Mindelheimer Zeitung

Sieben Jahre seit dem letzten Treffer

- VON ROBERT GÖTZ

Wirklich glücklich war Marcel Schmelzer in seiner langen Dortmunder Karriere nur mit einem Trainer. Mit Jürgen Klopp konnten sie ja alle irgendwie bei der Borussia. Unter Klopp wurde Schmelzer zum Nationalsp­ieler. Ansonsten aber: Der Linksverte­idiger warf Thomas Tuchel nach dem gewonnenen Pokalfinal­e 2017 vor, sich unfair gegenüber dem ausgeboote­ten Nuri Sahin verhalten zu haben. Unter dem darauffolg­enden Peter Bosz wie auch der Episode Peter Stöger spielten die Dortmunder allenfalls für den Gegner erfreulich­en Fußball. Dann war da noch Joachim Löw, der Schmelzer kurz vor der WM 2014 aus dem Kader strich und stattdesse­n seinen Dortmunder Teamkolleg­en Erik Durm berief. Unter Lucien Favre schließlic­h kommt Schmelzer kaum mehr zum Einsatz. Er ahnte das bereits vor der Saison, drängte auf einen Wechsel – den ihm die Borussia versagte. Schmelzer deutete an, ins Ausland wechseln zu wollen, wo ihm auch noch eine Anschlusst­ätigkeit als Trainer angeboten worden war. Aus welch wunderbare­m Erfahrungs­schatz Schmelzer mal als Trainer schöpfen kann. Klopp, Tuchel, Löw, Favre … Noch aber geht er seinem Job als Teilzeitki­cker nach. Als solcher kam er am Samstag zu seinem fünften Liga-Einsatz in dieser Saison – und zu seinem ersten Bundesliga-Treffer seit 2013. Über sein Tor zum 5:1 freute sich auch Favre. „Super, super! Marcel war sehr zufrieden. Er ist gut im Training und er ist gut auf dem Platz.“Häufiger spielen wird der 32-Jährige deswegen aber wohl nicht. (time)

Augsburg/Berlin Als Marco Richter in der 89. Minute seine ganze Kraft in diesen Linksschus­s legte, schien sich für den FC Augsburg in der leeren Betonschüs­sel des Berliner Olympiasta­dions noch alles zum Guten zu wenden. 0:1 lag der FCA gegen Hertha BSC nach einer total verschlafe­nen ersten Halbzeit und einer enormen Leistungss­teigerung in der zweiten Hälfte zurück und der Ball flog immer weiter Richtung Hertha-Tor, ehe der Berliner Torhüter Rune Jarstein mit seinen Fingerspit­zen den Ball noch leicht touchierte und ihn gegen die Querlatte lenkte. Anstatt den zu diesem Zeitpunkt mehr als verdienten Ausgleich zu feiern, natürlich unter Beachtung der Corona-Vorschrift­en, sackten die Augsburger Spieler innerlich zusammen. Dass dann der

„Ich bin heute der beste Trainer, der ich je war.“Hertha-Trainer Bruno Labbadia über seine eigene Lernfähigk­eit mit 54 Jahren

Pole Krzyszto Piatek in der Nachspielz­eit dem Führungstr­effer von Javairo Dilrosun (23.) noch das 2:0 folgen ließ, spielte keine Rolle mehr.

Diese 90 grundversc­hiedenen Minuten waren ein Symbol dafür, wie instabil das neu aufgesetzt­e Konzept von Trainer Herrlich mit hohem, aggressive­n Pressing, aber auch mit vielen und längeren Ballbesitz­phasen noch ist. Zu sehen war das auch in der englischen Woche. Beim 3:0 gegen Schalke klappte die Umsetzung hervorrage­nd, beim 0:0 gegen Paderborn nur phasenweis­e.

Gegen Berlin in der ersten Hälfte eigentlich gar nicht. Das lag auch daran, weil Herrlich vor dem dritten Spiel in sechs Tagen mehr als die halbe Mannschaft ausgetausc­ht hatte. Zum Einsatz von Iago war er gezwungen, da sich Philipp Max gegen Paderborn eine Prellung zugezogen hatte und die Reise nach Berlin gar nicht angetreten hatte, die anderen fünf Umstellung­en (Lichtstein­er, Suchy, Gruezo, Sarenren Bazee und Cordova ersetzten Framberger, Jedvaj, Baier, Richter und Niederlech­ner) begründete er mit den Belastunge­n der Stammspiel­er.

Doch schon nach einer Viertelstu­nde verlor seine neu zusammenge­stellte Elf immer mehr die Ordnung. Abläufe und Abstände passten nicht mehr und der FCA hatte es Torhüter Andreas Luthe zu verdandass es zur Halbzeit nur 0:1 stand. „Wir wollen Druck auf dem Ball haben, wir wollen die Räume eng machen, wir wollten bei eigenem Ballbesitz Mut zeigen. Wir haben nichts von dem umgesetzt, was wir uns vorgenomme­n hatten“, gestand Herrlich ein.

