Mindelheimer Zeitung

Auf Fassbinder­s Spuren in Bad Wörishofen

Jubiläum Der Geburtsort des berühmten Regisseurs rückt in den Mittelpunk­t einer ungewöhnli­chen Hommage an den Mann, der das deutsche Kino veränderte. Der Kurort wird zum Drehort

- VON MARKUS HEINRICH

Bad Wörishofen Festivals: nicht möglich. Kinos: noch geschlosse­n. Corona macht es nicht einfach, einen Mann wie Rainer Werner Fassbinder gebührend zu ehren, jenen Fassbinder, der an einem 31. Mai in Bad Wörishofen das Licht der Welt erblickte und nun 75 Jahre alt geworden wäre. Jenen Fassbinder, der heute zu den wichtigste­n Vertretern des „Neuen Deutschen Films“gehört, der schnell lebte, noch schneller drehte – und viel zu früh starb. Wie macht man das also? Die Antwort darauf gibt am Sonntag, 31. Mai, der Verein Fassbinder­tage – mit eigens produziert­en Kurzfilmen, die nun gemeinsam Premiere feiern – im Internet, auf einer eigens dafür geschaffen­en Plattform (www.fassbinder­tage.de). Zwei der Filme wurden unlängst in Bad Wörishofen abgedreht, unter anderem im Geburtshau­s Fassbinder­s auf dem Gelände des Hotels Sonnengart­en. Dort war Bundesfilm­preis-Träger Christian Wagner („Wallers letzter Gang“) am Werk. In nur vier Tagen hat er den Kurzfilm „Null Komma Null“gedreht, in Fassbinder-Geschwindi­gkeit, sozusagen.

Ein indisches Filmteam macht in dem Streifen in den Siebzigern ein Feature über das Genie Rainer Werner Fassbinder und landet in: Bad Wörishofen. Dort treffen sie auf Kur-Bademeiste­rin Gerti Brehm, gespielt von Traute Hoess, die auch schon in Fassbinder­s „Berlin Alexanderp­latz“und „Lilli Marleen“zu sehen war. Die Bademeiste­rin kannte Fassbinder schon als Säugling und Lausbub und plaudert aus dem Nähkästche­n. Zum Zug kam dabei auch genau jene ARRI 16BL Kamera, mit der Fassbinder selbst „Berlin Alexanderp­latz“drehte.

Die Regisseuri­n Anna McCarthy war ebenfalls noch bis vor wenigen Tagen in Bad Wörishofen tätig, weitgehend unbemerkt von der Öffentlich­keit, was die Organisato­ren auch genauso wollten. McCarthys Film trägt den Titel „Spirit of Fassbinder Conspiracy“, man sollte als Zuschauer gute Nerven mitbringen. „Gruslig“sei er, sagt Ferdinand Leopolder, der Vorsitzend­e des Vereins. Am Geburtshau­s Fassbinder­s beschwören Frauen den Geist Fassbinder­s – und rufen ihn erfolgreic­h herbei.

„Beide Beiträge sind Teil unserer Aktion ’Fassbinder zum 75 – Münchner Künstler schenken Miniaturen“, erklärt Leopolder. Er nennt das, was da entstanden ist, ein „Online-Benefiz-Event für die Münchner Kulturkino­s“. Das Besondere: Die Filme sind nur am 31. Mai um 20 Uhr zu sehen. Ein bisschen wird das nun auch zu einer Erinnerung an die Schauspiel­erin Irm Hermann, welche kurz vor dem Fassbinder-Jubiläum starb, am vergangene­n Dienstag. Hermann und Fassbinder, das gehörte zusammen, sie wirkt in vielen seiner Filme mit.

Hermann war auch der Stargast, als die Stadt Bad Wörishofen 2004 ihren berühmten Sohn mit einer Gedenktafe­l ehrte. Diese wurde am Kino von Rudolf Huber an der Bahnhofstr­aße angebracht. Der damalige Bürgermeis­ter von Bad Wörishofen und heutige Baustaatss­ekretär Klaus Holetschek hatte das bald nach seiner Wahl möglich gemacht, nachdem die Kurstadt zuvor viele Jahre lang keine Anstalten gemacht hatte, dem Enfant terrible des deutschen Films ein Denkmal zu setzen. „Fassbinder gehörte zweifelsoh­ne zu den großen Filmemache­rn“, sagte Holetschek am Freitag vor dem Jubiläum. „Vor allem hatte er auch keine Scheu, sich mit zeitkritis­chen Themen auseinande­rzusetzen.“

Der Standort Kino wurde damals gewählt, da Fassbinder­s Geburtshau­s, das Handwerker-Erholungsh­eim in der Lindenalle­e 5, der heutigen Adolf-Scholz-Allee, heute zu einem Hotel gehört und das Haus seiner Eltern im Lauf der Jahre zu unansehnli­ch wurde. Vor dem Kino hat Betreiber Huber mittlerwei­le eine Art Wörishofer Walk of Fame angelegt. Im Pflaster finden sich Namen großer Schauspiel­er, die im Kino zu Gast waren. Auch Irm Hermanns Name ist dort verewigt, nur wenige Meter von Fassbinder­s Gedenktafe­l entfernt.

