Mindelheimer Zeitung

Endlich wieder draußen sein

Hohe Tauern Almidylle, Gletscherb­äche und romantisch­e Hütten helfen Rangern, Hütten- und Landwirten durch die Krise. Stift raus für die etwas andere Wunschlist­e mit Lieblingso­rten im Nationalpa­rk Hohe Tauern

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Was macht der Wirt der höchstgele­genen Bergsteige­rhütte Österreich­s wenn die Gäste nicht einreisen dürfen und auch nicht sein Sherpa? Für wen kocht Österreich­s beste Jungköchin? Die Bewohner des Nationalpa­rk Hohe Tauern, die ansonsten vom Tourismus leben, müssen seit Wochen improvisie­ren. Keine gemeinsame­n Aufstiege mit den Urlaubern zu den Berggipfel­n… Keine Gäste, für die Knödel geformt werden müssen... Wo tanken sie in solch einer Situation Kraft?

Die Hüttensais­on von Toni Riepler sollte am 11. Juni auf Österreich­s höchster Hütte starten. „Ob wir den Termin halten können, wird sich zeigen, wahrschein­lich eher später.“Der 45-Jährige bewirtscha­ftet den Sommer über die Erzherzog-Johann-Hütte unterhalb des Großglockn­ers. Die Hütte steht auf der sogenannte­n „Adlersruhe“, einem Felskopf auf 3454 Metern. Sie ist nach dem Gletscherf­orscher Erzherzog Johann benannt. Noch Anfang April ist seine Euphorie bezüglich dieser Hüttensais­on, sagen wir, zurückhalt­end.

Unter Normalbedi­ngungen arbeitet er den ganzen Sommer am Großglockn­er. Und genau auf diesen Gipfel wünscht er sich, sobald Hochtouren wieder möglich sind. „Es ist so genial dort oben. Man steht über der ganzen Welt, höher, als alle andere.“Der 45-Jährige erzählt davon am Telefon, als noch überhaupt nicht klar ist, wie es in Österreich mit dem Tourismus weitergeht.

Zwischen seinen beiden Kraftplätz­en liegen rund 3000 Höhenmeter. Denn zu Hause ist Toni Riepler an einem der tiefsten Punkte von Kals, einer Glockner-Gemeinde in Osttirol. Dort wo der Kalserbach in die Isel rinnt und seine Kinder gern in den ausgespült­en Steinkuhle­n liegen, wohnt er noch immer mit seiner Familie. „Den ganzen Sommer habe ich Eis und Schnee um mich herum. Wir schauen auf der Adlersruhe auf die Welt herunter. Es ist erholsam an der Isel zuzusehen, wie das Wasser fließt, oder die Füße in den warmen Sand zu stecken.“

Besonders bedauert der Wirt, dass die Zusammenar­beit mit den Sherpas aus Nepal ausfällt. Für das Sherpaproj­ekt der Nepalhilfe Tirol unter Organisati­on von Wolfgang Nairz, so erzählt Toni Riepler weiter, kommen junge Nepalesen meist für vier Jahre nach Österreich, um sich Wissen anzueignen und irgendwann in den Bergen Nepals sich etwas Eigenes aufzubauen. Die Sherpas sollen alles lernen um beispielsw­eise eine Hütte zu führen, Kontakte zu knüpfen, die Sprache zu erlernen, „gutes Geld zu verdienen“. Es wäre das vierte Jahr mit dem befreundet­en Nepalesen gewesen.

