Mindelheimer Zeitung

„Kunst ist unbedingt lebensnotw­endig!“

Kultur In unserer neuen Serie fragen wir unter dem Motto „Kunstpause“nach, wie Künstler und Kulturscha­ffende die Corona-Zeit erleben

-

Die Corona-Krise und der Lockdown haben zunächst alle Lebensbere­iche betroffen. Mittlerwei­le gibt es im Alltag immer mehr Lockerunge­n. Nur bei der Kultur ist es immer noch ziemlich ruhig. In unserer neuen Serie „Kunstpause“wollen wir zeigen, wie Künstler aus der Region die Krise erleben oder auch nutzen, um sie künstleris­ch umzusetzen. Zum Auftakt führte Tina Schlegel ein Gespräch mit Christian Schedler, dem Leiter des Mindelheim­er Kulturamte­s.

Herr Schedler, wir treffen uns in Ihrem Büro und man könnte meinen, alles ist normal, aber draußen steht die Welt noch immer Kopf. Wie erlebten Sie bislang die Krise?

Christian Schedler: Als die Verordnung­en kamen, sind wir zunächst ins Homeoffice und haben die Zeit genützt für die Inventaris­ierung, ein immenser, aber notwendige­r Aufwand, geht es dabei doch um viel mehr als die schlichte Benennung der Objekte, wir stellen Quellen zusammen, Hintergrun­dinformati­onen zu den Werken. So gesehen war die viele Zeit erst einmal hilfreich. Aber mir fehlen die persönlich­en Kontakte.

Das kann ich gut nachvollzi­ehen. Kreativitä­t entsteht ja vielfach in einer direkten Auseinande­rsetzung. Christian Schedler: Für uns als Team gilt das auf jeden Fall. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind oder wahrschein­lich gerade deshalb, wir schätzen diesen Austausch sehr.

Die Ausstellun­g um die Architektu­rfamilie Böhm stand gerade am Anfang und viele andere Veranstalt­ungen mussten bislang abgesagt werden. Kommt man da unweigerli­ch an einen Punkt der Resignatio­n? Christian Schedler: Das vorzeitige Aus für die wunderbare Ausstellun­g über die Böhms nach nur einer Woche war für uns alle sehr traurig. Zwischenze­itlich habe ich mit Professor Stephan Böhm gesprochen und gemeinsam haben wir beschlosse­n, die Ausstellun­g bis zum 4. 10. zu verlängern. Allerdings müssen wir vielen anderen Künstlern absagen, inzwischen schon vorausscha­uend bis in den

Herbst hinein. Resignatio­n aber kenne ich nicht, das widerspric­ht meiner Natur. Dennoch bedrückt es mich sehr, auch weil ich weiß, dass viele Künstler sowie kleine Kunstbetri­ebe diese Krise nicht überstehen werden. Ich rechne mit einem regelrecht­en Kahlschlag.

Manchmal kann ein Kahlschlag ja auch Neues, Gutes hervorbrin­gen. Ich denke da an die vielen optimistis­chen Betrachtun­gen zu unserer Gesellscha­ft. Denken Sie, die Gesellscha­ft formiert sich jetzt neu?

Christian Schedler: Zumindest denke ich, dass die Gesellscha­ft an einem Scheidepun­kt steht. Pandemien gab es ja schon immer, denken Sie an die Pest im 14. Jahrhunder­t. Neu ist, dass jetzt versucht wurde, die Gesellscha­ft als Ganzes zu schützen. Das anfänglich­e Gemeinscha­ftsgefühl gab da durchaus Anlass zur Hoffnung, derzeit aber werden wieder zersetzend­e Kräfte laut. Ich weiß nicht, was da noch passiert.

Wie wird sich denn die Kunst entwickeln müssen?

Christian Schedler: Das vermag ich mir noch nicht vorzustell­en. Kunst hat aber schon immer reagiert, sie besitzt eine seismograp­hische Aufgabe. Kunst ist ja nicht dazu da, die

Wirklichke­it abzubilden, sondern eine interpreti­erte Wirklichke­it zu zeigen. Sie wird ihren Weg finden, da bin ich sicher.

Es gab bereits ganz unterschie­dliche Versuche der Kunst auf die Krise zu reagieren. Einer etwa waren die virtuellen Museumsrun­dgänge. Wie denken Sie darüber?

Christian Schedler: Wir haben das tatsächlic­h intensiv diskutiert. Viele großen Museen haben das gemacht und wir hätten ja auch genug Bildmateri­al, aber wir haben uns bewusst dagegen entschiede­n aus dem einfachen Grund: Die Museen sind die letzten verblieben­en Orte, wo es zur Begegnung mit Originalen kommt. Im virtuellen Museum fällt dieses Erleben weg. Ich halte es überdies für ein falsches Signal, wenn wir jetzt sagen, man kann sich die Bilder auch im Internet anschauen. Das konnte man ja ohnehin. Aber es ist und bleibt eben nur ein Derivat ohne Aura. Die Menschen sollen sich auf den nächsten Museumsbes­uch freuen wie man sich während der Fastenzeit auf den nächsten kulinarisc­hen Genuss freut.

Damit sind wir bei einer sehr grundlegen­den Frage: Wie wichtig oder sogar existentie­ll ist Kunst für uns Menschen im Einzelnen und unsere Gesellscha­ft im Ganzen?

Christian Schedler: Ich antworte mit einem Zitat von Winston Churchill. Während des zweiten Weltkriegs wurde er gefragt, ob man die Kunst brauche. Darauf sagte er: „Wofür sollen wir denn sonst kämpfen?“

Christian Schedler

Architektu­rskizzen aus der Familie Böhm sind in den Mindelheim­er Museen zu sehen.

Kunst ist also lebensnotw­endig? Christian Schedler: Unbedingt. Eine Gesellscha­ft verkommt, verarmt geistig, wird brutal und selbstsüch­tig, wenn es keine Kunst und Kultur gibt, die die zwischenme­nschlichen Töne anspricht. Wir brauchen Kunst.

Bleiben wir also zuversicht­lich, dass die Gesellscha­ft eine freie bleibt und eine gemeinscha­ftliche, die der Kunst genügend Plätze bieten kann. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.

Öffnungsze­iten Die Mindelheim­er Museen haben jetzt wieder geöffnet. Besuchen kann man sie dienstags bis sonntags von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbaru­ng.

 ?? Fotos: tisch ??
Fotos: tisch
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany