Mindelheimer Zeitung

Vier Fehlschüss­e für ein Halleluja

Legendäre Spiele Vor 17 Jahren verpasste der SV Schöneberg den Aufstieg in die Kreisliga durch ein beinahe skurriles Elfmetersc­hießen im Entscheidu­ngsspiel gegen Niederried­en. Was dann folgte, war jedoch eine historisch­e Saison

- VON AXEL SCHMIDT

Schöneberg Der FC Bayern München beruft sich gleich zwei Mal auf eine schmerzlic­he Niederlage, wenn es darum geht, einen großen Erfolg zu erklären. Als sie 2001 (zwei Jahre nach der Last-Minute-Niederlage in Barcelona) und 2013 (ein Jahr nach dem verlorenen „Finale dahoam“) die Champions League gewonnen hatten, hieß es, die vorangegan­genen Finalniede­rlagen hätten die Mannschaft zusammenge­schweißt.

So ähnlich dürften sich im Frühjahr 2004 auch die Spieler des SV Schöneberg gefühlt haben. Bereits fünf Spieltage vor Saisonende standen sie nach einer beeindruck­enden Saison als Meister der Kreisklass­e Südschwabe­n fest und durften sich über den Aufstieg in die Kreisliga Mitte freuen. „Wir hatten damals eine Wahnsinns-Truppe“, erinnert sich Hermann Mack. Der 53-Jährige war damals nicht nur Torhüter, sondern auch Trainer des SV Schöneberg.

Es war ein Aufstieg, der bereits ein Jahr zuvor zum Greifen nah war. Denn in der Spielzeit 2002/03 nahm der SV Schöneberg als Vizemeiste­r der Kreisklass­e an der Aufstiegsr­elegation teil. „Daran kann ich mich noch gut erinnern“, sagt Hermann Mack. „Es war meine erste Saison als Trainer in Schöneberg. Wir lieferten uns über die ganze Spielzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem SV Mattsies, kamen aber letztlich nicht daran vorbei. Deshalb ging es für uns in die Relegation.“Gegner in Babenhause­n an jenem 4. Juni 2003 war der FC Niederried­en. „Ich war mir sicher, dass wir das packen. Wir hatten eine Bombenmann­schaft, alle waren hoch motiviert“, so Mack.

Der SV Schöneberg startete gut in das Spiel. Das Team um Kapitän Stephan Marz übernahm von Beginn an die Initiative und hatte das Spiel im Griff. „Wir haben das Spiel 90 Minuten lang dominiert, ich hatte kaum was zu halten“, erinnert sich der Ex-Keeper. Umso überrasche­nder fiel die Führung für Niederried­en. Manfred Bärtle erzielte in der 30. Minute das erste Tor in diesem Entscheidu­ngsspiel. „Es war ein Konter nach einem Eckball von uns“, sagt Mack. Seine Vorderleut­e aber zeigten sich davon unbeeindru­ckt. Der SV Schöneberg dominierte die Partie und hatte noch in der ersten Halbzeit mehrere Chancen auf den Ausgleich. In der zweiten Hälfte wurde die Überlegenh­eit noch deutlicher.

Die Schöneberg­er Offensive um Marz, Siegfried und Robert Wurm sowie Torjäger Witold Kuczyinski erarbeitet­en sich immer wieder

Möglichkei­ten. Und doch sollte erst eine Standardsi­tuation den verdienten Ausgleich bringen: In der 65. Minute köpfte Siegfried Wurm einen Eckball unter die Latte zum 1:1 ein. Dabei blieb es in der regulären Spielzeit. Es ging in die Verlängeru­ng, die jedoch torlos blieb.

„Selbst vor dem Elfmetersc­hießen war ich mir sicher, dass wir das packen. Im ganzen Jahr hatte ich im Training fast nie einen halten können“, sagt Mack. Was folgte, war ein beinahe schon bizarres Elfmetersc­hießen. Denn hier überboten sich die Schöneberg­er und Niederried­er mit vergebenen Strafstöße­n. Hermann Mack konnte zwei Versuche des FC Niederried­en halten, ein weiterer Strafstoß flog über das Tor. Doch weder Stephan Marz („Ich glaube, ich habe an den Pfosten geschossen.“), noch Marcus Hampp, Willi Wurm oder Robert Wurm brachten den Ball im gegnerisch­en Tor unter. Einzig Christian Wurm verkürzte zwischenze­itlich auf 2:3. Dabei blieb es letztlich – und der Traum vom Aufstieg in die Kreisliga war vorerst ausgeträum­t. „Es war eine riesengroß­e Enttäuschu­ng für mich“, sagt Mack. „Ich habe die ganze Nacht danach kein Auge zugemacht.“

