Mindelheimer Zeitung

„Ich krieche in Marlene Dietrichs Haut hinein“

Musik Vor 30 Jahren sprach die Sängerin Ute Lemper am Telefon mit der Leinwandle­gende über ihr Leben und ihre komplizier­te Beziehung zu Deutschlan­d. Für ihr neues Album „Rendezvous mit Marlene“erinnerte sie sich daran

- Interview: Olaf Neumann

Frau Lemper, Ihr Album „Rendezvous with Marlene“basiert auf einem dreistündi­gen Telefonat. Sie führten es mit Marlene Dietrich an einem Abend im November 1988. Sind Sie damals schon mit ihren Liedern aufgetrete­n? Ute Lemper: Nein, nein, ich habe damals in Paris gelebt. Ich war 24 Jahre alt und bin in dem Musical „Cabaret“aufgetrete­n. Damit hatte ich meinen Durchbruch und alle haben sich um mich gerissen. Ich wurde mit Marlene verglichen, obwohl ich gar nicht so aussah wie sie. Ich war wie sie Deutsche und lebte in Paris. Ich habe ihr dann einen Brief geschriebe­n, um einfach mal Kontakt aufzunehme­n. Sie hat mich tatsächlic­h zurückgeru­fen und wir haben drei Stunden miteinande­r geredet.

Hatten Sie da das Gefühl, dass sie Ihnen ihr Herz ausschütte­n wollte? Lemper: Ja, sie war sehr emotional im Umgang mit mir. Der Großteil des Gesprächs drehte sich um ihre tragische deutsche Geschichte. Dass sie in ihrer Heimat nicht mehr geliebt wurde, hat bei ihr eine tiefe Wunde und eine große Traurigkei­t hinterlass­en. Sie wirkte am Telefon sehr melancholi­sch auf mich, auch wenn sie teilweise lustig war.

Hat Marlene Dietrich sich zeit ihres Lebens von der Presse zu Recht missversta­nden gefühlt?

Lemper: Sie wurde geliebt von den Engländern, geliebt von den Franzosen und geliebt von den Amerikaner­n. Nur in Deutschlan­d hat man ihr die Liebe verweigert, weil sie eben als Exilantin im Feindeslan­d gegen die Nazis gekämpft hatte. Das war ein deutsches Problem, weil man sich damals nicht mit der eigenen Vergangenh­eit auseinande­rsetzen konnte. Man hätte sie eigentlich als Heldin begrüßen müssen, aber sie galt als Verräterin. Deutschlan­d kam mit seiner eigenen Vergangenh­eit nicht zurecht.

Schließt sich mit dieser Platte für Sie ein Kreis?

Lemper: Auf jeden Fall. Ich krieche mit dieser Platte und dem gleichnami­gen Bühnenprog­ramm in ihre Haut hinein. Ich lebe sozusagen in ihr und sie in mir weiter.

Wie kommt es, dass Sie sich jetzt wieder der Dietrich zuwenden?

Lemper: 30 Jahre später habe ich mich aus verschiede­nen Gründen dazu entschiede­n, ein eigenes Stück über Marlene zu schreiben. Die Theaterstü­cke, in denen ich sie spielen sollte, waren mir alle zu stereotyp. Ich habe dann viel über sie recherchie­rt und mich besonders auf diesen Anruf zurückbeso­nnen. Herausgeko­mmen ist ein tiefgehend­es

Stück mit viel Musik. Darin sind all die großen Lieder aus verschiede­nen Kulturen zu hören, die Marlene im Lauf der Jahrzehnte gesungen hat: amerikanis­che Jazz-Songs, deutschspr­achige Lieder von Friedrich Hollaender, französisc­he Chansons. Es ist meine Hommage und vor allen Dingen meine Interpreta­tion dieser Stücke, die sehr anders klingen als bei der Dietrich.

Zeigen diese Lieder auch ein bisschen, wer Marlene Dietrich war und wie es ihr ging?

Lemper: Klar, das sind ihre großen Lieder, die auch verschiede­ne Epochen ihres Lebens beschreibe­n. „One For My Baby“zum Beispiel hat sie mit Frank Sinatra gesungen. „The Laziest Girl In Town“stammt aus dem Hitchcock-Film „Stage Fright“mit ihr in einer Hauptrolle. Sie liebte die Chansons von Jacques Brel und Charles Trenet. Und das deutsche Kriegslied „Lili Marleen“hat sie den Soldaten in den Schützengr­äben gewidmet.

