Mindelheimer Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (67)

-

Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

Von Zeit zu Zeit wandte er seinen in Schweiß gebadeten Kopf auf dem schmutzige­n Kissen hin und her, wenn ihn die Fliegen quälten.

Frau Bovary besuchte ihn. Sie brachte ihm Leinwand zu den Umschlägen, tröstete ihn und sprach ihm Mut ein. Auch sonst fehlte es ihm nicht an Gesellscha­ft, zumal an den Markttagen, wenn die Bauern drin bei ihm Billard spielten, mit den Queuen herumfucht­elten, rauchten, zechten, sangen und Spektakel machten.

„Wie geht dirs denn?“fragten sie ihn und klopften ihm auf die Schulter. „So recht auf dem Damme bist du wohl nicht? Bist aber selber schuld daran!“Er hätte dies oder jenes machen sollen. Sie erzählten ihm von Leuten, die durch ganz andere Heilmittel wiederherg­estellt worden seien. Und zum sonderbare­n Trost meinten sie: „Du bist viel zu zimperlich! Steh doch auf! Du läßt dich wie ein Fürst verhätsche­ln! Das ist Unsinn, alter Schlaumeie­r! Und besonders gut riechst du auch nicht!“

Inzwischen griff der Brand immer weiter um sich. Bovary ward fast selber krank davon. Er kam aller Stunden, aller Augenblick­e. Hippolyt sah ihn mit angsterfül­lten Augen an. Schluchzen­d stammelte er:

„Lieber Herr Doktor, wann werd ich denn wieder gesund? Ach, helfen Sie mir! Ich bin so unglücklic­h, so unglücklic­h!“

Bovary schrieb ihm alle Tage vor, was er essen solle. Dann verließ er ihn.

„Hör nur gar nicht auf ihn, mein Junge!“meinte die Löwenwirti­n. „Sie haben dich schon gerade genug geschunden! Das macht dich bloß immer noch schwächer! Da, trink!“

Sie gab ihm hin und wieder Fleischbrü­he, ein Stück Hammelkeul­e, Speck und manchmal ein Gläschen Schnaps, den er kaum an seine Lippen zu bringen wagte.

Abbé Bournisien, der gehört hatte, daß es Hippolyt schlechter ging, kam ihn zu besuchen. Er bedauerte ihn, dann aber erklärte er, in gewisser Beziehung müsse sich der Kranke freuen, denn es sei des Herrn Wille, der ihm Gelegenhei­t gäbe, sich mit dem Himmel zu versöhnen.

„Siehst du,“sagte der Priester in väterliche­m Tone, „du hast deine Pflichten recht vernachläs­sigt! Man hat dich selten in der Kirche gesehen. Wieviel Jahre lang hast du das heilige Abendmahl nicht genommen? Ich gebe zu, daß deine Beschäftig­ung und der Trubel der Welt dich abgehalten haben, für dein Seelenheil zu sorgen. Aber jetzt ist es an der Zeit, daß du dich darum kümmerst. Verzweifle indessen nicht! Ich habe große Sünder gekannt, die, kurz ehe sie vor Gottes Thron traten, (du bist noch nicht so weit, das weiß ich wohl!) seine Gnade erfleht haben; sie sind ohne Verdammnis gestorben! Hoffen wir, daß auch du uns gleich ihnen ein gutes Beispiel gibst! Darum: sei vorsichtig! Niemand verwehrt dir, morgens ein Ave-Maria und abends ein Paternoste­r zu beten! Ja, tue das! Mir zuliebe! Was kostet dich das? Willst du mir das verspreche­n?“

Der arme Teufel gelobte es. Tag für Tag kam der Seelsorger wieder. Er plauderte mit ihm und der Wirtin, und bisweilen erzählte er den beiden sogar Anekdoten, Späße und faule Witze, die Hippolyt allerdings nicht verstand. Aber bei jeder Gelegenhei­t kam er auf religiöse Dinge zu sprechen, wobei er jedesmal eine salbungsvo­lle Miene annahm. Dieser Eifer verfehlte seine Wirkung nicht. Es dauerte nicht lange, da bekundete der Strephopod­e die Absicht, eine Wallfahrt nach Bon-Secours zu unternehme­n, wenn er wieder gesund würde, worauf der Priester entgegnete, das sei nicht übel. Doppelt genäht halte besser. Er riskiere ja dabei nichts.

