Mindelheimer Zeitung

Vermieter vor Gericht

Justiz Weil es aus der Wohnung stank und der Mieter nicht erreichbar war, öffnete ein Mann die Tür. Nun stand er dafür vor Gericht

- VON MELANIE LIPPL

Weil Verwesungs­geruch aus einer Wohnung kam und sich der Mieter nicht meldete, öffnete ein Vermieter die Tür. Jetzt stand er wegen Einbruchs vor Gericht.

Unterallgä­u Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Vermieter und aus der von Ihnen vermietete­n Wohnung dringt übler Verwesungs­geruch nach draußen. Ihr Mieter, der seit Monaten im Zahlungsrü­ckstand ist, geht tagelang nicht ans Telefon – und auf das Klingeln an der Tür reagiert er auch nicht. Weil Ihr Mieter das Schloss vor einiger Zeit ausgetausc­ht hat, kommen Sie mit Ihrem Zweitschlü­ssel nicht in die Wohnung. Was würden Sie tun? Falls Sie die Tür aufbrechen würden, sollten Sie sich das Ganze noch einmal gut überlegen. Denn damit könnten Sie vor dem Strafricht­er landen – wie jüngst ein 66-Jähriger aus dem Unterallgä­u.

Ihm wurde vorgeworfe­n, im November vergangene­n Jahres gemeinsam mit seinem Sohn die Wohnungstü­r seines Mieters aufgebroch­en und einen Laptop aus der Wohnung mitgenomme­n zu haben. In den Augen der Staatsanwa­ltschaft ist das Hausfriede­nsbruch und Diebstahl.

Dass er die Tür aufgebroch­en und den Rechner genommen hatte, bestritt der Angeklagte vor Gericht nicht. Er erklärte aber auch, warum: Bereits im August hatte ihm sein säumiger Mieter angeboten, Ende des Monats auszuziehe­n. „Dann hätte ich ihm seine Mietrückst­ände geschenkt“, sagte der 66-Jährige. Doch als er von mehreren Auslandsau­fenthalten zurückkam, hatte der Mieter die Wohnung offenbar immer noch nicht geräumt. Stattdesse­n „hat es im ganzen Haus gestunken“, so der 66-jährige Hausbesitz­er. Nachbarn und eine Gastronomi­e in der Nähe hätten sich schon beschwert. „So ein Gestank kommt nicht mal aus dem Gulli raus“, erklärte der Vermieter. Er habe sich gesorgt, dass der Hund des Mieters tot in der Wohnung liege – oder gar der Mieter selbst, den er seit Tagen telefonisc­h nicht erreicht habe. Also habe er seinen Sohn um Hilfe gebeten, um die Tür aufzubrech­en. „Ich habe was unternehme­n müssen“, sagte der Angeklagte. Er ist sich aber inzwischen bewusst: „Ich hätte auf die Polizei warten müssen.“

Als er die Tür aufgebroch­en hatte, „dachte ich, mich trifft der Schlag“, so der 66-Jährige. „Das war eine Müllabstel­lkammer.“Bevor er die Wohnung betrat, dokumentie­rte er den Zustand auf Fotos. Im später verfassten Polizeiber­icht heißt es: „Das Bett konnte nur erahnt werden und war völlig verdreckt.“Von verschimme­lten Nahrungsmi­tteln ist die Rede und davon, dass sich auch die Polizisten wegen des Gestanks nicht lange in der Wohnung aufhalten konnten. Den Laptop seines Mieters habe er an sich genommen, damit ihn niemand stehle, erklärte der angeklagte Vermieter vor Gericht – schließlic­h hatten wegen der aufgebroch­enen Wohnungstü­r theoretisc­h alle Parteien des Hauses Zutritt zu der Kellerwohn­ung des Mieters. Sowohl der Vermieter als auch der inzwischen hinzugekom­mene Mieter hatten an dem Novemberta­g die Polizei gerufen – und als diese sich nach dem Laptop erkundigte, händigte der 66-Jährige ihn auch sogleich aus.

Der 37 Jahre alte Mieter beschuldig­te den 66-Jährigen dennoch des Diebstahls. Den Müll und den Gestank in der Wohnung begründete der Mieter so: „Ich hatte damals meine Probleme.“Er habe kein Einkommen, bis heute nichts vom Amt gehört und kein Geld bekommen.

Weil der Vermieter wegen Unterschla­gung und Betrug unter offener Bewährung stand, war die Sache vor Gericht gelandet. Die Staatsanwa­ltschaft sah den Hausfriede­nsbruch und den Diebstahl als erwiesen an, nahm aber auch die Entschuldi­gung und die schwierige Situation des Vermieters zur Kenntnis – und forderte eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung.

Verteidige­rin Anna Maria Huber sah die Sache komplett anders: Ihr Mandant sei sich in diesem Moment im November 2019 sicher gewesen, etwas Richtiges zu tun. In ihren Augen war auch die Mitnahme des Laptops kein Diebstahl, weil die „Zueignungs­absicht“gefehlt habe.

Das sah Richterin Katrin Krempl ebenfalls so. Sie verurteilt­e den 66-Jährigen nur wegen des Hausfriede­nsbruchs, nicht aber wegen Diebstahls, zu einer Geldstrafe von 20 Tagesssätz­en à 30 Euro und erklärte dem Angeklagte­n: „Man darf nicht in die Wohnung rein, auch wenn es da noch so sehr stinkt.“

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