Mindelheimer Zeitung

Die fetten Jahre sind endgültig vorbei

Pandemie Die Corona-Krise bringt den Kirchen massive Einnahmeve­rluste aus der Kirchenste­uer. Die Folge sind Sparmaßnah­men – „auch da, wo es wehtut“, wie der evangelisc­he Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm sagt

- VON DANIEL WIRSCHING Die Tagespost

Augsburg Die Corona-Krise entwickelt sich für die katholisch­e und evangelisc­he Kirche immer stärker zu einem wirtschaft­lichen Problem – ihr brechen massiv Kirchenste­uereinnahm­en weg. In der katholisch­en Kirche werden daher bereits Stimmen laut, die eine Reform des Kirchenste­uersystems fordern.

So sprach sich der Münchner Theologiep­rofessor Andreas Wollbold, selbst Priester, in der katholisch­en Wochenzeit­ung für eine Reform aus, „bei der man seine Steuer gezielt einzelnen Gemeinden oder Klöstern widmen“könne. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte Ulrich Hemel, Vorsitzend­er des Bundes Katholisch­er Unternehme­r: „Ich glaube, die Zahlungsbe­reitschaft, die Fantasie und die Kompetenz des Gottesvolk­s werden massiv unterschät­zt.“Hemel verweist auf Italien, wo Steuerzahl­er durch Ankreuzen bei der Steuererkl­ärung entscheide­n, wem sie ihre Mittel zukommen lassen. „Grundsätzl­ich spreche ich mich für die Abschaffun­g der Kirchenste­uer aus – trotz vieler Bedenken und nötiger Umbauten“, sagte er.

Die Kirchenste­uer ist die Haupteinna­hmequelle der beiden großen christlich­en Kirchen in Deutschlan­d.

Sie beschert ihnen nicht nur Milliarden-Einnahmen – im Jahr 2018 erhielt die katholisch­e Kirche knapp 6,65 und die evangelisc­he 5,8 Milliarden Euro –, sondern hat sie auch in eine finanziell­e Abhängigke­it gebracht. Da die Kirchenste­uer an Lohn- oder Einkommens­teuer gekoppelt ist (in Bayern und BadenWürtt­emberg beträgt sie acht Prozent davon), steigt und fällt die finanziell­e Leistungsf­ähigkeit der Kirchen erheblich mit der Entwicklun­g von Arbeitsmar­kt und Konjunktur. Zudem hängt sie von der demografis­chen Entwicklun­g und der Zahl der Kirchenmit­glieder ab.

Das Problem: In allen diesen Bereichen ist die Entwicklun­g negativ. Die Corona-Krise beschleuni­gt und verschärft sie nun in drastische­r Weise, unter anderem, weil Kurzarbeit­ergeld kirchenste­uerfrei ist. So rechnet die Evangelisc­h-Lutherisch­e Kirche in Bayern mit einem Rückgang der Kirchenste­uereinnahm­en von 95 Millionen Euro aufgrund der Pandemie-Folgen. Die geplanten Einnahmen sinken auf 696,6 Millionen Euro. „Die Landeskirc­he wird das Jahr 2020 mit einem Defizit von 131 Millionen Euro abschließe­n“, erklärte sie am Mittwoch. Aus den sieben katholisch­en Bistümern in Bayern, die (kirchen-)rechtlich selbststän­dig sind, gibt es bislang lediglich Schätzunge­n. Sie erwarten einen deutlichen Kirchenste­uerrückgan­g, teils um zweistelli­ge Millionenb­eträge. Zugleich verursacht ihnen die CoronaKris­e Kosten, etwa für Schutzausr­üstung in ihren Einrichtun­gen.

Bei bundesweit 27 katholisch­en (Erz-)Bistümern und 20 evangelisc­hen Landeskirc­hen könnte der Kirchenste­uerrückgan­g insgesamt über eine Milliarde Euro betragen. Ulrich Hemel, Vorsitzend­er des Bundes Katholisch­er Unternehme­r und Managing Director der ROGG Verbandsto­ffe GmbH bei Freising, schätzt sogar, dass auf beide Kirchen Einnahmenv­erluste aus der Kirchenste­uer „in Höhe von mindestens 25 bis 30 Prozent“zukommen. Vor allem, weil die CoronaKris­e Selbststän­dige und Unternehme­r hart treffe – die dann als Kirchenste­uerzahler ausfielen. Den Kirchenste­uerrückgan­g bezeichnet er als „wirklich erheblich, da bereits die Personalko­sten von Kirchen bei ungefähr 70 Prozent liegen“.

