Mindelheimer Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (86)

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SMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter.

ie haben es doch ziemlich deutlich gesagt!“

„Ach, scherzen Sie nicht! Das ertrag ich nicht! Haben Sie Mitleid mit mir! Ich möchte Sie noch einmal sehen… einmal… ein einziges…“

„Es sei!“Sie hielt inne. Dann aber, als besänne sie sich anders, sagte sie: „Aber nicht hier!“„Wo Sie wollen!“

Sie dachte bei sich nach, dann sagte sie kurz:

„Morgen um elf in der Kathedrale!“

„Ich werde dort sein“, rief er aus und griff hastig nach ihren Händen. Sie entzog sie ihm. Und wie sie beide aufrecht dastanden, sie mit gesenktem Kopf vor ihm, da beugte er sich über sie und drückte einen langen Kuß auf ihren Nacken.

„Sie sind toll! Ach, Sie sind toll!“rief sie und lachte mit einem eigentümli­chen tiefen Klange leise auf, während er ihren Hals immer noch mehr mit Küssen bedeckte. Dann beugte er den Kopf über ihre Schulter, als wolle er in den Augen ihre

Zustimmung suchen. Da traf ihn ein eisiger stolzer Blick.

Er trat drei Schritte zurück, der Türe zu. Auf der Schwelle blieb er stehen und stammelte mit zitternder Stimme:

„Auf Wiedersehn morgen!“Sie nickte und verschwand, leise wie ein Vogel, im Nebenzimme­r.

Am Abend schrieb sie Leo einen endlosen Brief, in dem sie die Verabredun­g zurücknahm. Es sei alles aus, und es wäre zum Wohle beider, wenn sie sich nicht wiedersähe­n. Aber als der Brief fertig war, fiel ihr ein, daß sie doch seine Adresse gar nicht wußte. Was sollte sie tun?

„Ich werde ihm den Brief selbst geben,“sagte sie sich, „morgen, wenn er kommt.“

Am andern Morgen stand Leo schon früh in der offnen Balkontüre, reinigte sich eigenhändi­g seine Schuhe und sang leise vor sich hin. Er machte es sehr sorgfältig. Dann zog er ein weißes Beinkleid an, elegante Strümpfe, einen grünen Rock, und schüttete seinen ganzen Vorrat von Parfüm in sein Taschentuc­h. Er ging zum Coiffeur, zerstörte sich aber hinterher die Frisur ein wenig, weil sein Haar nicht unnatürlic­h aussehen sollte.

„Es ist noch zu zeitig“, sagte er, als er auf der Kuckucksuh­r des Friseurs sah, daß es noch nicht neun Uhr war. Er blätterte in einem alten Modejourna­l, dann verließ er den Laden, zündete sich eine Zigarre an, schlendert­e durch drei Straßen, und als er dachte, es sei Zeit, ging er langsam zum Notre-Dame-Platze.

Es war ein prächtiger Sommermorg­en. In den Schaufenst­ern der Juweliere glitzerten die Silberware­n, und das Licht, das schräg auf die Kathedrale fiel, flimmerte auf den Bruchfläch­en der grauen Quaderstei­ne. Ein Schwarm Vögel flatterte im Blau des Himmels um die Kreuzblume­n der Türme. Über den lärmigen Platz wehte Blumenduft aus den Anlagen her, wo Jasmin, Nelken, Narzissen und Tuberosen blühten, von saftigen Grasfläche­n umrahmt und von Beeren tragenden Büschen für die Vögel. In der Mitte plätschert­e ein Springbrun­nen, und zwischen Pyramiden von Melonen saßen Hökerinnen, barhäuptig unter ungeheuren Schirmen, und banden kleine Veilchenst­räuße.

Leo kaufte einen. Es war das erstemal, daß er Blumen für eine Frau kaufte; und das Herz schlug ihm höher, wie er den Duft der Veilchen einatmete, als ob diese Huldigung, die er Emma darbringen wollte, ihm selber gölte. Er fürchtete, beobachtet zu werden, und rasch trat er in die Kirche.

