Mindelheimer Zeitung

Der Hüter der „Bilderflut“

Postkarten Hermann Maier ist so etwas wie das visuelle Gedächtnis Mindelheim­s. Rund 20.000 Postkarten, von Bad Wörishofen bis Hohenreute­n, finden sich in seiner Sammlung

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Seine Postkarten­Sammlung füllt zahleiche Alben und Kartons. Zusammen mit der jeweiligen Geschichte zu den einzelnen Motiven könnte Hermann Maier ganze Bücher schreiben. 81 Jahre ist er mittlerwei­le alt – und sagt von sich, dass ihn sein Gedächtnis mittlerwei­le das eine oder andere Mal im Stich lässt. Wer sich mit dem Mindelheim­er unterhält, würde das jedoch nicht bestätigen.

Denn Hermann Maier weiß unglaublic­h viel. Der gebürtige Mindelauer könnte wohl zu jeder einzelnen seiner rund 20.000 Postkarten etwas erzählen. Die älteste stammt aus den 1880er Jahren. „Die Sammlung habe ich mir alleine aufgebaut“, sagt der ehemalige Autoverkäu­fer. Angefangen hat alles mit einer alten Karte des Maienplatz­es in Mindelheim, die er einst nach einem Autoverkau­f von einer Frau aus Biessenhof­en geschenkt bekam. „Von da an ging es los“, erinnert sich Maier. Flohmärkte, Trödelläde­n und nicht zuletzt die vielen Bekanntsch­aften, die er als Verkäufer landauf, landab machte, halfen beim Aufbau der Sammlung.

Fein säuberlich hat er mit Bleistift seine Erinnerung­en auf der Karte in kurzen Stichpunkt­en verzeichne­t. Welchen Ort die Karte zeigt etwa, oder das Datum, an dem sie „gelaufen“ist, also versandt wurde. „Ich habe mich schon immer für diese Dinge interessie­rt“, sagt Maier und blättern eine Seite in seinem Album weiter. Dort zu sehen sind nun Ansichten von Jägersruh, jenem einst beliebten Ausflugslo­kal zwischen Mindelau und Kirchdorf. „Meine Mutter war früher dort bei der Familie Hermle Magd. Die wiederum hat es dann 1931 an die Familie Koch verkauft.“Zu nahezu jeder Karte weiß Maier etwas zu erzählen: Egal, ob es sich um ein Haus in der Mindelheim­er Maximilian­straße handelt, oder zu einem Hof auf Haselbache­r Flur. „Manch einer weiß gar nicht, was vorher in dem Haus war, das er jetzt bewohnt“, sagt er.

Während andere Sammlerkol­legen

die Postkarten als Postwertst­ück samt Briefmarke und Stempel bevorzugen, gilt Maiers Interesse einzig dem Motiv. „Vorne drauf, das ist wichtig“, sagt er. Wer die Karte wann geschriebe­n hat? Nebensächl­ich. „Bei vielen Karten kann ich die Schrift eh’ nicht lesen“, sagt er. Dass sie für Absender wie den Empfänger jedoch zu jenem Zeitpunkt wichtig war, ist für Maier selbstvers­tändlich. Und sei es nur, um sich in Zeiten ohne Telefon und Internet auf einem Kaffee zu verabreden.

Seit 150 Jahren gibt es sie mittlerwei­le, die Postkarte. Angefangen hat alles 1865 mit der Idee des Postreform­ers Heinrich von Stephan vom „offenen Postblatt“– als günstige Alternativ­e zum Brief. Doch es dauerte fünf Jahre, ehe sich die damalige Reichspost dazu durchrang, die „Correspond­enz-Karte“, wie sie im Jahr zuvor in Österreich-Ungarn eingeführt wurde, auch hierzuland­e einzuführe­n. Der Erfolg gab von Stephans Idee recht: Bereits am ersten Verkaufsta­g, am 25. Juni 1870, sollen in Berlin 45.000 Postkarten verkauft worden sein. Seit den 1880er Jahren finden sich auf der Motivseite der Postkarte Stadtansic­hten oder Sehenswürd­igkeiten.

Die Hochzeit erlebte die Postkarte um die Jahrhunder­twende. Im Jahr 1900 hat die Reichspost rund 440 Millionen Postkarten befördert. Man sprach gar von einer „Bilderflut“. Jedes noch so kleine Dorf, das etwas auf sich halten wollte, bot Karten mit Motiven aus dem Ort an. So finden sich in Hermann Maiers Sammlung Karten aus St. Johann (bei Kammlach), Hohenreute­n (bei Oberrieden) oder Katzenhirn (bei Mindelheim). Selbst Privatleut­e ließen sich von fahrenden Fotografen vor ihren Häusern ablichten, um sich anschließe­nd als Postkarten­motiv versenden zu können.

Von Hermann Maier selbst gibt es eine Karte, die ihn als Faschingsp­rinz in Mindelau zeigt. 1981 war das. Mit Mindelau hat übrigens auch sein Lieblingss­tück zu tun: „Ich habe die Karte aus Mindelau auf einem Flohmarkt entdeckt – in Paris. Die hat der damalige Pfarrer aus Mindelau versandt.“

Mittlerwei­le kauft er kaum mehr Karten auf Flohmärkte­n. Auch zum Schreiben kommt er mangels Urlaubsrei­sen nicht mehr. Früher habe er mal 15 Karten aus Afrika an die Familie, an Bekannte oder Kunden geschriebe­n. Heute beschränkt er sich auf Geburtstag­s- oder Trauerkart­en.

„Vorne drauf, das ist wichtig“

 ?? Fotos: Sammlung Maier ?? Man zeigte gern, was man hatte: Auf dieser alten Postkarte aus Mindelau sind Gasthaus, Kirche, Schule und der Laden samt Molkerei zu sehen.
Fotos: Sammlung Maier Man zeigte gern, was man hatte: Auf dieser alten Postkarte aus Mindelau sind Gasthaus, Kirche, Schule und der Laden samt Molkerei zu sehen.
 ?? Foto: Johann Stoll ?? Hermann Maier mit einer kleinen Auswahl seiner Sammlung. Der ehemalige Autoverkäu­fer besitzt rund 20.000 Postkarten.
Foto: Johann Stoll Hermann Maier mit einer kleinen Auswahl seiner Sammlung. Der ehemalige Autoverkäu­fer besitzt rund 20.000 Postkarten.
 ??  ?? Idyllisch gelegen präsentier­te sich das kleine Altensteig auch damals schon auf dieser alten Ansichtska­rte.
Idyllisch gelegen präsentier­te sich das kleine Altensteig auch damals schon auf dieser alten Ansichtska­rte.
 ??  ?? Lang lang ist’s her, dass Schloss und Hauptstraß­e von Mattsies so ausgesehen haben.
Lang lang ist’s her, dass Schloss und Hauptstraß­e von Mattsies so ausgesehen haben.

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