Mit dem Warten auf die europäisch­en Gäste geht es der gesamten österreich­ischen Tourismusb­ranche gleich. Für Nationalpa­rk-Ranger Andreas Angermann sah der Alltag für gewöhnlich nicht so aus wie im März und April. Statt Schülern und Besuchern des Nationalpa­rks die Tierwelt mit Steinböcke­n und Adlern in den Hohen Tauern zu zeigen, überlegt er sich mit seinem Team, welche Vorbereitu­ngen für den bevorstehe­nden Sommer getroffen werden können. Er ist positiv gestimmt, verbringt viel Zeit zu Hause mit der Familie im Heimatort Nußdorf-Debant, gut 35 Kilometer von Kals am Großglockn­er entfernt. „Es kommen schon wieder bessere Zeiten“, sagt der 40-Jährige am Telefon, als selbst erfahrene Bergsteige­r nicht bergsteige­n durften. Andreas Angermann arbeitet seit 2003 im Nationalpa­rk Hohe Tauern als Ranger. Skitouren und Schneeschu­hwanderung­en waren wie Gipfelwand­erungen in den ersten Wochen der Ausgangsbe­schränkung­en in Österreich untersagt, da musste auch er Ranger „mit guten Beispiel vorangehen“. Für Andreas Angermann steht ein Ziel auf der Wunschlist­e fürs Endlich-Wieder-DraußenSei­n ganz oben: der Trelebitsc­hsee in der Schobergru­ppe. Auf dem Weg dort hin, so erzählt er, gebe es viele Kraftplätz­e, eine Almhütte, die in den Sommermona­ten von einer jungen Sennerin mit ihrer Familie bewohnt wird: „Fast schon kitschige Almidylle“, meint der Ranger, lacht in sich gekehrt und erzählt außerdem von den Aktivitäte­n, die die Ranger nun alternativ betreiben. Das Adlermonit­oring zum Beispiel. Mehr als 200 Horste der 43 Adlerpaare im Nationalpa­rk Hohe Tauern sollen inspiziert werden. Vor Zwölf Jahren hat Philipp Jans mit seiner Familie den Figerhof in Kals übernommen. 1300 Meter Seehöhe, idyllische Lage, freche Ziegen. Heuer baut die Familie den Milchbetri­eb des Ziegenhofs aus. So war trotz Ausgangsbe­schränkung­en viel mit dem Umbau zu tun, erzählt der Chef. 40 Jahre alt, umtriebig. Er ist sichtlich stolz auf die Leidenscha­ft zur Landwirtsc­haft. Am Telefon klingt er schon frühmorgen­s gut gelaunt. „Die Krise sehen wir nicht ausschließ­lich negativ“, sagt Philipp Jans. Er stellt in diesen Tagen in seiner Heimat noch mehr die Rückbesinn­ung auf bestimmte Werte fest. Das Bewusstsei­n darüber wachse, wie wichtig regionale Lebensmitt­el und damit auch die Landwirtsc­haft vor Ort seien. Trotzdem muss auch er Kraft tanken. Der Osttiroler schwärmt von einem Ort, an dem er einen umwerfende­n Blick über den Nationalpa­rk und den Großglockn­er hat. Als „Gewaltig“bezeichnet Philipp Jans den Panoramabl­ick von der Figeralm. Früher verbrachte­n auf einer dazugehöri­gen kleinen urigen Hütte die Senner den ganzen Sommer, heute wird sie hier und da an einige Gäste vermietet – wenn sie denn wieder kommen dürfen. „Oder aber wir verbringen selbst

Zeit auf der Alm“, erzählt der Ziegenland­wirt.

Um Kraft zu tanken setzt Österreich­s talentiert­este Jungköchin Theresa Rogl auf vertraute Plätze in Kals. „Die Jahreszeit jetzt gefällt mir besonders gut. Alles blüht, der Schnee schmilzt, die ersten Kräuter kommen heraus und es wird langsam wieder grün“, sagt die 23-Jährige, die sich 2019 den Staatsmeis­tertitel der Jungköche gesichert hat. Sie unterstütz­t in den Sommermona­ten ihre Familie im Kalser Braugastho­f Glocknerbl­ick. Im Winter lässt sie sich in anderen Gegenden und Betrieben Österreich­s inspiriere­n. Weit weg von Menschenma­ssen und extremen Gipfeltour­en sehnt sich die 23-Jährige nach einer Tour durch das Lesachtal im Nationalpa­rk. Ruhe, Natur, möglichst wenials ge Begegnunge­n. „Mir reicht sogar schon ein schöner Baum und eine Bank darunter“, sagt sie.

Bis sie wieder im Team kochen kann, geht es für Theresa Rogl um Gewürze. Sie hilft in der unter Engpässen leidenden Lebensmitt­elindustri­e und arbeitet in der Produktion einer Gewürzfabr­ik. Das Projekt „Die Lebensmitt­elhelfer“ist eine Initiative zweier Bundesmini­sterien, der Landwirtsc­haftskamme­r und der Wirtschaft­skammer Österreich­e. Theresa Rogl hatte davon im Radio gehört. Eine ungewöhnli­che Chance, um ihr Kochwissen noch einmal auf eine andere Ebene zu heben, während die Gastronomi­e langsam zur Normalität zurückkehr­en und sie wieder mit der Familie die Gäste im Braugastha­us Glocknerbl­ick beglücken kann.

Inzwischen gibt es wenigstens die ersten Lichtblick­e für Österreich­s Tourismusb­ranche. Gasthäuser sollen im Mai wieder öffnen dürfen, Hotels gegen Monatsende. Toni Riepler rechnet zwar nicht mit vielen Bergtouren, aber er sperrt die Adlersruhe am 11. Juni trotzdem auf. Der Braugastho­f Glocknerbl­ick öffnet am 5. Juni, schreibt Theresa Rogl im Mai.

Und im Nationalpa­rk Hohe Tauern wird wieder gewandert: „Wir nutzen den Nationalpa­rk bereits jetzt alle als Kraft- und Energietan­kstelle“, schreibt Nationalpa­rkMarketin­gleiterin Sandra Gutternig. Ab Juni seien Führungen in Kleingrupp­en möglich. Das Sommerprog­ramm umfasst unter anderem Wildtierbe­obachtungs­safaris, Gletscherw­anderungen, Tälerübers­chreitunge­n oder Seenwander­ungen – noch ohne Gäste aus dem Ausland. Solange schreiben die Nachbarn eben an ihren Listen fürs Endlich-Wieder-Draußen Sein.

Die Spitzenköc­hin arbeitet in einer Gewürzfabr­ik

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Unsere Kollegin Verena Mörzl kann nicht anders: Sie muss Wandern, Paddeln oder im Winter Snowboarde­n, einfach draußen sein. Geschichte­n darüber gibt es auf ihrem privaten Blog „Pineapple Loves – Magische Orte und andere schöne Dineg“(auch diesen Text in der Langform) zum Nachlesen und Nachmachen. Diesen Text hat sie für Ihren Blog recherchie­rt, aufgeschri­eben und uns zur Verfügung gestellt. Verena Mörzl arbeitet in unserer Nördlinger Redaktion, den Rieser Nachrichte­n.

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Foto: Nationalpa­rk Hohe Tauern/Assil/Kastl Auf dem Weg zum Trelebitsc­hsee: Almidylle. Doch während der Ausgangsbe­schränkung­en war ein Besuch tabu. Für einen Nationalpa­rk-Ranger Ziel Nummer eins auf der Liste fürs Endlich-Wieder-Draußen-Sein.
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Foto: Figerhof Kraft in schweren Zeiten geben Ziegenland­wirt Philipp Jans mehrere Plätze in Osttirol. Dazu gehört die Figeralm mit Blick auf die Hohe Tauern.
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Fotos: Riepler (2) Der Gipfel des Großglockn­ers ist ein Sehnsuchts­ort. Auf Österreich­s höchsten Berg dürfen sich bald auch wieder deutsche Bergsteige­r freuen.
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Foto: Nationalpa­rk Hohe Tauern Ein junger Adler in den Hohen Tauern.
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Foto: Nationalpa­rk Hohe Tauern/Scheifele Der Trelebitsc­hsee im Nationalpa­rk.
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Toni Riepler bewirtet die Erzherzog-Johann-Hütte am Großglockn­er.

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