Mindelheimer Zeitung

Spahn warnt vor neuer Spaltung durch Corona

Stimmung Gesundheit­sminister sieht Parallelen zur Flüchtling­skrise und fordert offene Debatte

- VON MICHAEL STIFTER UND STEFAN LANGE

Augsburg Der Streit um den richtigen Weg aus der Corona-Krise wird mit immer härteren Mitteln ausgetrage­n. Am Mittwoch haben der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach und der Chefvirolo­ge des Robert-Koch-Instituts, Christian Drosten, Drohbriefe erhalten. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn wird in sozialen Netzwerken mit Hass überzogen. Im Live-Interview unserer Zeitung warnte der CDU-Politiker vor einer neuerliche­n Spaltung der Gesellscha­ft. Am Anfang der Pandemie habe es ein neues Wir-Gefühl gegeben, nun drohe eine ähnliche Polarisier­ung wie auf dem Höhepunkt der

Flüchtling­skrise. „Wir müssen sehr aufpassen, dass uns das nicht wieder passiert“, sagte der CDU-Politiker.

Den Vorwurf, über die drastische­n Einschränk­ungen sei zu wenig diskutiert worden, hält Spahn für unangebrac­ht. Zur vermeintli­chen Alternativ­losigkeit der Regierungs­politik sagte er lakonisch: „Es gibt natürlich immer eine Alternativ­e. Eine Alternativ­e wäre zum Beispiel gewesen, nichts zu tun und sich das Virus einfach weiter ausbreiten zu lassen.“Obwohl immer noch eine große Mehrheit der Deutschen hinter den Maßnahmen im Kampf gegen das Virus steht, wird die Stimmung vergiftete­r. Auf sogenannte­n Corona-Demos schlägt den politisch Verantwort­lichen Verachtung entgegen. Eine Umfrage von Infratest dimap ergab, dass jeder fünfte Wahlberech­tigte der Meinung ist, dass „Politik und Medien die Gefährlich­keit des Coronaviru­s ganz bewusst übertreibe­n, um die Öffentlich­keit zu täuschen“. Häufiges Ziel der Anfeindung­en ist Gesundheit­sminister Spahn. Der 40-Jährige fordert eine offene Debattenku­ltur: „Entscheide­nd ist die Frage: Wollen wir einander zuhören und verstehen, warum jemand eine andere Position hat als man selbst, oder ist jeder in seiner Echokammer und es wird immer polarisier­ter und man beschimpft sich und macht sich gegenseiti­g Vorwürfe?“Spahn appelliert an die Protestier­enden, sich nicht von Verschwöru­ngstheoret­ikern vereinnahm­en zu lassen. „Debatten sind auch lebensnotw­endig für eine Demokratie. Den Demonstran­ten sollte aber klar sein, mit wem sie demonstrie­ren. Man muss nach links und rechts schauen, wer da so dabei ist.“

Die Ministerpr­äsidenten der Länder reklamiere­n die Entscheidu­ngshoheit über die Maßnahmen inzwischen für sich. Formal haben sie ohnehin die Befugnisse, doch auf dem Höhepunkt der Krise hatten sich Bund und Länder geeinigt, gemeinsam vorzugehen. Am Dienstagab­end beschlosse­n sie, dass die Kontaktbes­chränkunge­n – also die Vorgaben, wie viele Menschen sich wo treffen dürfen – noch mindestens bis 29. Juni gelten sollen. Vor allem im Osten, der von Infektione­n weniger stark betroffen ist, ist der Wunsch nach schnellere­n Lockerunge­n aber groß. Am Mittwoch sprach Kanzlerin Angela Merkel mit den Regierungs­chefs der ostdeutsch­en Bundesländ­er. Vom Vorpresche­n des thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow, der die Einschränk­ungen quasi komplett abschaffen will, ist sie wenig begeistert. Der Mindestabs­tand von eineinhalb Metern müsse eine Verpflicht­ung bleiben. „Denn sonst kann es sehr schnell zu der Situation kommen, dass die sich durchsetze­n, die stärker sind, und die, die etwas schwächer sind, sich gar nicht mehr auf die Straße trauen“, warnte Merkel.

In der Politik finden Sie das Interview mit Jens Spahn.

„Wollen wir einander zuhören und verstehen, warum jemand eine andere Position hat als man selbst?“

Jens Spahn über die Corona-Debatten

Newspapers in German

Newspapers from Germany