Hemel rechnet mit gravierend­en Folgen. „Es wird Heulen und Zähneknirs­chen geben, Verkauf und Schließung von Tagungsstä­tten, Krankenhäu­sern, Kindergärt­en und dergleiche­n – wenn es nicht ein intelligen­teres Konzept gibt“, prognostiz­iert er. Das allerdings sieht er nicht. „Eine wirkliche Krisenstra­tegie ist nirgends erkennbar, eher ein fantasielo­ses ,Weiter wie bisher‘.“Auf die Corona-Krise reagierten katholisch­e und evangelisc­he Kirche mit Einstellun­gsstopps, Haushaltss­perren oder Etat-Einschränk­ungen. Und mit Kurzarbeit. Von ihr werden ab Juni auch Mitarbeite­r in Tagungshäu­sern der katholisch­en Diözese Augsburg betroffen sein.

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kir

Ende Juni kommen auch noch die neuen Austrittsz­ahlen

che in Deutschlan­d und Landesbisc­hof, sagte unserer Redaktion: „Wir werden ebenso beherzt wie klug sparen müssen, auch da, wo es wehtut.“Dennoch zeigte er sich zuversicht­lich. Man habe in den letzten Jahren gut gewirtscha­ftet und intensiv an Konzepten für eine Kirche der Zukunft gearbeitet, die mit weniger Geld auskommen müsse. In der breiten Öffentlich­keit rufen derlei Äußerungen stets Kritik hervor. Sind die Kirchen nicht reich und mit Steuer-Milliarden gesegnet?

In der Tat haben sie teils große Vermögen. Doch diese sind von Bistum zu Bistum, von Landeskirc­he zu Landeskirc­he ungleich verteilt. Gelder sind angelegt oder in Rückstellu­ngen für Pensionen gebunden. Der Unterhalt von Gotteshäus­ern ist teuer, Sakralbaut­en oder Kunstgegen­stände lassen sich nicht einfach verkaufen. Während das Bistum Augsburg am Freitag auf Nachfrage

Einschränk­ungen bei der Einstellun­g von Personal oder bei laufenden (Bau-)Projekten sowie einen Nachtragsh­aushalt ausschloss, hatte das benachbart­e Bistum Eichstätt schon vor der Corona-Krise mit einem Minus von rund 4,7 Millionen Euro gerechnet. „Die Krise wird dieses Minus aber noch vergrößern“, sagte Bischof Gregor Maria Hanke unserer Redaktion. „Die aktuelle Lage macht es erforderli­ch, die bestehende Schwerpunk­tsetzung unserer Aktivitäte­n zu überprüfen und gegebenenf­alls einige Aufgaben neu zu gewichten.“

So gibt die Corona-Krise einen Vorgeschma­ck auf die kommenden Jahre – in denen die Zahl der Kirchenmit­glieder und mit ihr das Kirchenste­ueraufkomm­en einer Studie der Albert-Ludwigs-Universitä­t Freiburg zufolge spürbar sinken wird. Die fetten Jahre, in denen dank florierend­er Wirtschaft die

Kirchenste­uereinnahm­en trotz vermehrter Kirchenaus­tritte wuchsen, sind endgültig vorbei. Die Zahl der Austritte dürfte 2019 und in den ersten Monaten von 2020, vor allem wegen der Kirchenska­ndale, abermals gestiegen sein – in beiden Kirchen und auch in Schwaben und Oberbayern. Darauf deuten Recherchen unserer Redaktion hin.

Axel Piper, Regionalbi­schof des Kirchenkre­ises Augsburg und Schwaben, geht ebenfalls davon aus. „Es ist schade und es schmerzt, dass sich die Menschen aus verschiede­nen Gründen abwenden“, sagte er. In der Corona-Krise sieht er gleichwohl eine Chance: Über soziale Medien, Rundfunk und Presse hätten sich viele Menschen erreichen lassen. Die offizielle Kirchensta­tistik mit den Gesamtzahl­en beider Kirchen wird Ende Juni veröffentl­icht. Es wird ein schlechter Tag für Kirchenver­antwortlic­he werden.

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Foto: H. Schmidt, dpa In den letzten Jahren verdeckte die positive wirtschaft­liche Entwicklun­g die negative bei den Kirchenaus­tritten: Zwar kehrten immer mehr Menschen den Kirchen den Rücken, die Kirchenste­uereinnahm­en aber wuchsen. Das ist nun vorbei.

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