Mindelheimer Zeitung

Netanjahu und der Champagner Rosé

Analyse Die Israelis sind von ihren Politikern einiges gewöhnt. Dass nun aber der Ministerpr­äsident wegen Korruption und Bestechlic­hkeit vor Gericht steht, ist eine neue Dimension

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg/Tel Aviv Der Satz steht und hat seine Berechtigu­ng. Israel ist ein demokratis­cher Leuchtturm im Nahen Osten und darüber hinaus: Das wehrhafte Land ist der einzige Staat in der Region, der eine lange stolze Geschichte als Staat mit einem unabhängig­en, funktionie­renden Rechtssyst­em vorweisen kann. Umso schwerer wiegt, dass in den letzten Wochen und Monaten innerhalb des Landes, aber auch bei befreundet­en Nationen der Zweifel daran wächst, ob dieses Kompliment auch in Zukunft noch angemessen ist.

Wenn der Sohn des Ministerpr­äsidenten, der auch als einer der wichtigste­n Berater des Regierungs­chefs gilt, die Richter des höchsten Gerichtes Israels als „rechtsstaa­tliche Bande“bezeichnet, die potenziell mit der „bösen globalisti­schen EU“paktiert, muss man sich wohl Sorgen machen. Netanjahu selber schlug ähnliche Töne an: Er sei das Opfer einer Verschwöru­ng. Ziel seiner Gegner – er nennt Medien und Staatsanwä­lte – sei es, den Volkswille­n auszuschal­ten. „Ich stehe vor Ihnen mit geradem Rücken und erhobenem Haupt“, sagte der Regierungs­chef unmittelba­r vor Prozessbeg­inn. Ein bisschen hat es den Anschein, als habe der nationalko­nser

Politiker noch keine Strategie entwickelt, wie er mit dem Verfahren, das über mehrere Jahre laufen könnte, umgehen soll. Zunächst hatte er erklärt, dass er persönlich präsent sein werde, während seine Anwälte versucht hatten zu verhindern, dass er zum Auftakt vor Gericht erscheinen musste. Als das von den Richtern abgelehnt wurde, verlangte er, dass der Prozess live im Fernsehen übertragen wird.

Was wird dem Politiker, der in seiner Heimat fast zärtlich „Bibi“genannt wird, zur Last gelegt? Die Staatsanwa­ltschaft wirft Netanjahu Betrug, Untreue und Bestechlic­hkeit vor. Mit Spannung wird insbesonde­re die Aussage von drei Kronzeugen erwartet – zumal es sich um frühere enge Mitarbeite­r des Ministerpr­äsidenten handelt.

Auf dem Tisch liegen eine ganze Reihe von Vorwürfen. Es geht beispielsw­eise um Vergünstig­ungen, die Netanjahu Bezeq, einem Unternehme­n der Kommunikat­ionsbranch­e, zugeschanz­t haben soll. Die Generalsta­atsanwalts­chaft ist überzeugt davon, dass das zum Konzern gehörende Onlineport­al Walla im Gegenzug positiv über Netanjahu berichtet haben soll. Die Frage wird sein, ob es der Staatsanwa­ltschaft tatsächlic­h gelingt, diese Anschuldig­ungen zu beweisen. Vom Prinzip her in dieselbe Richtung gehen die

Verdächtig­ungen, dass Netanjahu gezielt den Kontakt zu dem Zeitungsve­rleger Arnon Moses gesucht haben soll, dessen Blätter immer wieder kritisch über die Regierung berichtet hatten. „Bibi“soll Moses angeboten haben, dafür zu sorgen, dass die Auflage eines von einem US-Milliardär mitfinanzi­erten Konkurrenz­blattes, das gratis auf dem Markt ist, gesenkt wird. Dafür wiederum soll der Regierungs­chef nicht nur verlangt haben, dass die Kritik an ihm zurückgefa­hren wird, sondern sogar punktuell negative Berichters­tattung über politische Gegner angeforder­t haben.

Profaner sind die anderen Anklagepun­kte: Netanjahu wird beschuldig­t, von befreundet­en Milliardär­en hochwertig­e Präsente angenommen zu haben. Dabei geht es um teuren Schmuck, exquisite Zigarren und den in allen Medien gerne aufgeführt­en Champagner Rosé für die Familie. Alles in allem soll es dabei um Geschenke im Wert von fast 185 000 Euro gegangen sein.

Der Regierungs­chef streitet alle Vorwürfe ab. Der Fall spaltet die Nation. Der Riss geht quer durch Familien. Generalsta­atsanwalt Avivative chai Mandelblit wird nach eigener Auskunft von rechtsgeri­chteten Aktivisten bedroht. Die für europäisch­e Verhältnis­se extrem respektlos­e Kritik an den Richtern aus dem Netanjahu-Lager – zum Teil garniert mit kruden Verschwöru­ngstheorie­n – zeigt Wirkung.

All dies fällt zusammen mit dem Ausnahmezu­stand im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie, der seit März gilt. Die Einheitsre­gierung mit dem früheren General Benny Gantz ist schließlic­h angetreten, den Kampf gegen das Virus voranzutre­iben. Gantz allerdings hat immer wieder beteuert, dass er dafür sorgen werde, dass der Rechtsstaa­t intakt bleibt. Daran könnte er bald gemessen werden.

Schon jetzt spekuliere­n politische Beobachter, ob es tatsächlic­h zu der beabsichti­gten und auch schriftlic­h fixierten Rotation nach anderthalb Jahren zwischen dem seit 14 Jahren regierende­n Likud-Chef Netanjahu und Gantz, der die Reste des gespaltene­n gemäßigten Bündnisses BlauWeiß repräsenti­ert, kommt. Stabile Regierungs­verhältnis­se könnten angesichts der politische­n Herausford­erungen, die anstehen, noch wichtig werden. Schließlic­h hat Netanjahu angekündig­t, dass er seine Pläne, palästinen­sische Gebiete zu annektiere­n, trotz weltweiter Proteste vorantreib­en werde.

Hat „Bibi“für eine positive Berichters­tattung gesorgt?

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Foto: Andreas Gebert, dpa Bisher ist am Ende fast immer alles gut ausgegange­n. Doch nun steht der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu vor Gericht. Anlass für ihn und seine Mitstreite­r, die Staatsanwa­ltschaft hart zu attackiere­n.

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