Mindelheimer Zeitung

Wenn der Staat die Rad-Reparatur bezahlt

Corona Frankreich­s Regierung ist erfinderis­ch, um Busse und Bahnen zu entlasten: 50 Euro für alle, die das alte Rad reaktivier­en

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Guillaume hat ein paar Minuten Verspätung und wirkt etwas außer Atem. Nicht weil er mit dem Fahrrad zu seiner Kundin gekommen ist – kein Problem für ihn, wie ein Blick auf seine durchtrain­ierten Unterschen­kel verrät. Aber er ist in Eile angesichts einer langen Liste an Kunden, die heute noch auf ihn warten. Guillaume arbeitet für das Pariser Start-up „Cyclofix“, das Räder direkt vor Ort repariert. In diversen Taschen steckt sein Handwerksz­eug, um Probleme wie defekte Bremsen oder blockierte Ketten zu beheben.

Das Frühjahr ist generell eine gute Zeit fürs Geschäft, aber einen solchen Ansturm wie zurzeit hat „Cyclofix“noch nie erlebt. „Momentan reparieren wir etwa 150 Räder am Tag“, sagt Guillaume. „Darüber hinaus haben wir täglich 200 Anfragen, denen wir nicht sofort nachkommen können.“Hauptgrund

für die starke Nachfrage ist eine staatliche Finanzieru­ngshilfe seit der Lockerung der Ausgangsbe­schränkung­en am 11. Mai: Weil die französisc­he Regierung die öffentlich­en Transportm­ittel entlasten und auf diese Weise die Ansteckung­sgefahr verringern möchte, gibt sie einen Anreiz zum Umsatteln auf das Rad und übernimmt Reparature­n von bis zu 50 Euro. Nur die Mehrwertst­euer muss der Kunde noch selbst bezahlen. Die Radreparat­eure stellen die Rechnung direkt an den Staat. „Zwar ist der Verwaltung­saufwand für uns groß“, sagt Guillaume. „Aber uns bringt das massenweis­e Kunden.“

Nun beugt er sich über das Holland-Rad mit dem platten Reifen. Ein Teil des Schlauchs ist abgerissen und hat sich in den Speichen verheddert. „Sind Sie etwa mit dem platten Reifen noch weitergefa­hren?“, fragt er in vorwurfsvo­llem Ton. Die Kundin nickt schuldbewu­sst: Schließlic­h wollte sie ihr Rad nicht irgendwo in der Stadt stehenlass­en und ein Auto, um es abzuholen, hat sie nicht – wie die meisten Pariser. Seufzend macht sich der junge Mann an die Arbeit. Eine gute halbe Stunde später ist er fertig und präsentier­t die Rechnung: Der Staat muss 33,33 Euro berappen, die Kundin nur die Mehrwertst­euer in Höhe von 6,67 Euro. Schnell verabschie­det sich Guillaume.

Insgesamt 20 Millionen Euro hat die französisc­he Regierung bereitgest­ellt, um Rad-Reparature­n zu übernehmen, Kurse für angstfreie­s Fahren zu fördern oder die Städte beim Bau von Extra-Parkplätze­n zu unterstütz­en. Überall im Großraum Paris entstehen neue Wege, allerdings oft nur improvisie­rt mittels Barrieren oder Markierung­en auf der Straße. „In zehn Tagen wurde mehr geschafft als sonst in zehn Jahren denkbar gewesen wäre“, lobt Stein van Oosteren, Sprecher eines Radvereins im Großraum Paris.

Im internatio­nalen Vergleich hat Frankreich in Sachen Radkultur noch Nachholbed­arf: Der Anteil bei der Fortbewegu­ng beträgt hier laut einer Studie nur drei Prozent gegenüber zehn Prozent in Deutschlan­d und 28 Prozent in den Niederland­en.

Bereits 2018 hat die französisc­he Regierung für einen Rad-Plan 250 Millionen Euro bis 2025 zur Verfügung gestellt, um Wege auszubauen oder Prämien für den Kauf von Elektroräd­ern zu vergeben. Hauptziel war damals, das hohe Verkehrsau­fkommen gerade in den großen Städten und die damit einhergehe­nde Luftversch­mutzung zu verringern.

Dass diese nun wieder ansteigt, weil mehr Menschen aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 lieber das Auto nehmen, befürchtet auch das Pariser Rathaus. Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, die schon lange gegen das hohe Autoaufkom­men kämpft, hat weitere Wege von insgesamt 50 Kilometern versproche­n. Tatsächlic­h stieg die Radnutzung laut einer Erhebung in den vergangene­n zwei Wochen sprunghaft an. Der finanziell­e Anreiz für die Reparatur und der Fleiß von Guillaume und seinen Kollegen dürfte seinen Anteil daran haben.

Die Fahrradwer­kstätten haben in Paris derzeit jede Menge zu tun.

 ?? Foto: Holzer ??
Foto: Holzer

Newspapers in German

Newspapers from Germany