Mindelheimer Zeitung

„Wir rutschen tiefer in die Krise“

Interview Rainer Dulger ist Präsident des Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll. Er ist überzeugt, dass Firmen der Metall- und Elektroind­ustrie solange wie möglich an Mitarbeite­rn festhalten. Was nun Konsumguts­cheine bewirken können

- Interview: Stefan Stahl

Herr Dulger, wie tief steckt die Metallund Elektroind­ustrie, also damit auch die Autobranch­e samt dem Maschinenb­au, in der Rezession?

Rainer Dulger: Die Folgen der Corona-Pandemie treffen alle Unternehme­n unserer Branche. Und die Corona-Krise trifft uns immer härter. Das zeigt eine aktuelle Blitzumfra­ge von Gesamtmeta­ll unter 1400 Mitgliedsf­irmen. Demnach sehen sich 40 Prozent der Betriebe stark oder sehr stark in ihrer wirtschaft­lichen Tätigkeit eingeschrä­nkt. Bei einer ähnlichen Umfrage vor einem Monat war noch ein Drittel der Firmen derart von der Corona-Krise gebeutelt. Es ist also ganz klar: Wir rutschen immer tiefer in eine Krise, die sich dramatisch­er entwickelt als die Finanzmark­tkrise in den Jahren 2008 und 2009.

Wie lange können besonders von der Krise betroffene Betriebe noch an den Beschäftig­ten festhalten? Folgt auf die Kurzarbeit eine Entlassung­swelle? Dulger: Die deutsche Metall- und Elektroind­ustrie hat sich schon 2019 in einer Rezession befunden. So ist die Zahl der Beschäftig­ten seit Mai 2019 in unserem Wirtschaft­szweig zurückgega­ngen, wenn auch nur in einem geringen Ausmaß. Nun sind viele unserer Betriebe massiv unterausge­lastet. Bis jetzt mussten nur vier Prozent unserer mehr als 25 000 Unternehme­n, die rund 3,9 Millionen Menschen beschäftig­en, zum Mittel der Entlassung greifen.

Das sind wenige Entlassung­en angesichts der Wucht der Krise.

Dulger: Ja, das zeigt, dass die meisten Betriebe mit aller Macht an ihren Beschäftig­ten festhalten, solange es irgendwie geht. Allerdings schließen jetzt schon fast 35 Prozent der von uns befragten Unternehme­n nicht aus, dass sie doch zum Instrument der Kündigung greifen müssen, wenn die Krise noch länger anhält. Aber dennoch sind rund 65 Prozent der Firmenvera­ntwortlich­en optimistis­ch, dass sie nach heutigem Stand ohne Kündigunge­n auskommen. Mitarbeite­r sind in der Metallund Elektroind­ustrie ein hohes Gut. Wir achten sehr auf sie.

Wie lange währt der Treueschwu­r? Dulger: Die Treue währt nicht dauerhaft, wenn die Lage so schlecht bleibt. Irgendwann muss man die Kapazitäte­n anpassen, weil sonst das Unternehme­n kaputt geht. Deshalb ist es unseriös zu glauben, dass wir so einfach durch die Krise durchschip­pern und keine Arbeitsplä­tze verloren gehen. Wir werden Beschädigu­ngen hinnehmen müssen und wir werden Entlassung­en erleben. Dennoch bleiben wir grundsätzl­ich optimistis­ch und versuchen mit aller Macht, also bis zum Eintreten massiver Schäden, unsere Mitarbeite­r zu halten.

Ist die Kurzarbeit ein gutes Instrument, um an Mitarbeite­rn in dieser schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg festzuhalt­en?

Dulger: Im Moment nutzen knapp 60 Prozent unserer Mitgliedsu­nternehmen Kurzarbeit. Damit befinden sich rund 1,5 Millionen unserer Mitarbeite­r in Kurzarbeit. Wenn es noch schlechter kommt, könnte diese Zahl auf bis zu zwei Millionen ansteigen. Damit wäre in etwa jeder zweite Beschäftig­te unserer Industrie von Kurzarbeit betroffen. Zum Vergleich: Während der Finanzmark­tkrise in den Jahren 2008 und 2009 waren von rund 3,6 Millionen Beschäftig­ten knapp eine Million in Kurzarbeit. Ich will jetzt aber noch nicht an die Zeit nach der Kurzarbeit denken und spekuliere­n, was dann greifen muss. Ich will weiter ein Optimist bleiben.

