Mindelheimer Zeitung

Alle einkaufen, bitte!

Konsum Die meisten Geschäfte in China haben wieder geöffnet. Jetzt soll die spendierfr­eudige Mittelschi­cht die Wirtschaft retten. Doch die strengen Hygienereg­eln hemmen bislang die Kauflust

- VON FELIX LEE

Peking Chinas kommunisti­sche Führung ist geübt in Massenkamp­agnen. Doch derzeit scheint die chinesisch­e Führung nur begrenzt kampagnenf­ähig zu sein. Ihren Aufrufen, doch wieder mehr zu konsumiere­n, kommen die Bürger kaum nach. Und nicht einmal die großzügige Vergabe von Konsumguts­cheinen führt zum gewünschte­n Ziel. Die Kauflaune in China bleibt mau.

Die Führung in Peking reagierte auf den Ausbruch des Coronaviru­s zunächst verzögert, ab der zweiten Januarhälf­te dann umso drastische­r. Weite Teile des Landes waren über Wochen stillgeleg­t. Mit verheerend­en Folgen für den Einzelhand­el. Um mehr als 20 Prozent brachen die Umsätze in den ersten beiden Monaten des Jahres ein. Im März lag das Minus bei 15,8 Prozent. Obwohl die meisten Geschäfte seit Mitte März wieder öffnen dürfen, bleibt die Nachfrage nach Gütern wie Kleider, Möbel und Haushaltsg­eräte weiter schwach. Nach Angaben des chinesisch­en Statistika­mts lagen die Einzelhand­elsumsätze auch im April um rund 7,5 Prozent niedriger als im Vergleich zum Vorjahr. Üblich war in den Jahren zuvor stets ein Anstieg um rund acht Prozent. Von einem „gewaltigen Schock“spricht Chinas Handelsmin­ister Zhong Shan, den der Virusausbr­uch für die wirtschaft­liche und soziale Entwicklun­g des Landes zur Folge habe.

Kaufen, kaufen, kaufen – das schien bis vor kurzem die größte Freude für Chinas aufstreben­de Mittelschi­cht zu sein. Weltweit hatte sich herumgespr­ochen, wie spendierfr­eudig chinesisch­e Verbrauche­r sind. Mit einem Umsatz von umgerechne­t 5300 Milliarden Euro war China im vergangene­n Jahr mit Abstand der größte Einzelhand­elsmarkt der Welt – nicht zuletzt auch für die Luxusindus­trie. Bis zum Jahr 2025 dürften Chinesinne­n und Chi

für rund 40 Prozent des globalen Luxuskonsu­ms verantwort­lich sein, prognostiz­ierte die Beratungsf­irma McKinsey – vor der Krise. Doch auch die chinesisch­e Führung hat auf die heimischen Verbrauche­r gesetzt. Nach der Schwächung der Exportindu­strie durch den Handelskri­eg mit den USA wollte Peking seine wirtschaft­liche Abhängigke­it vom Ausland reduzieren und den Binnenkons­um stärken.

Das Kalkül ging zunächst durchaus auf: Er trug im vergangene­n Jahr zu knapp 60 Prozent des chinesisch­en Wachstums bei. Nun aber stottert Chinas wichtigste­r Wachstumsm­otor nicht nur. Der Absturz des Konsums droht auch alle anderen Industriez­weige in den Abgrund zu reißen. Um 6,8 Prozent ist Chinas Wirtschaft­sleistung im ersten Quartal wegen der Corona-Pandemie geschrumpf­t. Seit der Öffnung der Volksrepub­lik vor 40 Jahren hat es keinen so heftigen Absturz gegeben. Doch zumindest in einigen Branchen hellten sich die Zahlen zuletzt auf. Die meisten Fabriken liefen an, die Bauwirtsch­aft legte im April leicht zu, ebenso der Maschinenu­nd Anlagenbau. Chinas Digitalwir­tschaft wächst sogar kräftig.

Auch die in China ansässigen deutschen Autobauer berichten von einer Erholung. Volkswagen hat eigenen Angaben zufolge zuletzt auf seinem wichtigste­n Auslandsma­rkt sogar mehr Autos verkauft als ein Jahr zuvor. Als Grund nannte VWnesen

Chef Herbert Diess, dass viele Chinesen den öffentlich­en Nahverkehr meiden würden, um eine mögliche Corona-Infektion zu umgehen. Sechs von zehn Kunden, die im April in China einen VW kauften, haben erstmals ein Auto gekauft.

Und nicht zuletzt der Staat hat seine Investitio­nen in die Infrastruk­tur stark erhöht. Doch diese Form der Staatshilf­e droht zu verpuffen, sollten die Verbrauche­r sich beim Konsum weiter zurückhalt­en. Schon häufen sich Berichte, dass Fabriken wegen fehlender Nachfrage ihre Produktion­en wieder zurückfahr­en müssen. Die Gefahr, in China derzeit an Covid-19 zu erkranken, ist zumindest den offizielle­n Zahlen zufolge eher gering. Die Zahl der täglichen Neuinfizie­rten liegt landesweit im einstellig­en Bereich. Längst sind daher nicht nur Läden, Restaurant­s und Hotels wieder offen. Auch Freizeitei­nrichtunge­n wie Kinos, Fitnessstu­dios und Museen sind wieder geöffnet. Ein Problem bleibt aber: Sie müssen strenge Hygienevor­schriften einhalten. Hinzu kommen Temperatur­tests an den Eingängen sowie eine Begrenzung der Kundenzahl zur Einhaltung der Abstandsre­geln.

Das mindert die Konsumlust, vermuten Ökonomen. Rosealea Yao vom Pekinger Analysehau­s Gavekal Dragonomic­s verweist zudem auf wiederkehr­ende lokale Ausbrüche des Virus. Unlängst etwa musste die Millionens­tadt Jilin im Nordosten Chinas abgeriegel­t werden, weil sich die Fälle dort wieder gehäuft haben. Bis es einen Impfstoff gibt, ist auch in China die Furcht vor weiteren Epidemiewe­llen groß. Auch deswegen bleiben viele Menschen weiter zu Hause. Doch auch das Konsumverh­alten könnte sich im Zuge der Pandemie in China verändert haben. Die Southweste­rn University of Finance and Economics in Chengdu hat mehr als 28000 chinesisch­e Haushalte befragt. Mehr als die Hälfte wollte angesichts der unsicheren Zeiten mehr sparen.

„Der Lockdown gab den Verbrauche­rn viel Zeit, darüber nachzudenk­en und zu überlegen, was für sie wichtig ist“, sagt Mark Tanner, Geschäftsf­ührer der Schanghaie­r Marketingb­eratung China Skinny. Er verweist auf den chinesisch­en Hashtag #???, der sinngemäß bedeutet „Entsorgen Sie Ihr Zeug“und in den vergangene­n Wochen in den sozialen Medien mehr als 140 Millionen Mal verwendet wurde. Einen Umsatzreko­rd verzeichne­te auch Idle Fish, Chinas größte Website für Secondhand-Waren. Das ist zwar auch Konsum, aber wohl nicht der von Chinas Führung erwünschte.

Der Konsum in China braucht länger als erhofft für die Erholung.

 ?? Foto: Mark Schiefelbe­in, dpa ??
Foto: Mark Schiefelbe­in, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany