausgeht.
● Marcel Reif, 70, war jahrzehntelang meinungsstarker und sprachgewandter – und deshalb auch umstrittenster – deutscher Fußball-Kommentator. Er arbeitet für einen Schweizer Pay-TV-Sender.