„Schulen werden an Grenzen stoßen“
Bildung Die ersten regulären Klassen haben wieder Unterricht. Bisher funktioniert das – aber was, wenn noch mehr Jahrgänge folgen? Gerade für kleine Landschulen wird es dann schwierig
Augsburg Endlich wieder Schule! Es muss schon viel passieren, dass solche Jubelstürme aus den Klassenzimmern schallen. Und doch berichten Lehrer aus ganz Bayern in den sozialen Netzwerken von der Begeisterung, mit denen gerade Grundschüler jetzt wieder an ihren Schulen lernen – nach acht Wochen Corona-Pause. Mittlerweile sind die Abschlussjahrgänge und vor allem die Schüler zurück, die nächstes Jahr ihre Prüfungen schreiben. Auch die Viertklässler sehen ihre Lehrer wieder live. Nächsten Montag sollen weitere Jahrgänge folgen, etwa die Erstklässler an den Grundschulen. Die Frage ist nur, ob das Sicherheits- und Unterrichtskonzept des Kultusministeriums trägt. Und diese Frage wird gerade fast ebenso heiß diskutiert wie die nach einem Corona-Impfstoff.
Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags, hat ernsthafte Bedenken. Bayerns Schulen und die Gemeinden als deren Träger könnten ihm zufolge bei der Wiederaufnahme des Unterrichts schnell an ihre Grenzen stoßen. „Gerade kleine Schulen werden ganz schnell nicht mehr ausreichend
Räume zur Verfügung haben, um Klassen zu teilen und dann noch den nötigen Sicherheitsabstand zu gewährleisten“, sagte der CSU-Politiker, der auch als Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds fungiert, am Dienstag unserer Redaktion.
Maximal 15 Schüler dürfen sich derzeit im selben Klassenzimmer aufhalten, bei 1,5 Metern Sicherheitsabstand zwischen den Tischen. Das Kultusministerium plant ein „rollierendes System“, wonach sich die einzelnen Klassen in Lerngruppen aufteilen und sich tage- oder wochenweise im Schulgebäude abwechseln. Viertklässler und Abschlussklassen hingegen sollen jeden Tag am Präsenzunterricht teilnehmen, so die Vorgabe. Viele Schulen verteilen den Unterricht deswegen auf Vor- und Nachmittag.
Nach Ansicht Brandls löst das zwar manches Platzproblem, führt aber zu einem weiteren Knackpunkt. Auch, wenn die Schüler einer Klasse nacheinander unterrichtet würden, mache das die Organisation für die Kommunen nicht einfacher: „Dann haben wir ein Transportproblem. Die Kommunen müssen deutlich mehr Schulbusse zur Verfügung stellen – und das innerhalb kürzester Zeit.“In Städten mit öffentlichem Nahverkehr sei das natürlich kein Problem. Er habe den Eindruck, so Brandl, dass die Schulöffnung im Kultusministerium „durch die städtische Brille gesehen wurde“, dabei befänden sich 75 Prozent der bayerischen Schulen auf dem Land. Brandl ist sich sicher: „Wenn das Kultusministerium mehr und mehr Jahrgänge zurück an die Schulen holen will, wird man auf kurz oder lang die Vorschriften lockern müssen – zum Beispiel bei der Anzahl der Schüler, die zusammen in einem Raum lernen dürfen.“
Noch aber ist ihm zufolge ein Unterrichtsbetrieb mit allen Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet. „Wir haben uns alle zusammen angestrengt, damit das funktioniert.“
Dass der Unterricht bisher gut funktioniert, bestätigt auch Josef Voigt, Leiter einer kleinen Grundschule in Berg im Gau (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) und Kreisvorsitzender des Bayerischen Lehrerund Lehrerinnenverbands (BLLV). Der Unterricht sei „wunderbar angelaufen“, sagt Voigt. „Die Kinder waren sehr diszipliniert.“Doch auch er fürchtet, dass etliche Schulen an ihre Grenzen stoßen könnten – vor allem personell. Denn nicht nur die Klassen müssen geteilt werden. Seit Montag haben auch mehr Kinder Anspruch auf Notbetreuung. Gab es zunächst ein solches Angebot nur für Schüler der Jahrgangsstufen eins bis sechs, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, können heute auch die Kinder Alleinerziehender, Schüler mit Behinderung und Kinder, bei denen das Jugendamt es anordnet, in der Schule notbetreut werden. Vielgelobte Idee, aber zusätzlicher Personalbedarf. Noch dazu falle eine ganze Reihe Lehrer aus den Risikogruppen aus. „Wir müssen jeden Tag bereit sein, umzusteuern“, erklärt Voigt. Er meint das nicht als Vorwurf an die Behörden, schließlich habe niemand Erfahrung mit einer solchen Krise. Was er der Schulpolitik anlastet, ist etwas anderes: Erstens, dass an Bayerns Schulen schon vor Corona hunderte Lehrer fehlten. Zweitens, dass Schulleiter vielerorts kaum Zeit zum Organisieren hätten, weil sie so viel selbst unterrichten müssten. Die Sekretariate, die Aufgaben abnehmen könnten, seien mitunter nur ein oder zwei Tage die Woche besetzt. Das alles räche sich nun: „Jetzt werden alle Mängel aufgedeckt, die über die Jahre im bayerischen Schulsystem gewachsen sind.“