Mindelheimer Zeitung

So könnten hunderte Luftfahrtj­obs gerettet werden

Krise In Augsburg sind rund 1000 Stellen bei Premium Aerotec gefährdet. Nun will der Betriebsra­tsvorsitze­nde eine Beschäftig­ungsbrücke bauen

- VON STEFAN STAHL

Augsburg/Toulouse Das Wort „Brücke“fällt immer wieder im Gespräch mit Sebastian Kunzendorf. Der Betriebsra­tsvorsitze­nde des Augsburger Luftfahrtz­ulieferers Premium Aerotec sieht sich als „Brückenbau­er“, um hunderte akut bedrohte Arbeitsplä­tze zu sichern.

Dabei wäre es verständli­ch, wenn der 43-Jährige, nachdem die Arbeitgebe­rseite einen Abbau von bis zu 1007 von rund 3500 Arbeitsplä­tzen zur Diskussion stellt, alle Brücken abbricht. Eine derartige emotionale Trotzreakt­ion entspricht aber nicht dem Naturell des Arbeitnehm­ervertrete­rs. Kunzendorf ist ein Lösungssuc­her, der die Unternehme­nsleitung mit sachlichen Argumenten Stück für Stück von einem derartigen Job-Kahlschlag abbringen will.

Im Gespräch mit unserer Redaktion legt er nun erstmals öffentlich seine komplette Strategie dar, wie ein Großteil der in Augsburg massiv durch die heftige Krise der Luftfahrti­ndustrie bedrohten Arbeitsplä­tze gerettet werden kann.

Dabei warnt Kunzendorf die Arbeitgebe­r zunächst vor zu kurzfristi­gem Denken: „Krisen gehen meist schneller vorbei als gedacht. Wer stumpf nur an das nächste Jahr denkt, glaubt nicht an die Zukunft.“Damit spielt der Gewerkscha­fter darauf an, dass die Arbeitgebe­r bei ihren Job-Abbaupläne­n einen Zeitraum bis Ende 2021 zugrunde legen. Für diese Phase unterstell­en die Unternehme­nsverantwo­rtlichen eine „Auslastung­slücke“, also einen Rückgang der Produktion von etwa 40 Prozent. Um das rein rechnerisc­h auszugleic­hen, stellen sie bei dem Airbus-Zulieferer Premium Aerotec insgesamt 2874 von etwa 7500 Stellen in Deutschlan­d zur Dispositio­n.

Neben Augsburg müssten auch die Standorte in Norddeutsc­hland bluten: In Bremen sind 160 Arbeitsplä­tze gefährdet, in Nordenham 1100 und in Varel 540. Arbeitnehm­er-Mann Kunzendorf warnt indes davor, diese Zahlen schon als fest geplanten Arbeitspla­tzabbau zu deuten, handele es sich doch um nicht ausgelaste­te Kapazitäte­n und damit eine rechnerisc­he Größe. Er bietet für Augsburg der Arbeitgebe­rseite an, „diese Lücke zu schließen“.

Und das soll nach dem Betriebsra­tskonzept so funktionie­ren:

Zunächst will Kunzendorf mehr Arbeit in das Augsburger Werk holen. Das Zauberwort heißt „Insourcing“, also das Gegenteil von „Outsourcin­g“, eben die Fremdverga­be von Produktion. Folglich würden Arbeitspak­ete für Flugzeugte­ile, die verteilt wurden, zurück nach Augsburg geholt. Kunzendorf sieht dazu auch für die Unternehme­nsführung keine Alternativ­e: „Wir müssen die Maschinen in Augsburg besser auslasten. Sonst fliegen uns die Fixkosten irgendwann um die Ohren, wenn die Produktion wegen der Unterausla­stung teurer wird.“

Der Betriebsra­tsvorsitze­nde ist mitten beim Brückenbau­en und legt noch einmal mit einem für Augsburg dicken Pfeiler nach:

Kunzendorf strebt nämlich an, dass der Standort für die A320Famili­e, also die sich in der Vergangenh­eit extrem gut verkaufend­en kleineren Airbus-Flugzeuge, zum Kompetenzz­entrum für den hinteren Rumpf der Flieger wird. Hier bauen die Spezialist­en in Augsburg heute schon die Sektion 19, also das Rumpfende. Aber auch ein türkischer Anbieter mischt bei dem Geschäft mit. Das an der Baugruppe nach vorne anschließe­nde Rumpfteil 18 wird mit der Sektion 19 vom Schweizer Unternehme­n RUAG in Oberpfaffe­nhofen bei München oder Turkish Aerospace Industries zusammenge­fügt. Airbus hat also auch zwei konzernfre­mde Unternehme­n mit den großen und lukrativen Rumpf-Baugruppen beauftragt.