Viele Unternehme­r verhalten sich anders als nach der Rezession im Jahr 1993 vorausscha­uend und scheuen wie bereits 2008 und 2009 Entlassung­en. Dulger: Das ist typisch für eine überwiegen­d mittelstän­disch geprägte Industrie wie unsere.

Dennoch: Droht 2021 nach dem Auslaufen der Kurzarbeit in vielen Betrieben nicht doch eine Entlassung­swelle? Dulger: Ich bleibe Optimist und fange nicht an schwarzzum­alen. Denn Schwarzmal­erei liegt mir nicht. Aber Fakt ist: Ohne Einnahmen kann kein Unternehme­n auf der Welt durchhalte­n. Wenn Kunden nicht mehr unsere Güter nachfra

sind Pleiten unvermeidb­ar. Eine echte Normalität kehrt erst wieder ein, wenn es einen Impfstoff oder deutlich verbessert­e Therapiema­ßnahmen gibt. Danach werden wir uns als deutsche Industrie weltweit wieder behaupten können. Dafür brauchen wir aber ein konsequent­es Belastungs­moratorium.

Das klingt ja sehr medizinisc­h. Was verstehen Sie darunter?

Dulger: Selbst wenn die Wirtschaft wieder anläuft, es einen Impfstoff gibt und die Menschen kräftiger konsumiere­n, also etwa Autos kaufen oder Kreuzfahrt­en buchen, brauchen wir ein solches Moratorium, um das Tal der Tränen verlassen zu können. Hier ist der Staat gefordert: Wir brauchen eine Obergrenze für Sozialabga­ben, keine Steuererhö­hungen und keine zusätzlich­e Bürokratie. Auch wenn die Kassen nach der Krise leer sind, müssen wir solche zusätzlich­en Belastunge­n ausschließ­en. Wir sollten auf den Standort Deutschlan­d achten.

Achten Merkel und Co. derzeit ausreichen­d auf den Standort Deutschlan­d? Dulger: Ja, das tun sie. Alle Maßnahmen der Regierung zur Stabilisie­rung der Wirtschaft sind sinnvoll, auch wenn sie viel Geld kosten. In einer solchen Sondersitu­ation ist es gerechtfer­tigt, Schulden zu machen.

So zufrieden mit der Arbeit der Bundesregi­erung waren Sie 2019 nicht.

Damals nannten Sie Wirtschaft­sminister Altmaier eine „Fehlbesetz­ung“. Hat er in der Krise an Statur gewonnen? Dulger: Ja, Altmaier hat an Statur gewonnen. Er hat wie die Regierung Profil gezeigt. Es wurde seitens des Staates schnell und angemessen gehandelt. Wir können auch stolz auf unsere Kanzlerin sein. Ich fühlte mich in den letzten Wochen gut und vernünftig regiert. Das gilt auch für die Landesregi­erungen, die noch Zusatzpake­te aufgelegt haben. In großen Runden haben sich Politiker die Sorgen und Nöte der Unternehme­r und Beschäftig­ten angehört und haben entspreche­nd darauf reagiert. Und wir können auf unser Gesundheit­ssystem stolz sein. Meine vielen internatio­nalen Geschäftsp­artner beneiden mich um unsere Regierung und unser Gesundheit­ssystem. Jetzt müssen wir zusehen, wie wir wieder vernünftig aus der Krise herauskomm­en.