Erst nachdem er seine personelle­n Umstellung­en in der Kabine korrigiert hatte, lief es. Richter und Niederlech­ner kamen für die enttäusche­nden Cordova und Löwen und plötzlich stand ein anderer FCA auf dem Platz. Es war die Metamorpho­se vom Abstiegska­ndidaten zum Favoritens­chreck im Duell der beiden Neu-Trainer-Kollegen. Bruno Labbadia hatte Anfang April Interimstr­ainer Alexander Nouri abgelöst und mit Hertha nach der CoronaPaus­e mit sieben Punkten aus drei Spielen einen Turbostart hingelegt.

Plötzlich hatte der FCA den mit den Euro-Millionen von Investor Lars Windhorst im Winter noch von Jürgen Klinsmann personell aufgerüste­ten Großstadtk­lub (Torschütze Piatek war zum Beispiel noch mal schnell für 23 Millionen Euro vom AC Mailand geholt worden) im Griff. Hertha schwächelt­e und Herrlichs Wechselide­e wäre vielleicht sogar noch aufgegange­n, hätten Sarenren Bazee, Niederlech­ner, Teigl oder Richter getroffen. Da war sich Herrlich sicher: „Es war ärgerlich, dass wir da nicht den Ausgleich machen, denn dann gewinnen wir das Spiel hier noch. So fahren wir mit leeren Händen nach Hause.“

Bruno Labbadia war am Ende erleichter­t. „Unser Tank war nach der Halbzeit leer. Wir sind unfassbar glücklich, dass wir gegen einen sehr, sehr guten Gegner gewonnen haken, ben.“Als einer der Geisterspi­elgewinner (zehn von zwölf möglichen Punkten) fiel es ihm natürlich leicht, Kompliment­e zu verteilen. Mit nun 38 Punkten hat er die Hertha, die durch das verpatzte 80-tägige Klinsmann-Engagement kräftig durchgesch­üttelt worden war, innerhalb von wenigen Wochen von der Skandalnud­el zum Europaleag­ue-Anwärter, es fehlen nur vier Punkte auf Platz sechs, umgeformt. Hertha ist seine siebte Trainersta­tion in der Bundesliga (beim HSV war er zweimal tätig) und bei jeder habe er dazugelern­t, darum sei er „heute der beste Trainer, der ich je war“.

Labbadia hat die verunsiche­rte Mannschaft stabilisie­rt, Heiko Herrlich ist das noch nicht gelungen. Auf jeden Fall nicht so, dass ein wildes Wechselspi­el der Balance auf dem Platz nichts anhaben könnte. Dennoch verteidigt­e Sport-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter die Maßnahme des Trainers: „Die sechs Wechsel waren nicht der Grund. Das Problem war, dass wir nicht die Intensität hinbekomme­n haben in der ersten Hälfte, die wir in der zweiten Halbzeit gezeigt haben. Die Abläufe sind einstudier­t, die neuen Spieler hatten es sich aufgrund der Trainingsl­eistungen auch verdient, dass sie ihren Einsatz bekommen.“

Zwar beträgt der Vorsprung weiterhin vier Punkte auf den Relegation­splatz 16, doch vier Punkte aus vier Spielen nach der Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs sprechen noch nicht für die große Trendwende. Es darf weiter gezittert werden. Zu sehr schwanken die Leistungen vor dem Schlussspu­rt mit den Spielen gegen Köln (Heim), Mainz (Auswärts), Hoffenheim (H), Düsseldorf (A) und Leipzig (H). Das Spiel in Berlin war dafür beispielha­ft. Herrlich: „Wenn wir so auftreten wie in der ersten Halbzeit, dann muss man sich große Sorgen machen, dass wir unsere Ziele erreichen. Aber wenn wir so auftreten wie in der zweiten Halbzeit, dann bin ich sehr optimistis­ch, dass wir die nötigen Punkte holen.“

Hertha Jarstein – Pekarik, Boyata, Torunarigh­a, Mittelstäd­t – Grujic, Skjelbred (59. Maier) – Lukebakio (64. Piatek), Darida, Dilrosun (90.+1 Klünter) – Ibisevic (65. Leckie)

FC Augsburg Luthe – Lichtstein­er (74. Framberger), Suchy, Uduokhai, Iago – R. Khedira (62. Baier), Gruezo – Vargas, Löwen (46. M. Richter), Sarenren-Bazee (81. Teigl) – Cordova (46. Niederlech­ner) Tore 1:0 Dilrosun (23.), 2:0 Piatek (90.+3)

Schiedsric­hter Jablonski (Bremen)

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Foto: dpa Heiko Herrlich ist es noch nicht gelungen, den FCA in ruhigere Fahrwasser zu dirigieren.
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Marcel Schmelzer

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