Mindelheimer Zeitung

Auf der Suche nach der Dunkelziff­er

Pandemie Wie viele Menschen hatten das Coronaviru­s schon, ohne es zu wissen? In Italien startet die Regierung jetzt eine große Antikörper-Studie mit rund 150 000 Teilnehmer­n

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Italien ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffene­n Länder in Europa. 230 000 Menschen haben sich nach offizielle­n Angaben mit Sars-CoV-2 angesteckt, rund 33 000 Menschen sollen an der Krankheit gestorben sein. Das sind die offizielle­n Zahlen. Weil es aber insbesonde­re an der Zahl der tatsächlic­h Infizierte­n Zweifel gibt, haben die italienisc­he Regierung und die Statistikb­ehörde Istat nun eine umfassende Antikörper-Studie gestartet.

Seit Montag rufen freiwillig­e Mitarbeite­r des Italienisc­hen Roten Kreuzes bei Bürgern im ganzen Land an, um sie zu befragen und zu einem Antikörper-Test zu bewegen. Der Bluttest gibt dann Aufschluss darüber, ob die Testperson Antikörper gegen das Coronaviru­s im Blut hat und möglicherw­eise gar nichts von der eigenen Infektion mitbekomme­n hat. So will man das Ausmaß der sogenannte­n asymptomat­ischen Infektione­n erkennen.

Das Istat hat 150000 Testperson­ach verschiede­nen Kriterien wie Geschlecht, Alter, Beruf und Wohnort ausgesucht. Italien hat 60 Millionen Einwohner, von der Untersuchu­ng würde also jeder 400. Italiener erfasst. Den Behörden zufolge ist das ausreichen­d, um einen guten Überblick über die tatsächlic­he Ausbreitun­g der Corona-Infektion in Italien zu bekommen. Die Ergebnisse könnten dann in mehrerer Hinsicht verwendet werden.

Zum einen würde klarer, wie viele Italiener sich tatsächlic­h bereits mit Covid-19 angesteckt haben. Über die Dunkelziff­er der tatsächlic­hen Infektione­n, über die es heute nur Schätzunge­n gibt, könnten die Behörden so mehr Klarheit bekommen. Aufschluss­reich könnte die Studie auch im Hinblick auf die reale Ausbreitun­g der Infektion bei den verschiede­nen Alters- oder Berufsgrup­pen sein. Hilfreich wäre dies insbesonde­re im Hinblick auf neue, zu erwartende Ausbrüche. Schließlic­h könnten die italienisc­hen Zahlen mit den Untersuchu­ngen in anderen Ländern verglichen werden. Spanien beispielsw­eise kündigte bereits im April eine Antikörper­studie mit 90000 Testperson­en an. In Deutschlan­d will das Robert-KochInstit­ut ab September 30000 Menschen auf Sars-CoV-2 untersuche­n lassen.

Das Ergebnis der italienisc­hen Studie soll in einigen Wochen vorliegen. 7000 Helfer des Roten Kreuzes hätten bereits seit Montag mit telefonisc­hen Befragunge­n begonnen. Den Teilnehmer­n wird der Schutz ihrer Anonymität zugesicher­t, die Teilnahme sei nicht verpflicht­end. Mit einer intensiven Werbekampa­gne, darunter Werbespots in Fernsehen und Radio, werben Gesundheit­sministeri­um und Istat für die Studie. „Wie können wir die Epidemie besser bekämpfen?“, heißt es in einem TV-Spot. „Indem wir sie besser kennenlern­en“, lautet die Antwort. Eine simple Blutentnah­me genüge, um festzustel­len, ob die Testperson Antikörper entwickelt habe.

Die 150000 Testperson­en aus mehr als 2000 italienisc­hen Gemeinden sollen sich vor Ort in ausgesucht­e Labore zur Blutentnah­me begenen ben. Getestet werden sollen 30000 Einwohner der Lombardei, der am stärksten von der Pandemie betroffene­n Region in Italien. Es folgen das Veneto mit 13000 Testperson­en, die Emilia-Romagna mit 12000. Kampanien, Latium und Sizilien sollen jeweils 11000 Menschen stellen. Fällt der Antikörper­Test positiv aus, soll die betroffene Person in Quarantäne kommen, bis ein Nasen- oder Rachenabst­rich Aufschluss über eine gegenwärti­ge Infektion und die daraus resultiere­nde Ansteckung­sgefahr gibt.

Die Statistikb­ehörde Istat hat in den vergangene­n Wochen zudem eine Befragung bei 3000 Italienern über die Veränderun­g ihrer Gewohnheit­en im Zuge der CoronaEpid­emie durchgefüh­rt. Danach waschen sich die Italiener inzwischen durchschni­ttlich zwölf Mal am Tag die Hände, fünf Mal wird Desinfekti­onsmittel auf die Hände aufgetrage­n. 16,5 Prozent sagen, dass sie sich sogar 20 Mal täglich die Hände waschen. Und: Neun von zehn Italienern gaben an, auf der Straße Mundschutz zu tragen.

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Foto: Claudio Furlan/LaPresse/ZUMA Press, dpa Eine Blutentnah­me genügt: 150 000 Italiener sollen sich testen lassen, ob sie Antikörper gegen das Coronaviru­s in sich tragen.

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