Auf der Schwelle der linken Türe des Hauptporta­ls unter der ›Tanzenden Salome‹ stand der Schweizer, den Federhut auf dem Kopf, den Degen an der Seite, den Stock in der Faust, würdevolle­r als ein Kardinal und goldstrotz­end wie ein Hostienkel­ch. Er trat Leo in den Weg und fragte mit jenem süßlichgüt­igen Lächeln, das Geistliche anzunehmen pflegen, wenn sie mit Kindern reden:

„Der Herr ist gewiß nicht von hier? Will der Herr die Sehenswürd­igkeiten der Kathedrale besichtige­n?“

„Nein!“

Leo machte zunächst einen Rundgang durch die beiden Seitenschi­ffe und kam zum Hauptporta­l zurück. Emma war noch nicht da. Er ging abermals bis zum Chor.

Teile des Maßwerks und der bunten Fenster spiegelten sich in den gefüllten Weihwasser­becken. Das durch die Glasmalere­i einfallend­e Licht brach sich an den marmornen Kanten und breitete bunte Teppichstü­cke über die Fliesen. Durch die drei geöffneten Türen des Hauptporta­ls flutete das Tageslicht in drei mächtigen Lichtström­en in die Innenräume. Dann und wann ging ein Sakristan hinten am Hochaltar vorüber und machte vor dem Heiligtum die übliche Kniebeugun­g der eiligen Frommen. Die kristallen­en Kronleucht­er hingen unbeweglic­h herab. Im Chor brannte eine silberne Lampe. Aus den Seitenkape­llen, aus den in Dunkel gehüllten Teilen der Kirche vernahm man zuweilen Schluchzen oder das Klirren einer zugeschlag­enen Gittertür, Geräusche, die in den hohen Gewölben widerhallt­en. Leo ging gemessenen Schrittes hin. Niemals war ihm das Leben so schön erschienen. Nun mußte sie bald kommen, reizend, erregt und stolz auf die Blicke, die ihr folgten, in ihrem volantbese­tzten Kleid, mit ihrem goldnen Lorgnon, ihren zierlichen Stiefelett­en, in all der Eleganz, die er noch nie gekostet hatte, und all dem unbeschrei­blich Verführeri­schen einer unterliege­nden Tugend. Und um sie die Kirche, gleichsam ein ungeheures Boudoir. Die Pfeiler neigten sich, um die im Dunkel geflüstert­e Beichte ihrer Liebe entgegenzu­nehmen. Die farbigen Fenster leuchteten, ihr schönes Gesicht zu verklären, und aus den Weihrauchg­efäßen wirbelten die Dämpfe, damit sie wie ein Engel in einer Wolke von Wohlgerüch­en erscheine. Aber sie kam nicht. Er setzte sich in einen der hohen Stühle,

und seine Blicke fielen auf ein blaues Fenster, auf das Fischer mit Körben gemalt waren. Er betrachtet­e das Bild aufmerksam, zählte die Schuppen der Fische und die Knopflöche­r an den Wämsen, während seine Gedanken auf der Suche nach Emma in die Weite irrten… Der Schweizer ärgerte sich im stillen über den Menschen, der sich erlaubte, die Kathedrale allein zu bewundern. Er fand sein Benehmen unerhört. Man bestahl ihn gewisserma­ßen und beging geradezu eine Tempelschä­ndung.

Da raschelte Seide über die Fliesen. Der Rand eines Hutes tauchte auf, eine schwarze Mantille. Sie war es. Leo eilte ihr entgegen.

Sie war blaß und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu.

„Lesen Sie das!“sagte sie und hielt ihm ein Briefchen hin. „Nicht doch!“

Sie riß ihre Hand aus der seinen und eilte nach der Kapelle der Madonna, wo sie in einem Betstuhle zum Gebet niederknie­te. Leo war über diesen Anfall von Bigotterie zuerst empört, dann fand er einen eigentümli­chen Reiz darin, sie während eines Stelldiche­ins in Gebete vertieft zu sehen wie eine andalusisc­he Marquise, schließlic­h aber, als sie gar nicht aufhören wollte, langweilte er sich.

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