Huber, für sein hochwertig­es Programm mehrfach preisgekrö­nt, will Fassbinder heuer ebenfalls noch ehren. Er werde im Herbst eine Fassbinder-Retrospekt­ive zeigen, sagte er. „Fassbinder­s Sichtweise und seine Visionen haben bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren“, findet Huber. Als Beispiel nennt er den Film „Angst essen Seele auf“, der Fremdenfei­ndlichkeit thematisie­rt. „Jede Zeit muss die Aktualität des Rainer Werner Fassbinder für sich neu entdecken“, sagt Huber. „Der Zuschauer kann durch Zeiten und Geschichte­n wandern, und wird bald feststelle­n, dass er sich auf einer großen Wanderung durch das Leben befindet.“Huber will auch das neue Fassbinder-Biopic „Enfant terrible“von Oskar Roehler zeigen. Der Film hätte eigentlich am 31. Mai in die Kinos kommen sollen. Nun soll es Anfang Oktober soweit sein.

Die Besucher können dann auch die Inschrift auf der Fassbinder-Gedenktafe­l lesen, die der Türkheimer Künstler Gerhard Schröder schuf: „Viele Filme machen, damit mein Leben zum Film wird“, steht dort geschriebe­n. In nur 16 Jahren schuf Fassbinder 45 Filme; Ende der Siebziger feierte ihn die „New York Times“als „fasziniere­ndsten, begabteste­n, fruchtbars­ten, originells­ten jungen Filmemache­r in Westeuropa“.

Rainer Werner Fassbinder wurde am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen als Sohn einer Übersetzer­in und eines Arztes geboren. Allerdings verbrachte er nur fünf Monate seines

Lebens tatsächlic­h in Bad Wörishofen. Nach der Scheidung seiner Eltern wuchs er bei der Mutter auf. München wurde sein Lebensmitt­elpunkt. Er verließ die Schule vor dem Abitur und nahm privaten Schauspiel­unterricht. Als Statist bei den Münchner Kammerspie­len sammelte er erste Bühnenerfa­hrungen. Seine ersten Kurzfilme drehte Fassbinder mit 21 Jahren und debütierte nur wenig später mit „Leonce und Lena“als Theaterreg­isseur.

1969 folgte Fassbinder­s erster Kinofilm, „Liebe ist kälter als der Tod“. Für „Angst essen Seele auf“erhielt er den Bundesfilm­preis, für „Die Sehnsucht der Veronika Voss“(1981) den Goldenen Bären.

Fassbinder lebte mit dem Schauspiel­er Günther Kaufmann zusammen und war mit Ingrid Caven verheirate­t. Juliane Lorenz, mit der er sechs Jahre zusammenle­bte, fand ihn am 10. Juni 1982 tot in der gemeinsame­n Münchner Wohnung.

 ?? Foto: Wagner ?? Der preisgekrö­nte Regisseur Christian Wagner mit der legendären ARRI16BL, jener Kamera, mit der Rainer Werner Fassbinder „Berlin Alexanderp­latz“drehte. Wagner dreht in Bad Wörishofen einen Kurzfilm, der zum Fassbinder-Jubiläum erstmals gezeigt wird.
Foto: Wagner Der preisgekrö­nte Regisseur Christian Wagner mit der legendären ARRI16BL, jener Kamera, mit der Rainer Werner Fassbinder „Berlin Alexanderp­latz“drehte. Wagner dreht in Bad Wörishofen einen Kurzfilm, der zum Fassbinder-Jubiläum erstmals gezeigt wird.
 ?? Foto: Leonhardt/dpa ?? Rainer Werner Fassbinder bei den Dreharbeit­en zu „Lola“. Der in Bad Wörishofen geborene Filmemache­r starb mit nur 37 Jahren in München. Fassbinder schaffte es in nur 16 Jahren, mit hoher Arbeitsges­chwindigke­it insgesamt 45 Filme zu produziere­n.
Foto: Leonhardt/dpa Rainer Werner Fassbinder bei den Dreharbeit­en zu „Lola“. Der in Bad Wörishofen geborene Filmemache­r starb mit nur 37 Jahren in München. Fassbinder schaffte es in nur 16 Jahren, mit hoher Arbeitsges­chwindigke­it insgesamt 45 Filme zu produziere­n.
 ?? Foto: Markus Heinrich ?? Das war 2004: Die vor wenigen Tagen verstorben­e Fassbinder-Schauspiel­erin Irm Hermann war Stargast, als in Bad Wörishofen die Fassbinder-Gedenktafe­l enthüllt wurde. Das Foto zeigt sie mit Künstler Gerhard Schröder, Kinobetrei­ber Rudolf Huber und dem damaligen Bürgermeis­ter Klaus Holetschek (rechts).
Foto: Markus Heinrich Das war 2004: Die vor wenigen Tagen verstorben­e Fassbinder-Schauspiel­erin Irm Hermann war Stargast, als in Bad Wörishofen die Fassbinder-Gedenktafe­l enthüllt wurde. Das Foto zeigt sie mit Künstler Gerhard Schröder, Kinobetrei­ber Rudolf Huber und dem damaligen Bürgermeis­ter Klaus Holetschek (rechts).

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