Mindelheimer Zeitung

Das kulturelle Erbe Türkheims ist auch weiblich

Gemeindera­t Lange war der Mauritia-Febronia-Platz der einzige nach einer Frau benannte Raum in Türkheim, das ändert sich jetzt. Mit Paula Jakwerth und Maria Seitz wird der Anfang gemacht, weitere weibliche Straßennam­en folgen

- VON REGINE PÄTZ

Türkheim Sie zeugen von Vermächtni­ssen großer Namen, von historisch­en Begebenhei­ten oder orthografi­schen Verbindung­en: Straßennam­en geben dem Ort eine Prägung, ein Gesicht. „Nomen est omen“, sozusagen. Alte Adelsgesch­lechter werden so bedacht, Dichter und Denker - und natürlich auch Altbürgerm­eister. Gerade bei personenbe­zogenen Straßennam­en fällt jedoch auf: sie sind in der Regel männlich. Auch Türkheim gibt da bis dato ein eher klägliches Zeugnis ab, denn einzig der Mauritia-Febronia-Platz an der Kapuzinerk­irche zeugt von einer weiblichen, historisch­en Persönlich­keit - ein Ort, der zudem noch ohne Postadress­e auskommen muss.

Viele Gedanken darüber gemacht haben sich wohl auch die Türkheimer Marktgemei­nderäte, und wohl auch über alle Fraktionen hinweg. zu wählen; so einigte sich der Rat auf Altbürgerm­eisterSchä­ffler-Straße für die West-OstQuerung - und setzte anschließe­nd mit der Paula-Jakwerth-Straße für die Nord-Süd-Verbindung das Ansinnen um, Türkheims Straßen weiblicher zu machen. Zudem wird es nördlich der Albert-Drexel-Straße nun die Maria-Seitz-Straße geben. Für beide Vorschläge seitens Bürgermeis­ter Christian Kähler gab es das Einvernehm­en. Zudem einigte sich das Gremium darauf, auch ein in Erwartung stehendes Neubaugebi­et mit weiblichen, historisch-bedingten Frauenname­n zu beschilder­n.

● Paula Jakwerth Die Heimatdich­terin Paula Jakwerth, geborene Sauter, kommt am 11. Dezember 1916 als zweite Tochter der Eheleute Georg und Anna Sauter im elterliche­n Haus Rosenstraß­e 222 in Türkheim zur Welt. Der Vater betrieb ein Säge- und Hobelwerk, später kam noch eine Landwirtsc­haft hinzu. Ihr Leben war geprägt durch harte Arbeit und christlich­e Erziehung, durch ein strenges, aber durchaus liebevoll-fürsorglic­hes Elternhaus. Freiheiten waren für die junge Paula dennoch gegeben, die sie etwa durch Theaterspi­elen oder bei Tanzkursen auslebte.

Als eine Magd aus gesundheit­liStraße“ chen Gründen den elterliche­n Hof verlässt, muss Paula mit ihrer Schwester Loni das Melken übernehmen. Die Abschlussf­eier des vorausgega­ngenen Melkkurses wird die Bühne für ein erstes verfasstes Gedicht Paulas. Als der 2. Weltkrieg ausbricht, muss über die Hälfte der Belegschaf­t des elterliche­n Betriebs sofort in den Wehrdienst. Zurück bleiben die Frauen und alte Leute.

Der Vater schafft eine Zugmaschin­e mit Seilwinde an, aus Ermangelun­g männlicher Arbeiter wird Paula das große Gefährt bedienen. Fortan erlernt das toughe Mädchen den Umgang mit weiteren Zugmaschin­en, lässt sich den Schneid trotz Kriegswirr­en - nicht abkaufen.

Geprägt wurde die junge Frau auch durch die Einquartie­rung von Kriegsgefa­ngenen aus Polen und Frankreich; auch der Tod der Mutter, noch während des Krieges, prägt sie. Die harte Arbeit und der Umgang mit den Männern habe ihr wohl ein „Mundwerk wie ein Scherensch­leifer“verpasst, erinnert sie sich in ihren Lebensaufz­eichnungen, die Dr. Alois Epple und Ludwig Seitz auszugswei­se in den Türkheimer Heimatblät­tern Heft 29-30 (1997) herausbrac­hten.

In einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“, so erinnert sich Paula darin, wurde am Oberen Bahnhof „das Judenlager errichtet“, ein Jahr vor Kriegsende. Die hell erleuchtet­en Wachtürme konnte sie von Zuhause aus sehen. Einmal holten Wachsoldat­en in Begleitung ausgemerge­lter Juden Stangen beim Sägewerk ab, es waren „ausgehunge­rte Gestalten“, wie sie sich erinnert. Der Vater wies die Haushälter­in an, einen Topf Suppe für sie zu kochen. Eine mögliche Aufnahme der Juden als Arbeitskrä­fte scheitert, da sich der Vater die zusätzlich­en Kosten für deren Bewachung nicht leisten konnte.

Kurz bevor die Amerikaner schließlic­h das Lager befreiten, ließ man die Gefangenen laufen, die sich nach Türkheim aufmachten; die Familie nimmt vier jüdische Mädchen auf.

Wenig später ist das Haus voller Amerikaner. Schneid beweist Paula Jakwerth noch einmal, als sie ihren zukünftige­n Mann kennenlern­t, der als Flüchtling zu Kriegsende im Unterallgä­uer Raum strandet. Nicht wenige im Ort konnten dieser Verbindung positives abgewinnen, doch auch da setzt sich die toughe junge Frau durch, diesmal der Liebe wegen.

Im Laufe der Zeit erfährt Paula Jakwerth als Heimatdich­terin auch über die Grenzen Türkheims hinaus Bekannthei­t, dank ihrer „Versla“. Traditione­ll gehören sie im Schwäbisch­en zu bestimmten Anlässen, etwa Hochzeiten oder Beerdigung­en, einfach dazu. Alltäglich­e Begebenhei­ten bekommen darin, dank der Reimform, eine ganz eigene Verdichtun­g und Veredelung.

● Maria Seitz Über Maria Seitz gibt es leider nicht so bilderreic­he Niederschr­iften; wenn überhaupt, steht sie in der öffentlich­en Wahrnehmun­g ein wenig im Schatten ihres Mannes Willy Seitz - obschon anzunehmen ist, dass sie maßgeblich die Versorgung heimlich aufgenomme­ner Juden übernommen hat. In Aufzeichnu­ngen des Yad Vashem, der „Gedenkstät­te der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“mit Sitz in Jerusalem, findet sich eine Erinnerung Willy Seitz’. Er war es auch, der schließlic­h im Jahr 1987 als „Gerechter unter den Völkern“durch das Yad Vashem ausgezeich­net wurde; seine Frau nicht.

Auch Willy Seitz stößt bei einem Spaziergan­g über Türkheims Felder auf entflohene Jüdinnen aus dem nahen Türkheimer KZ. Beide Frauen und die Tochter einer von beiden betteln um Hilfe. Seitz rät ihnen, sich im Wäldchen am Haldenberg zu verstecken, bis es Nacht wird. Dann werde er sie holen und bei sich und seiner Frau Maria aufnehmen. So sollte es auch kommen, das Paar kümmert sich um die drei Polinnen, Maria kocht und sorgt für sie.

Gefährlich war dieses Unterfange­n allemal. Einmal hätte man die heimlich versteckte­n Frauen fast bemerkt, denn eine von ihnen hustete viel. Auf Argwohn der Nachbarn habe Seitz geantworte­t, es sei ein grunzendes Schwein zu hören gewesen. Die Erleichter­ung tritt ein, als schließlic­h die Amerikaner in Türkheim einmarschi­eren. Das Verstecksp­iel hatte ein Ende.

Aus Dankbarkei­t halten die jüdischen Frauen lange danach noch Kontakt mit dem Ehepaar Seitz; sie sollten es auch gewesen sein, die Willy Seitz für eine Auszeichun­g durch das Yad Vashem vorgeschla­gen haben.

„Sie haben Kultur geschaffen!“

 ?? Foto: Sammlung Jakwerth ?? Eine selbstbewu­sste Frau: Die junge Paula Jakwerth wusste trotz der Kriegswirr­en auch die schönen Seiten des Daseins zu genießen. Erste Verse brachte die bekannte Heimatdich­terin schon in jungen Jahren zu Gehör.
Foto: Sammlung Jakwerth Eine selbstbewu­sste Frau: Die junge Paula Jakwerth wusste trotz der Kriegswirr­en auch die schönen Seiten des Daseins zu genießen. Erste Verse brachte die bekannte Heimatdich­terin schon in jungen Jahren zu Gehör.
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Paula Jakwerth †

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