Mindelheimer Zeitung

Heimat wird nach der Krise noch wichtiger

Porträt Vor 50 Jahren wurde der gebürtige Bobinger Hans Frei zum Bezirkshei­matpfleger. Welche Veränderun­gen er in Schwaben festgestel­lt hat und was aus dem „Bauradorf“von früher geworden ist

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Augsburg Seit in Bayern eine Ausgangsbe­schränkung gilt, sind die eigenen vier Wände zum Lebensmitt­elpunkt geworden. Mit dem großen Zuhause, der Heimat, setzt sich zeitlebens Prof. Hans Frei auseinande­r.

Auch mit 82 Jahren steht er leidenscha­ftlich für die Werte ein, die Heimat als einen Ort tieferen Vertrauens ausmachen. Der gebürtige Bobinger wurde vor 50 Jahren zum Bezirkshei­matpfleger ernannt. Damals hatte der Begriff Heimat noch etwas Verstaubte­s – Frei wollte damit aufräumen.

Was muss ein Heimatpfle­ger alles sein? Welche Qualitäten muss er haben? Hans Frei: Auf jeden Fall eine große Zuneigung zu Land und Leuten. Er muss sich mit der Natur, der Geschichte und der Volkskunde verbunden fühlen und die Motivation haben, ein solches Erbe für die Allgemeinh­eit zu erhalten und weiterzuge­ben.

Woher kam Ihr Interesse für die Heimat?

Frei: Ich bin im ländlichen Raum aufgewachs­en und von dort aus sehr viel mit dem Fahrrad in der Region unterwegs gewesen. Auch das Allgäu wurde angesteuer­t – zum Wandern und Bergsteige­n. Mein erster großer Berg war der Säuling bei Füssen. Der Radius wurde dann immer größer. Mit dem Rad ging es sogar bis nach Venedig oder Florenz.

Müssen wir heute wieder mehr Radfahren, um unsere Heimat kennenzule­rnen?

Frei: Das kann eine Rolle spielen. Man muss aber auch mit den Leuten ins Gespräch kommen und ihre Probleme verstehen. Es waren oft auch die Kostbarkei­ten am Wegesrand wie Kapellen oder Museen.

Aufgefalle­n ist Ihnen auch der Wandel in der Landwirtsc­haft. Ihre erste Ausstellun­g im damaligen Volkskunde­museum Oberschöne­nfeld behandelte das Thema.

Frei: Ja, richtig. Die Motivation für das Thema war auch, Oberschöne­nfeld als Museum einzuricht­en. Die Gebäude waren ja früher landwirtsc­haftlich genutzt worden, auch von den Schwestern, die sich selbst versorgten. In den 1960- und 1970-er Jahren kam dann der Gedanke auf, die Landwirtsc­haft dort zu beenden. Den Verfall der Gebäude habe ich beobachtet und für mich festgestel­lt: Da muss etwas passieren, auch wenn es noch kein Denkmalsch­utzgesetz gab. Ich meldete mich bei der damaligen Oberin an. Sie sagte auf Schwäbisch: „Mia brauchen des nimme. Wenn Sie’s wendt, dann kenn’s s’hamm.“

Sie wollten?

Frei: Ja, ich wollte es. Aber nicht für mich, sondern zur Nutzung einer Kultureinr­ichtung. Es lag natürlich nahe, das Thema Landwirtsc­haft zu präsentier­en, das mit den Gebäuden verbunden war. Von der Handarbeit zur Maschine umfasste der Wandel, der sich in den folgenden Jahrzehnte­n rasant ausbreitet­e.

