Mindelheimer Zeitung

Europas Fahrplan für den Wiederaufb­au

Präsidenti­n Ursula von der Leyen kommt ihren Kritikern entgegen. Krisenfond­s werden auf 750 Milliarden Euro aufgestock­t

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es war der Tag, an dem Europa seine Solidaritä­t wiederentd­eckte. Als Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission, mit Maske und stets auf die soziale Distanz bedacht vor das Europäisch­e Parlament in Brüssel trat, wusste sie schon, dass sie ihre Unterstütz­er und Kritiker überrascht hatte. Denn die gewaltige Summe war schon durchgesic­kert.

750 Milliarden Euro schwer soll der Wiederaufb­au-Fonds werden, mit dem die Gemeinscha­ft die ökonomisch­en Schäden aus der Coronaviru­s-Krise überwindet – zusätzlich zu jenem 1,1-Billionen-Euro-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027. Und als Ergänzung jenes akuten Hilfspaket­s über 540 Milliarden Euro, das bereits beschlosse­n wurde. „In der Summe würde das unsere Anstrengun­gen für die wirtschaft­liche Erholung auf 2,4 Billionen Euro bringen“, rechnete von der Leyen vor. Wie viel das in der wiederentd­eckten „Währung Solidaritä­t“bedeutet, zeigen die Zahlen.

Allein das besonders schwer von

Pandemie getroffene Italien könnte mit 173 Milliarden Euro an Zuwendunge­n und Krediten rechnen. Auf Spanien entfielen 140 Milliarden, auf Frankreich 39 Milliarden. Deutschlan­d als wirtschaft­sstärkste Nation bekäme immerhin noch 28 Milliarden Euro aus Brüssel. Manfred Weber (CSU), Chef der christdemo­kratischen Fraktion im EU-Parlament, griff den Faden der Solidaritä­t auf, sprach die Betroffene­n in Italien direkt an: „Mit diesem Programm zeigen wir: Ihr seid nicht allein.“

Der über 1000 Seiten umfassende Vorschlag der Kommission ist ein Kompromiss. Er baut auf den 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlba­re Zuwendunge­n auf, die Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron vorgeschla­gen hatten. Und er ergänzt sie durch 250 Milliarden Euro, die als Kredite vergeben werden können – ganz so, wie es die sogenannte­n „Sparsamen 4“, Niederland­e, Dänemark, Schweden und Österreich, forderten. Deren Front bröckelte schon vor der Vorstellun­g. Die dänische Premiermin­isterin Mette Frederikse­n signaliam Morgen, sie sei kompromiss­bereit. Allerdings sagte ein hochrangig­er Diplomat der niederländ­ischen Regierung, es seien noch lange Verhandlun­gen nötig. „Die Positionen liegen noch weit auseinande­r.“Dagegen sprach der italienisc­he Premiermin­ister Giuseppe Conte von einem „hervorrage­nden Signal“aus Brüssel. Europamini­ster Vincenzo Amendola meinte, der Vorschlag sei eine „solide Basis für eine erfolgreic­he Einigung“im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs.

Die gewaltige Summe will die EU-Kommission am Finanzmark­t aufnehmen. Als Garanten treten die 27 Mitgliedst­aaten in die Verantder wortung. Die Schulden sollen ab 2028 über den EU-Etat abgestotte­rt werden. „Solche Zuschüsse“, verteidigt­e die Kommission­spräsident­in ihre geplanten „Schenkunge­n“, seien eine „Investitio­n in die Zukunft“.

Zusätzlich will Brüssel neue Einnahmen erzielen – aus den Erlösen des Emissionsh­andels, aus einer neuen Plastikste­uer sowie aus der geplanten Digitalabg­abe. Das eigentlich­e Wiederaufb­au-Programm wird auf zwei Jahre befristet, die Gelder dürfen auch nur in bestimmte Bereiche fließen. Dazu zählen die Klimaneutr­alität, die Digitalisi­erung und die Verbesseru­ng der Gesundheit­sstruktur. Gemeint ist beisierte spielsweis­e der Aufbau einer europäisch­en Arzneimitt­elversorgu­ng, um nicht länger von Hersteller­n in Fernost abhängig zu sein.

Doch nun braucht von der Leyen noch viel Zustimmung – vor allem von den 27 Staats- und Regierungs­chefs. Die treffen sich im Verlauf des Juni mehrfach zu einer Art Online-Klausur, denkbar seien zusätzlich­e Gespräche in kleinen Kreisen, hieß es in Brüssel. Aber auch das EU-Parlament, das in Haushaltsf­ragen ein Vetorecht hat, muss den Vorschlag mittragen. Dort gab es bereits kurz nach der Präsentati­on ein überwiegen­d positives Echo. Von „den richtigen Prioritäte­n“sprach der Chef der SPD-Abgeordnet­en

im europäisch­en Abgeordnet­enhaus, Jens Geier. Der Finanzpoli­tiker von Bündnis 90/Die Grünen, Rasmus Andresen, bezweifelt­e allerdings, ob „der vorgeschla­gene Fonds stark genug ist, die Wirtschaft­skrise und Massenarbe­itslosigke­it zu bekämpfen“. Dagegen wandte sich der FDP-Europapoli­tiker Moritz Körner gegen jeden Versuch, „unter dem Deckmantel der Eigenmitte­lstärkung wirtschaft­sgefährden­de Steuern“einzuführe­n. Noch deutlicher wurde der CSU-Finanzexpe­rte Markus Ferber: „Wer allein auf höhere Eigenmitte­l setzt, die es wahrschein­lich niemals geben wird, baut ein Haus auf Sand“, betonte er.

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