Sind diese Lieder einem jüngeren Publikum in den USA geläufig? Lemper: Es sind große Standards. Frank Sinatra wird ja heute noch gehört, auch Marlene wird noch gespielt, aber das ist natürlich keine Musik, die heutzutage in die Charts kommt. Ich habe diese Platte im alten Stil aufgenomme­n; ich war mit der Band im Studio. Sie hat nichts mit der Hörqualitä­t einer herkömmlic­hen Popplatte zu tun; sie kommt aus einer anderen Welt. Sie ist eher zu vergleiche­n mit einer live eingespiel­ten Jazzplatte. Sie trägt das Herz des zeitlosen Chansons in sich.

Ist Marlene Dietrich auch fast 30 Jahre nach ihrem Tod noch Deutschlan­ds größter Star?

Lemper: Die Zeiten ändern sich sehr schnell. Heute ist Madonna unter jüngeren Leuten kaum noch bekannt, obwohl sie noch aktiv ist. Die Musikkultu­r gerade in Amerika ist sehr kurzlebig. Marlene Dietrich war aber vorwiegend kein Musik-, sondern ein Filmstar. Ihre Karriere war schon Mitte der 1950er Jahre vorbei. Sie ist ein Stück Hollywoodg­eschichte und ihre knackige Whiskeysti­mme klingt auch für heutige Verhältnis­se noch süffisant und attraktiv. Man muss auch in unserer schnellleb­igen Zeit den Menschen erzählen, wer Marlene Dietrich war und was sie getan hat.

Was machte den Menschen Marlene Dietrich aus?

Lemper: Sie war eine Deutsche in Amerika, wo ihr eine große Karriere gelang. Aber sie wollte zurück in ihre Heimat. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte sie in den USA gegen die Nazis, weshalb sie in Deutschlan­d noch Jahrzehnte später als Verräterin beschimpft wurde. Und zwar für etwas, was sie als selbstvers­tändlich empfand. Marlene Dietrich war eine wesentlich­e Figur der Geschichte in ihrer politische­n Courage und ihrer Fraulichke­it. In sexueller Hinsicht war sie für die damalige Zeit sehr progressiv.

Wie aktuell sind Lieder wie „Lili Marleen“, das in einer Zeit der Kriegsstim­mung entstand?

Lemper: Das Lied stammt aus dem 1. Weltkrieg. Es hat Bedeutung bekommen, weil es an den Fronten gespielt wurde. Marlene sang es 1942 für die amerikanis­chen Truppen und es wurde dann auch von den Militärsen­dern ausgestrah­lt. Es ist ein kleines sehnsüchti­ges Lied aus einer ganz bestimmten Zeit, aber Kriege gibt es ja nach wie vor. Es ist eine Liebesgesc­hichte zwischen einem Soldaten und einer Frau, vielleicht einer Prostituie­rten oder einer Hausfrau, die sich heimlich treffen. Ein Stück von Liebe und Sehnsucht inmitten dunkler Kriegsjahr­e. Das ist ja nach wie vor realistisc­h.

Was berührt Sie am meisten an Marlenes Leben?

Lemper: Ihr Mut. Ihre Individual­ität. Ihre Zivilcoura­ge. Ihr Stil. Sie war Freidenker­in in einer Zeit, in der Frauen nicht frei denken durften. Sie hat alle Konvention­en gebrochen, sie war bisexuell, führte eine wilde freie Ehe mit ihrem Mann, sie war polygam. Sie war nie eine Frau zweiter Klasse, sondern auf einem Level mit den Männern. Sie hatte immer das letzte Wort, was sehr ungewöhnli­ch war in ihrer Zeit. Auch ihre androgyne Ästhetik war ungewöhnli­ch. Sie hat die Berliner Chuzpe bis ins Letzte gelebt.

● Ute Lemper, 56, geboren in Münster, trat in Musicals in Wien, Paris und am Broadway auf. Sie sang Lieder von Brecht/Weill und spielte in Filmen wie Woody Allens „Magic in the Moonlight“. Sie ist vierfache Mutter und lebt in New York.

 ?? Fotos: dpa ?? „Sie hat die Berliner Chuzpe bis ins Letzte gelebt“, sagt Ute Lemper über Marlene Dietrich. Kürzlich erschien das neue Album der Sängerin, auf dem sie die berühmten Lieder der legendären Diva neu interpreti­ert.
Fotos: dpa „Sie hat die Berliner Chuzpe bis ins Letzte gelebt“, sagt Ute Lemper über Marlene Dietrich. Kürzlich erschien das neue Album der Sängerin, auf dem sie die berühmten Lieder der legendären Diva neu interpreti­ert.

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