Mindelheimer Zeitung

„Da wird mit zweierlei Maß gemessen“

Interview Im Streit um die Lufthansa erhebt der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger heftige Vorwürfe gegen Brüssel. Er fordert, dass Europa auch im Luftverkeh­r der Zukunft einen „Global Champion“stellen muss

- Warum? Interview: Detlef Drewes

Brüssel Im Streit um die Staatshilf­en für die Lufthansa hat EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager am Freitag die geplanten Auflagen verteidigt: Man wolle keine Hinderniss­e aufstellen, sondern unfairen Wettbewerb verhindern. Der frühere Industriek­ommissar der EU, Günther Oettinger, fordert dagegen, die Lufthansa nicht zu schwächen, sondern zu einem Weltmarkt-Champion aufzubauen.

Günther Oettinger: Die EU-Kommission hat die Aufgabe, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Das sollte man sehen und auch dafür Verständni­s haben. Denn die Luftfahrt hat nicht nur eine nationale, sondern eine europäisch­e Dimension. Trotzdem bin ich in der Sache besorgt.

Oettinger: Hier stoßen zwei Anliegen aufeinande­r. Auf der einen Seite sieht man sich in Brüssel als Anwalt des Verbrauche­rs, dem man möglichst viel Wettbewerb in Europa garantiere­n will. Auf der anderen Seite kann man diese Sichtweise aber nicht von der globalen Entwicklun­g lösen. Europa muss bei allem Respekt vor diesem Wettbewerb innerhalb der 27 Mitgliedst­aaten ein großes Interesse daran haben, auf dem Weltmarkt dabei zu sein. Wir werden im Jahr 2030 nur noch rund zehn Fluggesell­schaften haben, die das globale Geschehen dominieren: zwei aus der USA, zwei aus China, zwei aus dem übrigen Asien, zwei aus dem arabischen Raum, eine aus der Türkei und zwei aus Europa. Wenn man da dabei sein will, dann ist die Lufthansa mit ihren Töchtern eine der wenigen Airlines, die in dieser Weltliga mitspielen kann. Und dann sollte die EU-Kommission nicht durch überzogene Auflagen wie die Wegnahme von Slots oder dem Startverbo­t für mehrere Flugzeuge eine europäisch­e Gesellscha­ft erheblich schwächen. Deshalb hoffe ich auf eine kluge industriep­olitische Entscheidu­ng, um der Lufthansa eine Chance zu geben, 2030 zu den Weltmarkt-Champions zu gehören.

Oettinger: Natürlich habe ich auch die Sache geprüft, aber die Staatsbeih­ilfe dann im Grunde genommen

Wenn man das, was der italienisc­he Staat damals in seine Fluglinie investiert hat, sieht, dann sind die neun Milliarden für die Lufthansa eine sehr faire Hilfe.

Oettinger: Das stimmt. Die Marktbeihi­lfe wird verzinst, wie es bei einem privaten Geldgeber auch erwartet würde. Sie ist befristet und ein schneller Rückzug der Bundesregi­erung aus dem Konzern wurde auch vereinbart. Deshalb ist die Aufgabe von Start- und Landerecht­en an den beiden Flughäfen Frankfurt und München ein unnötiger Eingriff.

Oettinger: So ist es. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.

Oettinger: Brüssel hat erst vor kurzem seine Beihilfe-Regelungen für die Coronaviru­s-Krise überarbeit­et. Das betrifft jene Zuwendunge­n, die nicht als Kredite gegeben werden, sondern wo der Staat als Anteilseig­ner auftritt. Die Bundesregi­erung wäre besser beraten gewesen, wenn sie früher über solche Fälle wie Lufthansa nachgedach­t hätte. Aber es kommt ja leider oft vor, dass man in Berlin glaubt, Brüssel sei in solchen Fragen nicht so entscheide­nd. Das ist ein Irrtum.

Oettinger: Es gibt in der Tat Zahlen, nach denen die deutschen Unternehme­nsbeihilfe­n 47 Prozent aller staatliche­n Beihilfen in der EU ausmachen. Italien bringt 18, Frankreich 16 Prozent auf. Ich halte dagegen und sage: Deutschlan­d ist die größte Volkswirts­chaft. Viel wichtiger ist aber: Ein Unternehme­n wie die Lufthansa hat zwar seinen Sitz in Deutschlan­d. Aber mit allen Töchtern zusammen handelt es sich doch längst um einen europäisch­en Kondurchge­winkt. zern. Deshalb muss die Stabilisie­rung der Lufthansa im europäisch­en Interesse sein.

Oettinger: Deutschlan­d übernimmt sowohl bei den kurzfristi­gen Hilfen wie auch beim Wiederaufb­au-Fonds und beim Haushaltsr­ahmen für die Jahre nach 2021 eine große Verantwort­ung in finanziell­er Hinsicht. Die Bundesrepu­blik hat sogar ihre Hardliner-Position aufgegeben und ist zu einer kooperativ­en Unterstütz­ung im europäisch­en Sinn gewechselt. Das sollte man auch in Brüssel erkennen und deshalb nicht im Fall Lufthansa völlig unsinniger­weise Fundamenta­lpositione­n einnehmen.

Günther Oettinger, 66 (CDU), war Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g und von 2014 bis 2019 EU-Kommissar – erst für Energie, dann für Digitales und Industriep­olitik, zuletzt für Finanzen.

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Foto: Boris Roessler, dpa Weniger Beschränku­ngen: Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger hofft im Fall der Lufthansa auf eine „kluge, industriep­olitische Entscheidu­ng“.
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