Mindelheimer Zeitung

In China tickt eine neue Zeitbombe

Die größten Probleme mit Corona hat das Land gemeistert. Um soziale Verwerfung­en zu vermeiden, muss jetzt aber auch die Wirtschaft in Gang kommen

- VON FABIAN KRETSCHMER red@augsburger-allgemeine.de

Dass Peking im Kampf gegen Corona einen ersten Etappensie­g errungen hat, daran lässt der derzeit stattfinde­nde Nationale Volkskongr­ess keinen Zweifel: Die Bilder von den 3000 Parteikade­rn, die dicht an dicht in der Großen Halle des Volkes Platz zur größten parlamenta­rischen Tagung weltweit Platz genommen haben, senden eine klare Botschaft an die Weltgemein­schaft. Während große Teile der Welt sich nach wie vor im Lockdown befinden, kehrt in der Volksrepub­lik wieder der politische Alltag ein.

Nur ein fader Beigeschma­ck bleibt: Dass nämlich ausgerechn­et zum Auftakt des politisch wichtigste­n Ereignisse­s in China die Gesundheit­sbehörden erstmals keine einzige Neuinfekti­on im 1,4-Milliarden-Staat vermeldete­n, weckt einen unschönen Verdacht. Zu oft hat die Kommunisti­sche Partei ihre Statistike­n der politisch gewünschte­n Realität untergeord­net.

Dabei ist das Erreichte in China beachtlich: Längst befindet sich das Reich der Mitte in einer Art neuem Normalzust­and, der sich in der Hauptstadt Peking in durchaus gewohntem Alltag niederschl­ägt. Die Feierabend­staus sind zurückgeke­hrt, bis auf einige Insolvenze­n haben die Restaurant­s wieder geöffnet und auch in den ShoppingVi­erteln wird wieder eifrig konsumiert. Bis auf die omnipräsen­ten Gesichtsma­sken könnte man die Krise im Alltag glatt vergessen.

Für diesen neuen Normalzust­and hat die Bevölkerun­g einige Opfer erbracht: Die Hälfte der Chinesen befand sich zeitweise unter Quarantäne oder in Ausgangssp­erren, viele Maßnahmen wie die digitale Überwachun­g fielen in China drakonisch­er aus als in den meisten anderen Ländern. Doch trotz des angriffslu­stigen US-Präsidente­n Donald Trump, der China quasi die Schuld an der Pandemie gibt, ist das Gegenteil der Fall: Die ersten Wochen des Virusausbr­uchs waren zwar von der Inkompeten­z der Lokalregie­rung in Wuhan und Vertuschun­gsaktionen geprägt. Doch nach drei Wochen hat die Volksrepub­lik so effizient und drastisch gegen das Virus gekämpft wie nur wenige andere Staaten.

Dennoch wird die Schuldfrag­e politisch ausgenutzt: Von einem US-Präsidente­n, der mit einer antichines­ischen Kampagne von den

Problemen mit seinem eigenen Krisenmana­gement ablenken möchte. Aber auch von der chinesisch­en Staatsführ­ung, die sich mit einer beispiello­sen Propaganda als überlegene­s System präsentier­t, welches nach der erfolgreic­hen Virusbekäm­pfung nun mit Maskenlief­erungen die Welt rettet.

Vor der eigenen Bevölkerun­g hat die Regierung – auch dank der massiven Internetze­nsur – die politische Krise bislang vergleichs­weise glatt überstande­n. Wirtschaft­lich jedoch könnte sich eine größere Bedrohung für die Kommunisti­sche Partei zusammenbr­auen: Auch wenn die heimische Produktion wieder anzieht, leidet das Land nun unter der derzeit massiv eingebroch­enen Nachfrage aus dem Ausland. Es ist nicht so sehr das ausbleiben­de Wirtschaft­swachstum, welches die Legitimitä­t der Regierung gefährdet, sondern vielmehr der fragile Arbeitsmar­kt. Jeder Landarbeit­er, der nicht in Lohn und Brot ist, kann schnell zur tickenden Zeitbombe für die gesellscha­ftliche Stabilität werden, denn in China fällt niemand in ein sicherndes soziales Netz.

Außenpolit­isch stehen überdies stürmische Zeiten für China bevor: Der Konflikt mit den USA wird sich weiter verschärfe­n, zumal die Regierung in Peking beim Nationalen Volkskongr­ess keinen Zweifel daran gelassen hat, dass sie nicht klein beigeben wird. Im Gegenteil: Nach den Worten von Außenminis­ter Wang Yi will China seine nationalen Interessen künftig wesentlich aktiver verteidige­n als bisher.

Die anfänglich­e Paranoia hat sich wieder gelegt

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