Das Kinderhospiz öffnet in kleinen Schritten
Corona Zum Schutz von Familien und Mitarbeitern war es wochenlang geschlossen. Team hielt telefonisch Kontakt
Bad Grönenbach Es war ein bitterer Moment, als die sechs Familien aus dem Kinderhospiz St. Nikolaus in Bad Grönenbach abreisten. Der Anblick weinender Eltern mit der Sorge „Wie geht’s jetzt weiter? Wie schaff’ ich das?“steht Pflegedienstleitung Angelika Schirmer noch vor Augen. Ein paar Tage zuvor war – nach langem Ringen, ständig neuen Abwägungen des Führungsteams und nach mehreren Gesprächen mit den Eltern – die Entscheidung gefallen, die Einrichtung ab 20.März wegen Corona für sechs Wochen zu schließen: zum Schutz der schwerstkranken Kinder, ihrer Familien wie auch der Mitarbeiter. Telefonisch standen diese den Familien weiterhin zur Seite. Nun hat das Hospiz – mit Einschränkungen – seine Pforten wieder geöffnet.
Während ihres im Durchschnitt zehn- bis zwölftägigen Aufenthalts im Hospiz bekommen Familien bei der Pflege eines unheilbar und lebensverkürzend erkrankten Kindes Unterstützung – und die Gelegenheit, Kraft zu tanken, erklärt Angelika Schirmer. Auch beim Sterben des Kindes und in der Trauer begleitet das Hospiz die Familien. Der schwierige Entschluss zur Schließung fiel angesichts des Ansteckungsrisikos – besonders für die kranken Kinder: „Die Eltern haben das mitgetragen, manche haben einen bevorstehenden Aufenthalt auch von sich aus abgesagt“, erzählt Schirmer. Unzählige Telefonate haben sie, die Mitarbeiter und das Team des Ambulanten Dienstes um Koordinatorin Kathrin Pade seither geführt. Auch während der Schließung sollten Familien, die beim Hospiz angebunden sind, jederzeit einen Ansprechpartner haben.
Denn bei der extrem beanspruchenden Pflege der Kinder, von denen manche beispielsweise beatmet werden müssen oder von Mehrfachbehinderungen betroffen sind, kämpften die Eltern nun mit zusätzlichen Erschwernissen, machen Schirmer und Pade klar. Mitunter stünden Pflegedienste nur eingeschränkt zur Verfügung, Besuche von Therapeuten entfielen und zeitweise fehlte wegen des Kontaktverbots auch Hílfe aus der Familie, etwa von Großeltern. Den Alltag zu managen, beinhaltet laut Pade für viele Eltern außerdem, sich um Geschwislosgehen. terkinder zu kümmern – und dies während der Schließung von Kindergärten und Schulen rund um die Uhr: eine Situation, die an die Grenzen der Belastbarkeit führt – und darüber hinaus. Auch weil ein Ende nicht absehbar ist, sagt Schirmer. Noch dazu werfe die Pandemie die schlimmsten Fragen auf, so Pade: „Was machen wir, wenn unser Kind sich ansteckt? Wann darf es gehen?“
Trotz der Ausnahmesituation seien die meisten Familien zumindest gut durch die zurückliegende Phase gekommen – „zum Beispiel, weil es doch Unterstützung gab oder in dem Wissen, dass wieder andere Zeiten kommen“, sagt Schirmer. Es gab wenige Fälle, in denen sie Sorge hatte, „dass es kippen könnte“. Stets bleibt eine Option: „Wenn so eine Überforderung entsteht, dass die Eltern nicht mehr zurechtkommen, bieten wir im Rahmen der Krisenintervention einen Platz im Haus an – natürlich nach genauer Abwägung.“
An sieben Wochentagen war der Ambulante Dienst zu erreichen – dorthin konnten sich Familien zum Beispiel wenden, wenn sich der psychische Zustand des Kindes verschlechterte. „Die Eltern mussten dann beschreiben, wo es fehlt und wie die Situation ist – dann konnten wir Hilfe leisten“, schildert Pade. In einer kritischen Situation wäre neben dem Platzangebot im Hospiz auch ein Hausbesuch in Frage gekommen. Der Ambulante Dienst, der mit Unterstützung von 26 ehrenamtlich Aktiven 24 Familien betreut, sucht diese ansonsten seit 20.März ebenfalls nicht mehr auf. Erst im Juni und nach einer speziellen Schulung für die Ehrenamtlichen soll es wieder
Bis dahin erkundigen sich die Ehrenamtlichen laufend, wie es bei ihren Schützlingen steht. Manches Mal tut ein Lichtblick dringend not – und die Ehrenamtlichen lassen sich etwas einfallen. Pade erzählt von einem Beispiel, bei dem jemand Basteleien für die Geschwisterkinder vor die Tür legte: „Später kam von der Familie ein Foto, auf dem alle zusammen fleißig am Werk waren.“
Seit 4.Mai tastet sich das Kinderhospiz vorsichtig an den Betrieb heran. Betreut werden laut Schirmer zwei Geschwister mit Mehrfachbehinderungen, deren Mutter krank ist und sie derzeit nicht versorgen kann. Außerdem ist ein Kind mit einem Elternteil da. Die deutlich reduzierte Belegung ist eine der Vorsichtsmaßnahmen. Schirmer erklärt, dass aus Gründen des Infektionsschutzes auch keine Wassertherapie stattfindet und keine externen Therapeuten ins Haus kommen: „Physio- und Musiktherapie gibt es aber, weil wir das selbst machen.“Überdies werde die Zahl der Kontaktpersonen niedrig gehalten, etwa durch eine 1:1-Betreuung. Eine Ausnahme bildet die Nachtschicht – hier greifen dafür zusätzliche Schutzmaßnahmen.
Sollte ein Mitarbeiter an Covid-19 erkranken, kann das Hospiz schnell reagieren, da die Pflegekräfte in verschiedene Teams aufgeteilt wurden. Familien mit Geschwisterkindern werden vorerst wegen strenger Abstandsund Hygieneregeln nicht aufgenommen. Auch Austausch und Gemeinschaftsaktionen fänden nur eingeschränkt statt, bedauert Schirmer. Immerhin: „Vor ein paar Tagen haben wir im Garten mit der Gitarre musiziert – auf Abstand.“Man müsse kreativ sein und sich den Gegebenheiten ständig neu anpassen, sagt Schirmer. Das gilt auch für die kommende Zeit, in der allmählich die Belegung erhöht und wieder mehr Familien aufgenommen werden sollen.
„Die Eltern haben das mitgetragen.“
Angelika Schirmer