Doch dann, am nächsten Tag in der Arbeit, relativier­te ein Moment seinen Blick auf das Geschehene. „Als ich vom Mittagesse­n zurück an meinen Arbeitspla­tz kam, hatte ein Kollege einen epileptisc­hen Anfall. Ich stand da und dachte mir: ’Was bist du für ein Mensch, dass du dich so über eine Niederlage ärgerst? Fußball ist nicht alles.’ Ich sehe das heute noch vor mir.“Auch der Rest des SV Schöneberg fing sich bald wieder. Und irgendwann reifte die Erkenntnis, dass es doch viel schöner sei, als Meister aufzusteig­en. Gesagt, getan: „Im Nachhinein war es gut, dass wir das Elfmetersc­hießen verloren haben. Denn die darauffolg­ende Saison war überragend“, sagt Stephan Marz heute. „Sonst hätten wir diese Saison nie erlebt“, sagt Hermann Mack. Denn die Schöneberg­er sollten geradezu durch die Kreisklass­e Südschwabe­n spazieren: Ohne Niederlage, eine Serie von 18 Siegen in Folge und 842 Minuten lang ohne Gegentor. Schon vor dem letzten Spieltag standen sie als Meister fest. Am Ende waren es 17 Punkte Vorsprung auf Rang zwei. „Das war einmalig in der Vereinsges­chichte und letztlich war es auch schöner, als Meister direkt aufzusteig­en, als über ein Entscheidu­ngsspiel“, sagt Marz. „Die Meisterfei­ern in Schöneberg sind schließlic­h legendär.“

Diesen Schwung nahm der Aufsteiger dann in die neue Saison mit. Gleich im ersten Spiel wurde der Nachbar TSV Kirchheim im Derby mit 4:1 vom Platz gefegt. Am Ende der Saison 2004/05 belegten die Schöneberg­er den siebten Platz. Es folgten noch fünf weitere Jahre in der höchsten Spielklass­e des Allgäus, ehe 2010 der Abstieg folgte. ⓘ

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 ?? Fotos: MZ-Archiv/Repro Axel Schmidt ?? Als Mannschaft gewachsen: Nur ein Jahr nach der unglücklic­hen Niederlage im Aufstiegss­piel krönte der SV Schöneberg mit einem 2:1-Heimsieg gegen den FC Rammingen eine Fabelsaiso­n und wurde ohne Niederlage und mit 17 Punkten Vorsprung Meister.
Fotos: MZ-Archiv/Repro Axel Schmidt Als Mannschaft gewachsen: Nur ein Jahr nach der unglücklic­hen Niederlage im Aufstiegss­piel krönte der SV Schöneberg mit einem 2:1-Heimsieg gegen den FC Rammingen eine Fabelsaiso­n und wurde ohne Niederlage und mit 17 Punkten Vorsprung Meister.
 ??  ?? In der Saison 2002/03 war der SV Schöneberg in der Kreisklass­e Südschwabe­n äußerst treffsiche­r. Ausgerechn­et im Entscheidu­ngsspiel gelang dem Sturmduo Witold Kuczyinski (hinten links) und Willi Wurm (rechts) kein Treffer.
In der Saison 2002/03 war der SV Schöneberg in der Kreisklass­e Südschwabe­n äußerst treffsiche­r. Ausgerechn­et im Entscheidu­ngsspiel gelang dem Sturmduo Witold Kuczyinski (hinten links) und Willi Wurm (rechts) kein Treffer.
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Während der Saison lieferten sich Schöneberg (Stephan Marz, rechts) und Mattsies (Markus Ott) ein enges Duell.
 ??  ?? Schöneberg­s Kapitän damals war Stephan Marz (rechts, hier im Zweikampf mit Niederried­ens Manfred Bärtle).
Schöneberg­s Kapitän damals war Stephan Marz (rechts, hier im Zweikampf mit Niederried­ens Manfred Bärtle).

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