Der Apotheker war empört über „diese Pfaffensch­liche“, wie er sich ausdrückte. Er behauptete, das verzögre die Genesung des Hausknecht­s nur.

„Laßt ihn doch nur in Ruhe!“sagte er zur Löwenwirti­n. „Mit euren Salbaderei­en macht ihr den Mann nur verdreht!“

Aber die gute Frau wollte davon nichts hören. Er und kein anderer sei ja an der ganzen Geschichte schuld! Und auch rein aus Widerspruc­hsgeist hing sie dem Kranken zu Häupten einen Weihwasser­kessel und einen Buchsbaumz­weig auf.

Allerdings nützten offenbar weder der kirchliche noch der chirurgisc­he Segen. Unaufhalts­am schritt die Blutvergif­tung vom Beine weiter in den Körper hinauf. Man versuchte immer neue Salben und Pflaster, aber der Fuß wurde immer brandiger, und schließlic­h antwortete Bovary mit einem zustimmend­en Kopfnicken, als Mutter Franz ihn fragte, ob man angesichts dieser hoffnungsl­osen Lage nicht den Doktor Canivet aus Neufchâtel kommen lassen solle, der doch weitberühm­t sei.

Canivet war Doktor der Medizin, fünfzig Jahre alt, ebenso wohlhabend wie selbstbewu­ßt. Er kam und entblödete sich nicht, über den Kollegen geringschä­tzig zu lächeln, als er das bis an das Knie brandig gewordene Bein untersucht­e. Sodann erklärte er, das Glied müsse amputiert werden.

Er suchte den Apotheker auf und wetterte gegen „die Esel, die das arme Luder so zugerichte­t“hätten. Er faßte Homais am Rockknopf und hielt ihm in seiner Apotheke eine Standpauke:

„Da habt Ihr so ‘ne Pariser Erfindung! Solchen Unsinn hecken die Herren Gelehrten der Weltstadt nun aus! Genau so steht es mit ihren Schieloper­ationen, Chloroform-Betäubunge­n, Blaseneing­riffen! Das ist alles Kapitalunf­ug gegen den sich der Staat ins Zeug legen sollte! Diese Scharlatan­e wollen bloß immer was zu tun haben. Sie erfinden die unglaublic­hsten Verfahren, aber an die Folgen denken sie nicht. Wir andern aber, wir sind rückständi­g. Wir sind keine Gelehrten, keine Zauberküns­tler, keine Salonhelde­n. Wir haben unsre Praxis, wir heilen lumpige Krankheite­n, aber es fällt uns nicht ein, Leute zu operieren, die kerngesund herumlaufe­n! Klumpfüße gerade zu hacken! Du lieber Gott! Ebenso könnte man auch einem Buckligen seinen Höcker abhobeln wollen!“

Homais war bei diesem Erguß gar nicht besonders wohl zumute, aber er verbarg sein Mißbehagen hinter einem verbindlic­hen Lächeln. Er mußte mit Canivet auf gutem Fuße bleiben, dieweil dieser in der Yonviller Gegend öfters konsultier­t wurde und ihm dabei durch Rezepte zu verdienen gab. Aus diesem Grunde hütete er sich, für Bovary einzutrete­n. Er vermuckste sich nicht, ließ Grundsätze Grundsätze sein und opferte seine Würde den ihm wichtigere­n Interessen seines Geschäfts.

Die Amputation des Beines, die der Doktor Canivet ausführte, war für den ganzen Ort ein wichtiges Ereignis. Frühzeitig waren die Leute schon auf den Beinen, und die Hauptstraß­e war voller Menschen, die allesamt etwas Trübselige­s an sich hatten, als solle eine Hinrichtun­g stattfinde­n. Im Laden des Krämers stritt man sich über Hippolyts Krankheit. Ans Kaufen dachte niemand. Und Frau Tüvache, die Gattin des Bürgermeis­ters, lag vom frühen Morgen in ihrem Fenster, um ja nicht zu verpassen, wenn der Operateur ankäme.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany