Schneller als die Sportrichter
Schwarze Schafe des Sports Justin Gatlin stand drei Mal unter Dopingverdacht. Doch der Sprinter holte immer das Optimum heraus – auf der Bahn wie vor Gericht (Serie, Teil 22)
Schon bevor Justin Gatlin zum Sprintstar wurde, war er Doper. Sprintstar, das wurde er 2004, bei den Olympischen Spielen. Am Start des 100-Meter-Finales war er nicht der Topfavorit, kam mit der viertbesten Zeit nach Athen, startete auf Bahn drei. 9,85 Sekunden später kannten ihn Fans auf der ganzen Welt. Justin Gatlin war Olympiasieger. Der schnellste Mensch der Welt. Ein Jahr danach holte der USAmerikaner Gold bei der Weltmeisterschaft in Helsinki über 100 und 200 Meter. Da war er gerade einmal 23 Jahre alt. Und eigentlich wäre seine Karriere mit 24 vorbei gewesen.
Denn Gatlin ist nicht sauber. Schon 2001, als Junior, erwischen ihn die Kontrolleure mit einem Test bei einer nationalen Meisterschaft. Gatlin wird ein Jahr gesperrt – dabei hätten es auch gut zwei sein können. Er findet aber, eine Warnung hätte es auch getan. Das Testergebnis sei Resultat einer Medikation, die bis in seine Kindheit zurückreicht, sagt er. Er leide unter Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Die Sportrichter finden die Begründung weder überzeugend noch fadenscheinig, machen einen Kompromiss: Sie halbieren die übliche Sperre von zwei Jahren auf eines. Aber Gatlin hat den Warnschuss offenbar nicht gehört. 2006 fällt er erneut auf. Und Wiederholungstäter werden lebenslang gesperrt, auch wenn sie inzwischen Weltmeister und Olympiasieger sind. Eigentlich.
Gatlin findet sein Schlupfloch, macht einen Deal mit der Anti-Doping-Behörde der Vereinigten Staaten. Eine Aussage als Kronzeuge gegen seinen bisherigen Trainer Trevor Graham bringen diesen um seine Trainerlizenz und in Hausarrest.
Gatlin kommt um eine lebenslange Sperre herum, wird zunächst für acht Jahre gesperrt. Später halbieren die Sportrichter das Urteil auf vier Jahre.
Der Deal wirft heute noch Fragen auf, über zehn Jahre danach. Skilangläufer Johannes Dürr, der als
Kronzeuge gar ein ganzes Dopingnetzwerk ausgehoben hatte, ist im September verurteilt worden. Auch der Österreicher ist Wiederholungstäter – und aus dem Sport für immer verbannt.
Gatlin hingegen kehrt 2010 auf die Laufbahn zurück. Mit 28, im besten Sprinteralter, startet er seine zweite Karriere. Und die wird nicht weniger erfolgreich als die erste. 2017 holt er bei der WM seine dritte Goldmedaille, siegt über 100 Meter.
Dabei schlägt er Superstar Usain
Bolt. Zuvor hatte er in London und Rio mit Bronze und Silber seine olympische Medaillensammlung über 100 Meter komplettiert.
Er schlägt seine bisherige Bestzeit von 9,77 Sekunden, die er nachweislich gedopt gelaufen war. Wäre da nicht meist Bolt vor ihm, Gatlin hätte die vergangene Dekade über 100 Meter dominiert. Doch Zweifel sind seine ständigen Begleiter. Kurz nach seinem Sieg über Bolt veröffentlicht die britische Tageszeitung einen Investigativ-Bericht, wonach Gatlins Trainer den Reportern angeboten habe, Dopingmittel zu beschaffen. Sein Berater habe zudem angegeben, dass Gatlin dopt. Der bestreitet das, feuert seinen Trainer. Die Behörden leiten Ermittlungen ein.
Bis heute sind diese ohne Ergebnis. Auch der dritte Doping-Eklat kann Justin Gatlin nicht aufhalten. Bei der vergangenen WM in Doha tritt er erneut an, trotz heftiger Proteste. Der 37-Jährige ist mit Abstand ältester Starter im 100-MeterFinale. Er holt trotzdem Silber. Und noch einmal Gold: Team USA siegt in der Staffel.