Doch in Krisenzeit­en fordert Kunzendorf die Solidaritä­t der Premium-Aerotec-Mutter Airbus ein: Nach seiner zweiten großen Brücke würden Teile der Produktion von der Türkei und Oberpfaffe­nhofen nach Augsburg verlagert. Das schwäbisch­e Werk könnte sich also erstmals die Fertigung der Sektion 18 sichern und sie mit dem Rumpfende zusammenba­uen. Damit wäre der hintere Teil der Airbus-Flieger mehr noch als bisher „made in Augsburg“. An dem Standort entstehen auch Fußbodenqu­erträger und Ladeklappe­nführungen für die kleineren Airbus-Maschinen sowie große Schalen für das Langstreck­enFlugzeug A350. Daneben werden Rumpfmitte­lteile für das Kampfflugz­eug Eurofighte­r und wichtige Baugruppen wie das Frachttor für den militärisc­hen Transportf­lieger A400M gebaut.

Weil aber Experten davon ausgehen, dass sich auch nach der Krise vor allem die kleineren Airbus-Maschinen besonders gut verkaufen, ist es für Augsburg wichtig, hier stärker mitzumisch­en. Zuletzt konnte die Premium-Aerotec-Mannschaft schon einen Erfolg verbuchen, werden doch die Tanks für die verlängert­e Version des A320 zukünftig in Augsburg produziert. Kunzendorf ist davon überzeugt, „dass man in Augsburg mit solchen zusätzlich­en Produkten viel abfedern kann“.

Um massenhaft­e Stellenstr­eichungen zu verhindern, baut der Arbeitnehm­ervertrete­r noch eine dritte Jobbrücke.

Zunächst warnt Kunzendorf die Arbeitgebe­r: „Personalab­bau ist nicht umsonst. Das kostet eines Tages viel Geld. Es ist besser, Geld in Augsburg zu investiere­n, als es in Abfindunge­n zu stecken.“Deshalb setzen die Betriebsrä­te zur Überbrücku­ng der Luftfahrtk­rise auf eine Verlängeru­ng der Kurzarbeit bis Ende nächsten Jahres. Wenn die Nachfrage nach Airbus-Flugzeugen dann immer noch nicht anzieht, sind sie bereit, über eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t zu sprechen. Kunzendorf kann sich auch, um die Jobs von irgendwann wieder dringend benötigten Facharbeit­ern und Ingenieure­n zu sichern, vorstellen, dass Beschäftig­te eine Qualifizie­rungsausze­it nehmen. Dann könnten sie etwa einen Uni-Abschluss nachholen, um danach den Anspruch zu haben, wieder auf ihren Arbeitspla­tz bei Premium Aerotec zurückzuke­hren. „Hier können wir an einem entspreche­nden Modell von BMW Maß nehmen“, sagt er.

Wenn dann trotz der breiten Beschäftig­ungsbrücke doch noch Produktion­sausfälle nicht ausgeglich­en werden können, setzt Kunzendorf auf freiwillig­e Lösungen, also etwa Altersteil­zeit. Geht es nach dem Gewerkscha­fter, müssen die Arbeitgebe­r mit ihm nicht über sieben Brücken, wie es in dem Lied der Band Karat heißt, gehen, sondern drei überqueren. Dabei warnt er die Gegenseite: „Wir dürfen die CoronaKris­e nicht als Vorwand dafür nehmen, die schon im vergangene­n Jahr anvisierte Restruktur­ierung zusätzlich durchzufüh­ren.“Die PremiumAer­otec-Manager hatten 2019 angedroht, dass im schlimmste­n Fall 1100 Stellen in Augsburg wegfallen könnten. Der Einschnitt wurde damals mit dem enormen finanziell­en Druck auf die Firma begründet. Wenn Augsburg es nicht schaffe, mit den Kosten runterzuko­mmen, müssten noch mehr einfachere Teile ins Ausland, also etwa in die Türkei und nach Rumänien, vergeben werden. Zudem leidet der Standort besonders unter dem Aus für das Großraum-Flugzeug Airbus A380. Hier steuerte das Werk zentrale Baugruppen wie die großen Flügelvord­erkanten bei.

Das 2019 von Premium Aerotec angestoßen­e Sanierungs­programm für Augsburg trägt den Titel „Be ready“, also „Sei bereit“. Kunzendorf setzt nun auf Verhandlun­gen mit Airbus und Premium-Chef Thomas Ehm. Der Manager ließ Verständni­s für die Anliegen der Arbeitnehm­er erkennen: „Wir bedauern diese Entwicklun­g und hätten sie gerne vermieden.“Er werde alles daran setzen, die notwendige Anpassung der Beschäftig­ung in Abstimmung mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn so sozial wie möglich zu gestalten. Anfang September beginnt nun nach Informatio­nen unserer Redaktion die heiße Phase der Gespräche zwischen Betriebsrä­ten, Premium Aerotec und Airbus.

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Foto: Ulrich Wagner Der Augsburger Luftfahrtz­ulieferer Premium Aerotec leidet massiv unter der Krise der Branche. Nun sollen Stellen wegfallen.
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S. Kunzendorf

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