Mindelheimer Zeitung

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Corona Ein klar erkennbare­s Lächeln gehört aufgrund der Maskenpfli­cht der Vergangenh­eit an. Wie Missverstä­ndnisse vermieden werden und warum Augenbraue­n so wichtig sind, erklärt der Körperspra­che-Experte Stefan Verra

- VON TANJA FERRARI

Augsburg Zorro trägt sie. Batman auch. In unserem Alltag sind uns Masken bislang trotzdem kaum begegnet. Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es jedoch in allen deutschen Bundesländ­ern inzwischen die Pflicht – zumindest in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und beim Einkaufen – einen Mund- und Nasenschut­z zu tragen. Wer sich nicht an die neue Vorgabe hält, dem droht eine Geldstrafe. Ein ungewohnte­s, fast schon unheimlich­es Szenario.

Dass Masken uns nicht nur irritieren, sondern auch unsere Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten massiv einschränk­en, weiß auch der österreich­ische Körperspra­che-Experte Stefan Verra: „Mimik und Gestik helfen uns, andere Menschen schon aus der Ferne einzuschät­zen.“Das geschehe im Alltag ganz subtil. Begegne uns auf der Straße ein Mensch, der uns gefährlich vorkomme, würden wir automatisc­h ausweichen. Dabei ließe sich ein interessan­tes Phänomen beobachten. Je geringer die Distanz zum anderen, so der Experte, desto ungefährli­cher wirkt man.

Seit im Alltag allerdings die Maskenpfli­cht gilt, ist die Einschätzu­ng anderer Menschen nicht mehr so einfach über einen Blick möglich. „Rund zwei Drittel des Gesichts sind jetzt verdeckt, wir können also bis auf die Augenparti­e kaum Mimik erkennen“, sagt Verra. Ein Hoffnungss­chimmer, dass uns die vermummten Gesichter unserer Mitmensche­n mit der Zeit nicht mehr ganz so sehr verunsiche­rn, kann der Experte nicht geben. An dem Gefühl von Distanz und fehlender Sympathie ließe sich auch durch Gewohnheit nichts ändern. Selbst dann, so Verra, wenn uns das Mundschutz-Bilder aus dem asiatische­n Raum gerne als normal vorgaukeln würden.

Bei Menschen aus unserem direkten Umfeld störe uns das meist weniger: „Wir halten es aus, weil wir sie kennen“, sagt der Experte. Bei Fremden ist das nicht der Fall. Da empfinden wir Unbehagen. Das liege daran, dass auch der Mundbereic­h uns verrate, ob jemand aggressiv ist. Alle die glaubten, dass die Augen allein ein Spiegel der Seele seien, lägen falsch. „Niemand wird sich in einen Maskenträg­er verlieben, ihn einstellen oder ihm eine Wohnung geben.“

Wie wichtig die Mimik für die Kommunikat­ion tatsächlic­h ist, zeigt auch die Reaktion von Kindern. Abhängig vom Altersgrad würde es viele kleinere Kinder verunsiche­rn, wenn ihre Eltern eine Maske tragen. Weil sie der Sprache noch nicht vollständi­g mächtig sind, seien sie besonders auf Signale der Mimik und Gestik angewiesen. Durch die Maskenpfli­cht sinkt nun unsere Kommunikat­ionsbereit­schaft. Wenn durch ein kleines Lächeln im Supermarkt früher eine Unterhaltu­ng entstanden war, ist das aktuell nicht möglich. Mit dem Mundschutz, so Verra, wirke ein normaler Blick starrend oder fast schon aggressiv. Deshalb: „Wenn jemand als sympathisc­h erkannt werden will, sollte er lächeln.“Und das so sehr, dass die Gesichtsmu­skeln um die Augen herum kleine Lachfältch­en entstehen lassen. „Botox hat aktuell Pause“, witzelt er.

Außerdem rät der Experte, die fehlenden Optionen bei der Mimik auszugleic­hen: „Wir müssen uns das so vorstellen, als würden uns durch die Maske Worte oder Buchstaben weggenomme­n werden, die wir jetzt umschreibe­n müssen.“Worte, weiß Verra, hören wir nicht nur, sondern lesen sie auch auf den Lippen unseres Gegenübers mit ab. Dadurch können Missverstä­ndnisse im Alltag minimiert werden. Durch die Maske ist das aber nicht mehr möglich.

Aktuell sind deshalb Verständni­ssignale im Alltag unglaublic­h wichtig geworden. Selbst ein einfaches Nicken kann dabei helfen, die Kommunikat­ion mit unserem Gegenüber zu vereinfach­en: „Die Schwaben müssen keine Angst haben, zu Italienern zu werden oder wild durch die Luft fuchteln – kleine und deutliche Gesten reichen bereits aus“, sagt er.

Vor allem die Augenbraue­n bekämen jetzt eine besondere Aufgabe. Interessan­t, so der Experte, sei die evolutions­bedingte Geschichte der Haarpartie über unseren Augen. Nicht wie oft angenommen zum Schutz gegen Schmutz oder Schweiß, sondern als Kommunikat­ionsmöglic­hkeit waren sie übrig geblieben. „Auf die Distanz können wir mit ihrer Hilfe die Emotionali­tät eines anderen Menschen einschätze­n“, sagt er.

Noch schwierige­r wird es im Sommer, wenn Sonnenbril­len ins Spiel kommen. Wer glaube, dass eine Designerbr­ille das Outfit mit Maske cool mache, irre sich. Verra selbst würde nur dann eine Sonnenbril­le tragen, wenn er keinen direkten Kontakt zu anderen hat. „Bei unseren Mitmensche­n führt ein solches Auftreten zu Ablehnung – ein Schutzmech­anismus“, erklärt er. Oft werde ein Brillenträ­ger deswegen als arrogant abgestempe­lt.

Im Alltag durchsetze­n, denkt Verra, werden sich die Masken nicht. Sollte es medizinisc­h notwendig sein, werde es vermutlich Lösungen geben, die dem Träger Mimik ermögliche­n.

Dass es immer mehr Proteste und Verschwöru­ngstheoret­iker gibt, hält der Experte für ein Resultat der Distanzier­ung: „Weltweit halten es die Menschen nicht mehr aus und klammern sich an diesen Strohhalm.“Als Rudelwesen seien wir nicht dafür gemacht, physische Distanz auf die Dauer auszuhalte­n. Umso wichtiger sei es, dass die Regierunge­n aus dem aktuellen Krisenmana­gement etwas für die Zukunft lernen: „Nach rund zwei Monaten der Isolation werden die Menschen unruhig und brechen aus.“

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Foto: Verra Zwar verdecken Masken einen Großteil des Gesichts. Doch ob jemand lächelt – oder nicht, ist trotzdem deutlich zu erkennen, wie eine Aufnahme des Körperspra­che-Experten Verra zeigt.

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