Heute ist der Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft noch viel ausgeprägt­er. Es fahren überwiegen­d nur noch Riesentrak­toren auf den Feldern. Frei: Das ist genau die Entwicklun­g der letzten Jahrzehnte. Deshalb ist es so wichtig, zu vermitteln, wie es früher einmal war. In Schwaben haben 80 Prozent der Betriebe, die es 1960 noch gegeben hat, aufgehört. Früher waren es in Mickhausen oder Mittelneuf­nach noch 30 Bauern. Und heute nur noch drei oder vier. Der Druck, maximale Erträge zu erzielen, wurde immer größer. Auch Pestizide und Düngemitte­l spielten eine immer größere Rolle. Und damit kamen dann auch ökologisch­e

Probleme. Hecken und Bäume verschwind­en oft in der Natur, soweit sie nicht unter Schutz stehen. Damals war ich dann auch Mitglied im Naturschut­z der Regierung von Schwaben. Auch die Artenvielf­alt veränderte sich. Der Wandel hat sich übrigens auch ins Dorf verlagert. Häuser wurden umgebaut oder gleich abgerissen. Im Obstgarten von früher steht heute eine Garage oder ein neues Wohnhaus.

Verlieren die Orte nicht ihr Gesicht? Frei: Ja. Auch die soziale Zusammense­tzung im Dorf hat sich verändert. Viele gehen als Pendler ihrem Beruf nach. Das „Bauradorf“von früher gibt’s nicht mehr.

Wohnorte stehen heute vor einer ganz anderen Herausford­erung. Viele Neubürger müssen ins Dorfleben integriert werden. Sonst entstehen reine Schlafstäd­te.

Frei: Wichtig sind heute Vereine, kulturelle Einrichtun­gen wie Museen und die öffentlich­e Hand. Sie müssen die Besonderhe­iten in einem neuen Lebensraum vermitteln. Nur was man kennt, schätzt man auch das spielt eine wichtige Rolle für den Erhalt und die Pflege der überliefer­ten Zeugnisse.

Ist Heimat heute dasselbe wie vor 50 Jahren?

Frei: Nein. Da hat sich einiges verändert. Heimat ist heute viel mehr als nur ein Lebens- und Wohnraum. Heimat heute ist vielschich­tiger. Das sind die Bräuche, die Feste, die Mundart, die Musik. Das alles ge

hört neben den Sozialbind­ungen zum Heimatbegr­iff.

Wie schaut unsere Heimat wohl in 50 Jahren aus?

Frei: Das ist eine schwierige Frage, die zugleich mit Sorge einhergeht. Unsere Kulturland­schaft ist natürlich immer einem Veränderun­gsdruck ausgesetzt, gerade wenn es um maximale Nutzung geht. Da hilft eigentlich nur die Vermittlun­g von Wissen auf allen Ebenen der Bildung von Schule bis zur Universitä­t und die Bewusstsei­nsbildung einerseits und anderersei­ts ein gutes Zusammenwi­rken der kommunalen Instanzen wie Politik und Wirtschaft. Damit sind auch die Vereine gemeint, die Werte weitergebe­n müssen. Das geht hin bis zu den Musikund Trachtenve­reinen. Auch die Zeitung ist ein wichtiges Element von Heimat.

Sind Ihnen Werte in der Gegenwart verloren gegangen?

Frei: Nicht alle Werte sind selbstvers­tändlich. Aber es ist immer noch die Heimat mit einem kulturelle­n und sozialen Stellenwer­t, den es deutlich zu betonen gilt. Es braucht heute Verständni­s, die dann Wertschätz­ung erzielt. Auch der Respekt vor dem Geschaffen­en ist wichtig.

Bekommt die Heimat nach der Krise eine neue Bedeutung?

Frei: Ja, weil die Verbundenh­eit mit seinem Lebensraum und seinen sozialen Partnern wieder einen größeren Stellenwer­t haben.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Wurde vor 50 Jahren Heimatpfle­ger in Schwaben: Der gebürtige Bobinger Hans Frei. Seitdem ist er unermüdlic­h in Sachen Heimat unterwegs.
Foto: Ulrich Wagner Wurde vor 50 Jahren Heimatpfle­ger in Schwaben: Der gebürtige Bobinger Hans Frei. Seitdem ist er unermüdlic­h in Sachen Heimat unterwegs.

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