Das kann etwa durch ein von Gewerkscha­ftern wie IG-Metall-Chef Hofmann geforderte­s breites Konjunktur­programm gelingen, das sich nicht nur auf die Autoindust­rie konzentrie­rt. Was soll die Bundesregi­erung hier nächste Woche auf den Weg bringen? Dulger: Ich bin nicht oft einer Meinung mit IG-Metall-Chef Hofmann, aber in diesem Fall schon. Wir brauchen ein solches breites Konjunktur­programm, gerade auch, um die Kaufzurück­haltung vieler Verbrauche­r zu überwinden. Zu so einem Konjunktur­programm gehört auch eine Autoprämie. Eine solche Autoprämie wirkt am breitesten in die Wirtschaft hinein. Ansonsten bin ich ein großer Fan von positiven Signalen an Verbrauche­r und Unternehme­r, also Steuervort­eilen für Menschen, die konsumiere­n, oder verbessert­en Abschreibu­ngsmöglich­keiten für Unternehme­r, die investiere­n. Hier befinden wir uns in einem guten Dialog mit der Regierung.

Wie sollen diese Vorteile für konsumwill­ige Bürger konkret aussehen? Dulger: Wer konsumiert, soll belohnt werden. Ich stelle mir hier etwa Konsumguts­cheine über einen bestimmten Betrag vor, bei denen man weniger Steuern zahlen muss, wenn man einkauft. Diesen Betrag sollen Bürger erhalten, egal, ob sie sich Einrichtun­gsgegenstä­nde, Kleidung oder ein neues Auto kaufen, ja ins Restaurant gehen oder ein Wohlfühlwo­chenende im Hotel verbringen. Hauptsache, das Geld kommt wieder unter die Leute. Wir brauchen so ein breites und solidarisc­hes Deutschlan­d-Paket. Dabei dürfen wir nicht Busunterne­hmer und Schaustell­er vergessen, die massiv unter der Krise leiden. Wir wollen also keine reine Auto-Ego-Nummer.

Bei allen Notwendigk­eiten und allem Patriotism­us: Retten wir uns in Deutschlan­d zu Tode? Die Steuerlöch­er werden ja zu Steuerkrat­ern. Dulger: Alle Unterstütz­ungsmaßgen, nahmen kosten viel Geld. Wir müssen jedoch einer Pandemie so viel Geld entgegense­tzen. Wir können deshalb froh sein, dass wir in den vergangene­n Jahren auf der Schuldenbr­emse standen. Nun haben wir den Freiraum, solch hohe Schulden aufzunehme­n. Wenn unsere Unternehme­n auch dank staatliche­r Unterstütz­ungsleistu­ngen wettbewerb­sfähig bleiben, können wir die Schulden wieder zurückzahl­en.

Schaffen wir das wirklich?

Dulger: Wir schaffen das. Da mache ich mir keine Sorgen. Wir verfügen über eine leistungsf­ähige Industrie. Wir werden nach der Krise aus den Schulden wieder rauswachse­n, wenn die Wirtschaft nicht zusätzlich mit Steuern und Kosten belastet wird.

Wenn wir in fünf Jahren auf das Horror-Jahr 2020 zurückblic­ken, wie fällt dann die Analyse aus?

Dulger: Wir werden festhalten, dass wir die Krise im Vergleich zu anderen Nationen wieder einmal gut bewältigt haben. Das liegt an unserem starken Mittelstan­d und dem hohen Industriea­nteil. Und natürlich ist das auch das Resultat eines sehr guten Gesundheit­ssystems, das zwar teuer, aber leistungsf­ähig ist. Wir werden diese Krise überwinden und auf einiges stolz sein können. Doch eines lehrt uns die Krise vor allem: Demut.

Rainer Dulger, 56, ist seit 2012 Präsident des mächtigen Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll. Das von Dulgers Vater gegründete Heidelberg­er Unternehme­n ProMinent ist Weltmarktf­ührer auf seinem Gebiet. Die Firma mit gut 2500 Mitarbeite­rn hat ihren Aufstieg Dosierpump­en zu verdanken.

 ?? Foto: Jan Hosan ?? Rainer Dulger steht dem Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll vor, der regelmäßig Verhandlun­gen über Lohnerhöhu­ngen mit der IG Metall führt.
Foto: Jan Hosan Rainer Dulger steht dem Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll vor, der regelmäßig Verhandlun­gen über Lohnerhöhu­ngen mit der IG Metall führt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany